»Je öfter ich springe, desto mehr sehe ich«
Sie ist die Gold-Favoritin für Olympia: Snowboarderin Anna Gasser spricht über ihren Vorsprung auf die Konkurrenz, Crowdfunding für das Training, Nebenerscheinungen der gestiegenen Bekanntheit und Glücksbringer für Pyeongchang.
Sie haben am vergangenen Wochenende Gold im Big Air bei den X-Games in Aspen gewonnen, halten somit heuer bei drei Siegen bei drei Starts. Wie wichtig war dieser Erfolg nach der langen Wettkampfpause im Hinblick auf Olympia? Anna Gasser: Das nimmt schon ein bisschen den Druck, weil ich heuer nicht so viele Bewerbe und seit November gar keinen mehr gefahren bin. Diese Medaille bei den X-Games in Aspen hat mir noch gefehlt, deshalb habe ich mich sehr gefreut. Olympia hat für mich aber noch einmal einen höheren Stellenwert, weil es nur alle vier Jahre stattfindet. Die Statistik schaut gut aus, hoffentlich geht es so weiter. Sie gewinnen nicht nur, Sie dominieren die Konkurrenz. Warum sind Sie den anderen immer den entscheidenden Sprung voraus? Ich muss wirklich sagen, dass die anderen Mädels so viel dazugelernt haben und ich mir schon ein bisschen Sorgen gemacht habe. Mit denselben Tricks wie im Vorjahr wäre ich heuer bei den X-Games nicht einmal auf dem Podest gelandet. Ich darf also nicht schlafen und probiere, den Vorsprung, den ich mir im letzten Jahr herausgearbeitet habe, zu behaupten, immer die eine Drehung mehr als die anderen oder den Sprung in beide Richtungen zu schaffen. Im Slopestyle haben Sie in Aspen ob des Verletzungsrisikos aufgrund des Neuschnees auf den Start verzichtet und somit nur einen Wettkampf bestritten. Rechnen Sie sich für Olympia trotzdem Chancen aus? Das Schwierige im Slopestyle ist, dass man einen kompletten Lauf runterbringen muss. Ein kleiner Wackler bei der Landung und schon geht es sich für den nächsten Kicker nicht mehr aus. Das ist mehr Taktik als beim Big Air, bei dem man sich nur auf diesen einen Sprung konzentrieren muss. Grundsätzlich sind die Sprünge die gleichen, von daher sind die Voraussetzungen gut. Wenn ich das, was ich mir vornehme, hinunterbringe, dann rechne ich mir etwas aus. Sehen Sie sich selbst als Wegbereiterin der weiblichen Snowboard-Freestyleszene? Ich hoffe, es zu sein. Wenn eine 16-jährige Japanerin den Sprung macht, mit dem ich im Vorjahr die WM gewonnen habe, dann weiß ich, dass ich weiter arbeiten muss. Umgekehrt hoffe ich natürlich, dass ich andere motiviere und ansporne. Actionsport ist sehr männerdominiert, aber es hat sich in den letzten Jahren viel getan. Das Level ist extrem gestiegen, wir bekommen nun gleich viel Preisgeld und sind bei den X-Games im Live-TV und nicht mehr nur Lückenfüller. Früher wurde ich belächelt. Ich weiß nicht, ob andere das Gefühl noch immer haben, aber ich fühle mich als Snowboarderin voll akzeptiert. Auch das Interesse an den Frauenbewerben wächst, denn die Jungs sind auf einem so hohen Level angekommen, dass sie kaum noch schwierigere Tricks zeigen können. Bei uns passiert bei jedem Contest etwas Neues, das macht es spannend. Der Landeairbag am Kreischberg ist für das Erlernen neuer Tricks ein Meilenstein. Reduziertes Verletzungsrisiko hin oder her – wie wissen Sie, wie weit Sie gehen können? Bis jetzt habe ich noch keine ganz neuen Sprünge dort probiert, dafür war die Zeit zu knapp. Aber allein dass ich die Zehner (Anm.: drei komplette Drehungen) ganz oft üben konnte, war ein riesiger Vorteil. Je öfter ich einen Sprung mache, desto mehr sehe ich in der Luft. So habe ich gelernt, die Landung hinzustellen, egal wie schnell oder wie hoch der Absprung ist. Der laufende Betrieb des Airbags wird mittels Crowdfunding finanziert. Ist es nicht seltsam, dass eine Olympia-Favoritin für ihr