»Das war ein harter Schlag. Das tat weh«
CDU-Hoffnungsträger Jens Spahn spricht erstmals seit der Einigung über die Große Koalition und den Verlust des Finanzressorts, Kandidaten für die Zeit nach Merkel, das SPD-Chaos und warum die Wiener Koalition kein Vorbild ist.
Am Donnerstagabend haben Sie auf der Brüstung der Opernballloge in Wien deutlich entspannter gewirkt als am Mittwochnachmittag im Konrad-Adenauer-Haus in Berlin, als die Parteichefs die Einigung auf die Große Koalition erläuterten. Oder täuscht der Eindruck? Jens Spahn: Diese Koalition ist von Anfang an keine Wunschkoalition gewesen. Die, die jetzt miteinander regieren, haben bei der Wahl zusammen 14 Prozentpunkte verloren Der Koalitionsvertrag ist inhaltlich kein furioses Feuerwerk, aber eine solide Basis für die nächsten vier Jahre. Mehr ist in dieser Konstellation nicht drin. Für uns in der CDU ist aber vor allem die Ressortverteilung schmerzhaft. Was war Ihr erster Gedanke, als Sie erfuhren, dass die CDU das Innen- und das Finanzministerium preisgibt? Das war ein harter Schlag. Das tat weh. Dass Horst Seehofer Innenminister wird, ist ein Trost. Er wird Deutschland sicherer machen und die vereinbarte Begrenzung der Zuwanderung auch umsetzen. Und als Heimatminister kann er den Zusammenhalt in der Gesellschaft stärken. Denn da ist viel verloren gegangen. Und was dachten Sie darüber, dass die SPD das Finanzressort bekommt? Das Finanzministerium hat über Deutschland hinaus eine wichtige Bedeutung, vor allem für die Eurozone. Ich möchte nicht, dass bei (dem griechischen Premier) Alexis Tsipras die Sektkorken knallen, weil einige glauben, mit einem SPD-Minister gebe es jetzt wieder mehr Schulden und weniger Reformen. Das würde am Ende uns allen schaden. Deswegen werden wir da wachsam sein. Ist der Preis, das Finanzministerium an die SPD abzugeben, zu hoch? Die Frage ist: Was würde es für Deutschland und Europa bedeuten, hätten wir jetzt immer noch keine neue Regierung in Aussicht? Dennoch ist es ein ziemlich hoher Preis. Denn das Finanzministerium war ein Ort, wo originär CDU-Politik gemacht wurde. Der Haushalt ohne Schulden ist mehr als ein Symbol dafür. Dieser Verlust muss an anderer Stelle kompensiert werden. Sie selbst tauchten auf den kolportierten CDU-Ministerlisten nicht auf. Sagen Sie jetzt nicht, dass Sie darüber nicht enttäuscht sind. Das würde auch niemandem helfen. Ich gehe immer mit dem um, was kommt. Das klingt so, als hätten Sie doch noch Hoffnung auf ein Ministeramt. Es geht nicht um mich. Es geht darum, die Breite der Gesellschaft abzubilden. Und der CDU Profil zu geben. Sie sollen sich intern über die Große Koalition beschwert haben: „Das soll das Neue sein?“Es wird viel erzählt. Im Kern geht es darum, dass eine Große Koalition auf Dauer bei den Menschen zu dem Gefühl führt: „Die unterscheiden sich gar nicht mehr und klammern sich aneinander, um irgendwie noch zu regieren.“So wird die Große Koalition von Wahl zu Wahl kleiner. Das ist das Risiko, vor dem beide Volksparteien stehen. Deutschland „verösterreichert“also. Noch nicht. Es gibt einige, die behaupten, ich habe mir die österreichischen Verhältnisse zum Vorbild genommen – Stichwort Zusammenarbeit mit der FPÖ. Das Gegenteil ist der Fall: Das will ich nicht. Wir sollten alles dafür tun, dass eine solche Partei in Deutschland niemals so groß werden kann, dass sie über die Regierungsbildung mitentscheidet. „An der CDU-Basis brodelt es“, befand Ihr Vertrauter, der Junge-Union-Chef Paul Ziemiak. Ein weiterer guter Parteifreund, Cars- ten Linnemann, wähnte den „Anfang vom Ende der Volkspartei CDU“. Die Partei fängt ja gerade erst an, über den Koalitionsvertrag zu diskutieren und sich eine Meinung zu bilden. Ich finde es gut, dass diskutiert und abgewogen wird. Wir sollten auch darauf schauen, was wir alles erreicht haben, darunter das Familienpaket mit der Kindergelderhöhung, das