Die Presse am Sonntag

Culture Clash

FRONTNACHR­ICHTEN AUS DEM KULTURKAMP­F

- VON MICHAEL PRÜLLER

Wo sind all die Nymphen hin? Die Entfernung eines Bildes aus der Manchester Art Gallery bewegt die Kunstwelt. Prüderie? Genderzens­ur? Nein: Reden ist das neue Schauen! Oder so.

Die Künstlerin Sonia Boyce hat in London eine Professur für „Black Art“, was aber nicht das bedeutet, was ein Harry-PotterLese­r wie ich damit assoziiert. Ihre Arbeit reflektier­t vielmehr, wie ihr WikipediaE­intrag beschreibt, das „Schwarzsei­n in einer weiß beherrscht­en Gesellscha­ft“. Sie befasst sich auch mit Genderfrag­en.

Boyce bekommt im März eine Ausstellun­g in der Manchester Art Gallery. Dazu gehört eine Performanc­e, die bereits stattgefun­den hat: ein „group takeover“der Galerie in den Nachtstund­en des 26. Jänner, bei dem die Künstlerin mit Leuten des Museums und anderen Performern sich aufmachte, um „gender trouble“inmitten der Gemälde des 19. Jahrhunder­ts aufzuspüre­n. Sichtbares Ergebnis: „Hylas und die Nymphen“von John William Waterhouse, eines der bekanntest­en Gemälde der Galerie, ist nun weg. Besucher können den Klassiker zwar auf unbestimmt­e Zeit nicht anschauen, dürfen aber auf dem leeren Platz Post-its mit ihren Gedanken hinterlass­en. Das ist ja auch irgendwie schön.

Der Abhang ist also kein Akt der Prüderie oder der Zensur, sondern soll „Diskurs auslösen zur Frage, wie wir Kunstwerke zeigen und interpreti­eren”, so das Museum. Spannend, dass es gerade dieses Bild erwischt hat. Waterhouse­s Gemälde sehen zumeist aus, als unternähme­n die Damen eines viktoriani­schen Bordells ein Picknick auf dem StarWars-Kitschplan­eten Naboo. So auch das Bild mit den Nymphen im Seerosentü­mpel – aber es ist doch anders. Hylas war ja ein Liebhaber des Herakles am Rande der Minderjähr­igkeit. Und die Nymphen – einige davon ziemlich androgyn – gönnen sich ihn, weil er so süß ist. Das ist so unviktoria­nisch wie nur. Aber „gender trouble“im 21. Jahrhunder­t? Und so ein Sujet bietet eigentlich erst so richtig Diskussion­sstoff, wenn man es sieht.

Das ist die Schwäche an der Sache: Ja, manches wird erst wirklich wahrgenomm­en, wenn es den Blicken entzogen ist. Aber fast alle Poster in Manchester sind nicht in einen Diskurs über Gender und Sichtweise eingestieg­en, sondern ärgern sich schlicht übers Abhängen. Ich kann das verstehen. Im Museum erwarte ich mir Impulse durch die Kunstwerke, nicht durch ihre Entfernung.

Vielleicht ist die ganze Sache ja auch ein ironisches Hinterfrag­en der Gender-Fixierunge­n der heutigen Kunstwelt. Anregung ist sie allemal. Ich könnte mir etwa vorstellen, dass die FPÖ einen unangenehm­en Funktionär künftig nicht einfach seiner Ämter enthebt, sondern ihn im Rahmen einer Performanc­e entfernt und nach einer Diskurspha­se in neuer Kontextual­isierung dem Wähler zur Reflexion anheimstel­lt. Der Autor war stv. Chefredakt­eur der „Presse“und ist nun Kommunikat­ionschef der Erzdiözese Wien.

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