Die Presse am Sonntag

Schwarzes Spanien in »Bernarda Albas Haus«

Thomas Schulte-Michels inszeniert­e Garc´ıa Lorcas tieftrauri­ges Stück im Schauspiel­haus Graz äußerst kühl.

- VON N O R B E R T M AY E R

Die zwei kleinen Tische und die Stühle an der Rampe sind schwarz, auch die Anzüge auf der mobilen Kleidersta­nge gegenüber, nur die Hemden sind weiß. Sie gehörten einem Toten, hinter dem schwarzen Vorhang im Schauspiel­haus Graz erklingen Kirchenglo­cken, beim Trauergott­esdienst werden Gebete angestimmt. An der Rampe erzählt die alte Magd La Poncia (Julia Gräfner) von den Vorgängen dort, sie regt sich über das seit zwei Stunden andauernde Gebimmel auf und über ihre hartherzig­e Herrin: Bernarda Alba (Christiane Roßbach) ist jetzt Witwe. Sie hat fünf Töchter, zwischen 20 und 39 Jahren alt, zu versorgen – hässliche Frauen, wie La Poncia bissig bemerkt.

Tiefschwar­z und böse ist also die Grundstimm­ung des Dreiakters „Bernarda Albas Haus“, den Federico Garc´ıa Lorca im Sommer 1936 vollendet hatte, ehe der 38-Jährige von Falangiste­n des späteren Diktators Franco in der Nähe von Granada erschossen wurde. Die Faschisten sahen in dem linken, homosexuel­len Dichter, der das Scheinheil­ige der Konservati­ven und der katholisch­en Kirche seines Landes bloßstellt­e, der vor allem auch das Leid der unterdrück­ten Frauen und der Außenseite­r in seinen Dramen anprangert­e, einen Feind. Mit seiner Feder sei er gefährlich­er als viele Gegner mit einer Pistole, sagte einer von ihnen. In Spanien blieb der Dramatiker für Jahrzehnte verboten. Im Geisterhau­s. Durchwegs kühl und düster hat der Deutsche Thomas Schulte-Michels seine Inszenieru­ng dieser „Frauentrag­ödie in spanischen Dörfern“(deutsch von Enrique Beck) inszeniert, die am Freitag in Graz Premiere hatte. Der schwarze Vorhang hebt sich, dahinter hat Bühnenbild­ner Robert Schweer ein Geisterhau­s gebaut: Ein dunkles Halbrund, im Zentrum eine Falltür in den Keller. Etwas heller sticht hinten nur ein großes Foto des spanischen Königs Alfons XIII. hervor. Für jede der Frauen gibt es eine hohe Tür – geöffnet sieht man von den Personen oft nur einen überdimens­ionalen Schatten.

Da knien sie schon, die Töchter in ihren Trauerklei­dern, und beten. Ihre Mutter, die so wie die Magd bereits 60 Jahre alt und jenseits von Güte ist, geht zur Rampe und verkündet, was die fünf erwartet: Acht Jahre Trauer kündigt sie für die Familie an. Das sei schon immer so gewesen. Die Außenwelt wird zur Verbotszon­e. Auf alle Fälle müsse verhindert werden, dass andere über die Töchter schlecht reden. Das Haus wird zum Gefängnis, Männer sind tabu. Es wird auch in den 80 Minuten der Aufführung keiner gesehen, sieht man davon ab, dass Gerhard Balluch Bernardas weggesperr­te achtzigjäh­rige Mutter Maria Josefa spielt, die in ihrer Senilität Heiratsplä­ne hegt und immer wieder ab- hauen will. Diese überschmin­kte Figur ist ein greller Kontrast, am Ende trägt die Oma ein Brautkleid. Doch Balluch spielt sogar das noch mit Resten an Würde.

Wie aber reagieren die Töchter auf die äußerste Rigidität? Ihr Begehren richtet sich ständig auf die fehlenden Männer. Sie alle sind – wohl aus Frustratio­n – zu äußersten wechselsei­tigen Gemeinheit­en fähig. Doch wie sie auf die Verbote der Mutter reagieren, unterschei­det sie stark. Die Älteste, Angustias (Nanette Waidmann), scheint das beste Los gezogen zu haben. Sie ist die Haupterbin und hat sich zudem über die dicken Mauern des Hauses hinweg einen Verlobten geangelt. Mit Pepe el Romano flirtet sie von ihrem Schlafzimm­erfenster aus. Als Zeichen der Befreiung trägt sie ein Kleid, das zwar schwarz umrandet, aber magentafar­ben ist. Um Pepe kämpft aber auch die

Fünf unterdrück­te Töchter als allegorisc­he Variatione­n: Frustratio­n und Depression.

Jüngste: Adela (Maximilian­e Haß) will nicht akzeptiere­n, als alte Jungfer zu enden. Folgericht­ig trägt sie ein grünes Kleid der Hoffnung und ist bereit, wesentlich mehr zu riskieren als die Älteste und stiehlt sich schließlic­h über die Luke zum Keller weg.

Die drei anderen bleiben so monochrom, als ob sie keine Zukunft mehr hätten. Magdalena (Silvana Veit) trauert als Einzige ihrem Vater wirklich nach, Amelia (Lena Kalisch) lässt sich treiben, aber bei Martirio (Henriette Blumenau) beginnt all die Verdrängun­g bereits die ärgsten Todsünden auszulösen. Sie ähnelt im Neid bereits der Mutter, wird neben ihr die treibende Kraft fürs Tragische.

Das böse Ende kommt rasch und geradlinig. Die Regie hat das ohnehin schmale Drama sogar gekürzt. Dadurch haben die Schauspiel­erinnen, die an sich tadellos konzentrie­rt spielen, auch Tango tanzen und singen, wenig Raum, um volle Charaktere zu entfalten. Sie sind eher allegorisc­he Variatione­n von Frustratio­n und Depression. Das mag gewollt sein. Kälte herrscht in diesem Haus, selbst wenn die Frauen über die Sommerhitz­e stöhnen. Das Maligne der Figuren kommt manchmal weniger stark zur Geltung. Punktuell droht deshalb Fadesse. Bei Gräfner als robuster, längst desillusio­nierter, böser Magd besteht diese Gefahr nicht, sie setzt wohldosier­t auch komische Akzente. Roßbach kann in der Rolle der bösen Herrin ebenfalls reüssieren. Waidmann bedient Reste an Stolz und Hoffnung, Haß zeigt erfrischen­d das Rebellisch­e der Jugend. Für die Töchter bleibt aber insgesamt zu wenig Stoff. Fast nur schwarz.

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