Digitalpaket, das Regelwerk für Migration und noch einmal fast 15 Prozent mehr Bundespolizisten. Das ist ja alles unsere Handschrift. Die SPD behautet aber, der Koalitionsvertrag trage ihre Handschrift. Ist die CDU zu weit nach links gerückt? Wir haben Vertrauen verloren. Das ist keine Frage von links und rechts. Auch derjenige, der um sieben Uhr morgens in Berlin eine Party verlässt, der PartyHedonist, will sicher nach Hause kommen. Ist innere Sicherheit jetzt links oder rechts? Es ist einfach ein menschliches Alltagsbedürfnis, darauf kommt es an. Das gilt auch für kulturelle Fragen. Das sind unsere Kernthemen. Um die haben wir uns in den vergangenen Jahren zu wenig gekümmert. In der GroKo ist das Problem ja der Mischmasch, dass man sich nur schwer vom Koalitionspartner abheben kann. Wie kann man die Unterschiede besser akzentuieren? Mit Charakterköpfen, mit einem Team, das dieses Profil auch abbildet, und indem wir es zulassen, dass Partei und Fraktion ein eigenständiges Profil entwickeln. Streit, die Diskussion um Inhalte und Alternativen ist das, was eine demokratische Partei stark macht. Am Ende einer Diskussion, die auch leidenschaftlich sein darf, muss man dann gemeinsam marschieren und das Ergebnis umsetzen. In der CDU ist die Debattenkultur doch verkümmert. Wir können es eigentlich besser, ja. Bei der SPD wird bei Parteitagen ganz offen und lebendig um Positionen gerungen. Ich bin ein großer Fan von lebendigen Parteitagen. Eine Partei wird dadurch attraktiver, es entsteht ein Gefühl von Gemeinschaft. Das Stück, das die SPD seit Monaten aufführt, ist ein anderes: die komplette Selbstaufgabe von politischer Führung. Das wirkt völlig aus der Zeit gefallen. Die deutsche Gesellschaft ist seit einiger Zeit wieder richtig politisiert. Das größte Aufregerthema im Wahlkampf 2013 war der Veggie-Day. Fünf Jahre später ist Politik wieder zurück am Küchentisch, am Arbeitsplatz. Überall wird über Politik geredet, auch kontrovers und leidenschaftlich. Das ist eine Veränderung, und daraus erwächst der Wunsch nach Unterscheidbarkeit. Auf beiden Seiten ist die Lust auf die GroKo nur sehr gering ausgeprägt. Legt es die SPD darauf an, die Koalition 2020 zur Halbzeit platzen zu lassen? Die spannende Frage wird sein, ob sich die SPD wirklich auf die Koalition einlässt oder wieder Opposition in der Regierung sein will, wie wir das in den vergangenen zwei Jahren erlebt haben. Wobei ich mich wundern würde, wenn eine SPD, die gerade bei der Verteilung der Posten so abgeräumt hat, diese Koalition schnell wieder platzen ließe. Sie haben also keine Zweifel, dass das SPDMitgliedervotum positiv ausgeht? Ich gehe davon aus, dass die, die mitverhandelt haben, jetzt Tag und Nacht dafür werben, dass es positiv ausgeht. Es wäre schon komisch, wenn die Mitglieder dann nicht mehrheitlich der Führung ihr Vertrauen schenken – wer immer die Führung gerade innehat. Die CDU muss sich Gedanken über eine personelle Neuaufstellung machen. Ist die CDU für die Post-Merkel-Ära gewappnet? Ja. Gibt es Kandidaten, die auch sofort das Ruder übernehmen könnten? Nach meiner Erfahrung hat sich immer jemand gefunden, wenn es so weit war. Es ist aber erstaunlich, dass Angela Merkel bisher niemanden aufkommen ließ. Diesen Anspruch verstehe ich nicht. Wir sind doch nicht in einer Monarchie, in der man seine eigene Nachfolge selbst regelt. Bei uns werden Kanzler und Parteivorsitzende gewählt. Wenn es so weit ist, dann werden sich Kandidaten auch durchsetzen müssen. Wir haben jeden-
Jens Spahn,
geboren am 16. Mai 1980 im Dorf Ottenstein im westfälischen Münsterland, gilt als Zukunftshoffnung der CDU – und als ein Freund von Sebastian Kurz. Der gelernte Bankkaufmann, der neben seiner Tätigkeit als Bundestagsabgeordneter Politikwissenschaften studiert hat, sitzt seit 2002 im Parlament. Mit 15 Jahren ist er bereits in die Junge Union eingetreten.