Training auf Spenden angewiesen ist? Ich bin einfach froh, dass er überhaupt da steht. Wir hatten einen immensen Nachteil, weil Amerikaner, Kanadier oder Japaner alle diesen Airbag schon hatten. Die Anschaffung war extrem teuer und trotz Unterstützungen ist der Kreischberg ein bisschen darauf sitzen geblieben. Ich hoffe, dass sich das Ganze durch die Öffnung für die Allgemeinheit refinanziert. Wie haben Sie damals bei der Ehrung als Sportlerin des Jahres ÖSV-Präsident Peter Schröcksnadel vom Airbag überzeugt? Da hatte ich die Möglichkeit, mit ihm persönlich zu reden, und die haben wir Snowboarder nicht so oft. Ich hätte wohl schon einen Termin bekommen, aber nicht so schnell, und in der Stimmung von damals erwischt man ihn auch nicht so leicht. Also habe ich die Gunst der Stunde genutzt. Bei der Ehrung hat er mir seine Telefonnummer gegeben und ist am nächsten Tag zu seinem Wort gestanden. Das war das Positivste an dieser Wahl, dass jetzt dieser Airbag für uns alle am Kreischberg steht. Werden Sie bei Olympia-Gold nachverhandeln? Hoffentlich. (lacht) Was bedeuten Ihnen persönlich Auszeichnungen wie Sportlerin des Jahres? Das ist schon schön, aber das Snowboarden ist mir lieber und steht im Vordergrund. Mittlerweile geht mein Zimmer wirklich schon über, nicht nur mit Pokalen, sondern auch mit Gewand. Das wird daher mein nächstes Projekt: meine eigenen vier Wände. Verletzungen gehören im Freestylesport dazu. Wie hoch ist Ihre Schmerztoleranz? Solange es nur blaue Flecken sind, kann ich damit leben. Aber man muss schon für sehr vieles gewappnet sein. Ich versuche es auszublenden, denn wenn man darüber nachdenkt, tut man sich auch weh. Bei den X-Games hat man gemerkt, dass einige Mädels vor Olympia keine Verletzung riskieren wollten, und genau die haben sich dann bei leichten Sachen wehgetan. Ich kenne das Risiko aber sage mir: Wenn etwas passiert, kann ich es nicht ändern. Denken Sie über das Missgeschick von Sotschi, als Sie zu früh gestartet sind und wieder hinaufklettern mussten, noch nach? Ein bisschen. Damals war jeder Wettkampf neu für mich, hatte ich null Plan. Mit jedem Jahr habe ich dazugelernt und weiß jetzt, was wichtig ist, und kann Situationen besser einschätzen. Heute würde ich komplett anders reagieren. Damals ist es passiert und sie haben mich gestresst, sofort den nächsten Run zu machen, ich habe nicht einmal durchschnaufen können. Aber man kann nicht den Hügel hinaufklettern und sofort danach den Olympiarun zeigen. Jetzt würde ich mir die fünf Minuten nehmen, um mich noch einmal neu zu konzentrieren, denn es war nicht mein Fehler allein. Diesmal werde ich mich zweimal vergewissern, denn das sollte auf keinen Fall mehr passieren und hoffentlich auch kein anderes Missgeschick. In der „Kronen Zeitung“wurde Sportminister Heinz-Christian Strache nach den Sportlern des Jahres gefragt. Marcel Hirscher wusste er samt Anzahl der Weltcupsiege, Ihren Namen nicht. Nach der Auflösung sagte er: „Die hübsche Snowboarderin“. Stört Sie so etwas? Dass er mich nicht gekannt hat, nehme ich nicht persönlich, Marcel Hirscher kennt jeder. Die Wahl kam damals ja auch ein bisschen überraschend, aber jetzt wird er es sich wohl merken. (lacht) Das mit „hübsch“ist ein schwieriges Thema. Bei Frauen kommt immer ein Adjektiv dazu, wir werden diesbezüglich mehr beschränkt. Das ist schade, weil der Sport in den Hintergrund rückt und Artikel ganz anders geschrieben werden. Natürlich kann man sich damit auch ein bisschen vermarkten, aber bei Männern kommt es darauf nicht an. Bei Werbungen ist oft der Mann ein Profisportler und die Frau ein Model, das finde ich scheiße. Bei Terminen gibt es oft viele Fragen und Kommentare zu Ihrem Privatleben. Wie erleben Sie das?
