Culture Clash
FRONTNACHRICHTEN AUS DEM KULTURKAMPF
Wo sind all die Nymphen hin? Die Entfernung eines Bildes aus der Manchester Art Gallery bewegt die Kunstwelt. Prüderie? Genderzensur? Nein: Reden ist das neue Schauen! Oder so.
Die Künstlerin Sonia Boyce hat in London eine Professur für „Black Art“, was aber nicht das bedeutet, was ein Harry-PotterLeser wie ich damit assoziiert. Ihre Arbeit reflektiert vielmehr, wie ihr WikipediaEintrag beschreibt, das „Schwarzsein in einer weiß beherrschten Gesellschaft“. Sie befasst sich auch mit Genderfragen.
Boyce bekommt im März eine Ausstellung in der Manchester Art Gallery. Dazu gehört eine Performance, die bereits stattgefunden hat: ein „group takeover“der Galerie in den Nachtstunden des 26. Jänner, bei dem die Künstlerin mit Leuten des Museums und anderen Performern sich aufmachte, um „gender trouble“inmitten der Gemälde des 19. Jahrhunderts aufzuspüren. Sichtbares Ergebnis: „Hylas und die Nymphen“von John William Waterhouse, eines der bekanntesten Gemälde der Galerie, ist nun weg. Besucher können den Klassiker zwar auf unbestimmte Zeit nicht anschauen, dürfen aber auf dem leeren Platz Post-its mit ihren Gedanken hinterlassen. Das ist ja auch irgendwie schön.
Der Abhang ist also kein Akt der Prüderie oder der Zensur, sondern soll „Diskurs auslösen zur Frage, wie wir Kunstwerke zeigen und interpretieren”, so das Museum. Spannend, dass es gerade dieses Bild erwischt hat. Waterhouses Gemälde sehen zumeist aus, als unternähmen die Damen eines viktorianischen Bordells ein Picknick auf dem StarWars-Kitschplaneten Naboo. So auch das Bild mit den Nymphen im Seerosentümpel – aber es ist doch anders. Hylas war ja ein Liebhaber des Herakles am Rande der Minderjährigkeit. Und die Nymphen – einige davon ziemlich androgyn – gönnen sich ihn, weil er so süß ist. Das ist so unviktorianisch wie nur. Aber „gender trouble“im 21. Jahrhundert? Und so ein Sujet bietet eigentlich erst so richtig Diskussionsstoff, wenn man es sieht.
Das ist die Schwäche an der Sache: Ja, manches wird erst wirklich wahrgenommen, wenn es den Blicken entzogen ist. Aber fast alle Poster in Manchester sind nicht in einen Diskurs über Gender und Sichtweise eingestiegen, sondern ärgern sich schlicht übers Abhängen. Ich kann das verstehen. Im Museum erwarte ich mir Impulse durch die Kunstwerke, nicht durch ihre Entfernung.
Vielleicht ist die ganze Sache ja auch ein ironisches Hinterfragen der Gender-Fixierungen der heutigen Kunstwelt. Anregung ist sie allemal. Ich könnte mir etwa vorstellen, dass die FPÖ einen unangenehmen Funktionär künftig nicht einfach seiner Ämter enthebt, sondern ihn im Rahmen einer Performance entfernt und nach einer Diskursphase in neuer Kontextualisierung dem Wähler zur Reflexion anheimstellt. Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.