Angela Merkel
hält den 37-Jährigen, der kurz vor Weihnachten seinen Lebensgefährten – den „Bunte“Korrespondenten in Berlin – geheiratet hat, für ein großes politisches Talent. Zugleich ist ihr sein Ehrgeiz suspekt. Dass er in einer Kampfkandidatur 2014 einen Sitz im Parteivorstand errang, ging ihr gegen den Strich – ebenso seine Kritik an der Flüchtlingspolitik. Wolfgang Schäuble holte Spahn 2015 als Staatssekretär ins Finanzministerium. falls überall gute Leute: Michael Kretschmer, den jungen Ministerpräsidenten in Sachsen. Mike Mohring, den Parteivorsitzenden in Thüringen. Julia Klöckner. In der Bundestagfraktion haben wir Carsten Linnemann oder Paul Ziemiak. Ich mache mir überhaupt keine Sorgen um die Zukunft der CDU. Gibt es nach den Wahlen 2021 dann eine neue Hoffnung für Jamaika? Erst einmal geht es darum, dass wir als Union möglichst stark werden. Weil wir den besseren Plan für unser Land haben, weil wir personell so aufgestellt sind, dass der Anspruch, die Herausforderungen des dritten Jahrzehnts im 21. Jahrhundert meistern zu können und zu wollen, auch deutlich wird. Und dann schauen, mit wem man regieren könnte. Es heißt, Sie hätten ein Problem damit, dass man sie als Konservativen charakterisiert. Was ist gemeint mit konservativ? Will ich zurück in die Achtziger? Nein. War früher alles besser? Definitiv nein. Geht es darum, dass es bestimmte Werte und Tugenden gibt? Von Heiner Geißler stammt das schöne Zitat: „Für manche ist man ja schon rechtsradikal, wenn man pünktlich zur Arbeit kommt.“Ein paar Werte sind grundlegend für die Gesellschaft: Bewusstsein für Familie, Heimat, Tugenden. Bei den Stichworten Burka-Verbot und Islamgesetz sind Sie ja im Gleichklang mit unserem Bundeskanzler. Mich wundert, dass in Deutschland jetzt auf einmal der als rechts gilt, der für Frauenrechte kämpft. Was ist mit „Ehrenmord“? Welches Frauenbild wandert da mit der Migration aus bestimmten Kulturräumen ein? Was ist mit der Zwangsheirat, die in Deutschland und Österreich täglich stattfindet? Was ist das für ein Frauenbild, das freitags in den Moscheen gepredigt wird? Jetzt ist Religionskritik an einem konservativ-reaktionären Teil des Islam plötzlich rechts? Da passt doch etwas nicht. Ich habe im Übrigen ImportImame, die aus der Türkei finanziert werden, schon kritisiert, da war Herr Gauland (Anm,: AfD-Chef ) noch mit dem Euro beschäftigt.