Anna Gasser
wurde 1991 geboren. In ihrer Jugend turnte sie, mit 18 Jahren kam sie zum Snowboarden.
Erfolge
Sieben Weltcupsiege, Big-Air-Weltcup und Freestyle-Gesamtwertung 2016/17. 2015 holte sie bei der WM am Kreischberg Slopestyle-Silber, 2017 Gold im Big Air. Bei den europäischen X-Games sicherte sie sich 2017 Gold im Slopestyle und Bronze im Big Air, in Aspen gewann sie nach Silber im Vorjahr am letzten Wochenende Gold im Big Air. Bei Olympia 2014 wurde sie nach einem Fehlstart im Slopestyle Zehnte.
Meilensteine
2013 stand Gasser als erste Snowboarderin einen Cab Double Cork 900 (doppelter Rückwärtssalto mit halber Drehung), bei der WM 2017 den Backside Double Cork 1080 (drei komplette Drehungen). Ich weiß nicht, Medien stürzen sich auf so etwas. Eine Anna Veith weiß schon, was sie in die Richtung sagt oder nicht, das kommt mit der Erfahrung. Bis jetzt war es bei mir nicht so tragisch, aber die andere Anna hat ihre Erfahrungen schon gemacht und ist in dieser Hinsicht gewappnet. Haben Sie sich schon an Ihre gestiegene Bekanntheit gewöhnt? Bei mir zu Hause kennt mich jeder, aber ich wohne auch in einem kleinen Dorf. Wenn ich abends ausgehe, habe ich das Problem nicht, eher fällt es mir beim Snowboarden auf dem Berg auf. Es ist schön, dass ich mit meinem Sport überhaupt so eine Bekanntheit erreichen kann, das war vor zwei Jahren unvorstellbar. Wenn diese Saison nicht ähnlich erfolgreich wie die letzte wird, vergessen die Leute schnell. Also mal schauen, ob ich mich überhaupt daran gewöhnen muss. Sie sind ein wenig abergläubisch. Was darf in Pyeongchang auf keinen Fall fehlen? Die Jacke von den X-Games hat mir ziemlich viel Glück gebracht, die packe ich ganz sicher ein. Die anderen sind noch ganz unberührt, denn wir bekommen im Jänner immer das neue Gewand von unseren Sponsoren. Nur wenn es sehr kalt wird, dann brauche ich eine andere. Das Schnitzel habe ich auch wieder gegessen und es war eines der besten, die ich je gehabt habe, obwohl es in Amerika war. Hoffentlich gibt es in Südkorea auch eines. Und die Schokolade in der Jacke habe ich natürlich auch immer mit. Sollte sich der Goldtraum erfüllen, haben Sie eigentlich alles gewonnen. Was bleiben Ihnen dann noch für Ziele für die Zukunft? Ich mache mir nicht zu viele Gedanken, was passiert, wenn Gold kommt, dafür kann es im Sport zu schnell mit Verletzungen gehen. Grundsätzlich bin ich nie zufrieden, wenn ich einen Sprung schaffe, setzte ich mir gleich das nächste Ziel und da gibt es sicher noch einiges an Potenzial. Erst wenn es aufhört Spaß zu machen und die Angst kommt, dann werde ich es lassen.