Wo Vollzeitarbeiten zur Ausnahme geworden ist
Die Niederlande gelten als Musterland in Sachen Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Viele Männer arbeiten hier Teilzeit.
Die Niederländer belegen seit Jahren die ersten Plätze in der Liste der glücklichsten Menschen der Welt. Die Holländer gelten als entspanntes Volk – was neben der Freizügigkeit mit Cannabis vielleicht auch daran liegt, dass sie deutlich weniger arbeiten, als die meisten Europäer.
Fast die Hälfte aller Beschäftigten arbeitet hier Teilzeit – also weniger als 35 Stunden pro Woche. Während in Österreich vor allem Männer noch immer dafür belächelt werden, wenn sie Stunden reduzieren wollen, ist das in den Niederlanden gesellschaftlich voll akzeptiert. 23 Prozent der Männer arbeiten Teilzeit – Tendenz stetig steigend. Zum Vergleich: In Österreich haben sich 11,8 Prozent der Männer für ein derartiges Arbeitszeitmodell entschieden – und knapp 50 Prozent der Frauen. In den Niederlanden arbeiten 76 Prozent der Frauen Teilzeit. Darauf ist man stolz, das wird von den politischen Verantwortlichen als familienund frauenpolitischer Erfolg verkauft.
Schon in den 1990er-Jahren verabschiedete die damalige Haager Regierung ein Gesetz, das Teilzeitbeschäftigten dieselben Rechte wie Vollzeitbeschäftigten einräumte. Seither können Arbeitnehmer von ihrem Arbeitgeber verlangen, dass dieser ihren Vollzeitjob in einen Teilzeitjob umwandelt – und umgekehrt. Das reguläre, meistgenutzte niederländische Teilzeitmodell sind 32 Stunden beziehungsweise vier Tage pro Woche. Vorteile. Niederländische Arbeitnehmer haben außerdem einen gesetzlichen Anspruch auf Homeoffice. Verheiratete Arbeitnehmer, von denen einer in Vollzeit und einer in Teilzeit arbeitet, haben deutliche steuerliche Vorteile. Das Gesetz gilt für alle Betrie-
der Frauen
in den Niederlanden arbeiten weniger als Vollzeit.
der Männer
in den Niederlanden arbeiten weniger als 35 Stunden. Tendenz steigend. be mit mehr als zehn Mitarbeitern. Die Attraktivierung der Teilzeitarbeit hat sich vor allem äußerst positiv auf die Frauenerwerbsquote ausgewirkt. Die lag bis vor zwei Jahrzehnten unter dem EU-Schnitt, jetzt liegt sie darüber. Auch die Aufgaben rund um die Kinderbetreuung sind nun gerechter zwischen Männern und Frauen aufgeteilt, als in anderen EU-Ländern.
„Ich bin sehr ehrgeizig, und ich mag meine Arbeit“, sagt Eline Vrijland. „Doch als unser Sohn geboren wurde, haben mein Mann und ich beschlossen, dass wir beide fortan Teilzeit arbeiten werden, um genügend Zeit für das Kind zu haben,“so die 32-jährige Eline. So wie Eline und ihr Mann Nanco (37) arbeitet in den Niederlanden inzwischen schon jedes sechste berufstätige Ehepaar Teilzeit – und zwar sowohl die Frau als auch der Mann. Die durchschnittliche Wochenarbeitszeit liegt mit 30,9 Stunden (Vollzeit- und Teilzeit-Arbeitende) deutlich unter dem EU-Schnitt. Österreich liegt hier übrigens im Spitzenfeld – in kaum einem anderen EU-Land wird mehr gearbeitet. Die durchschnittliche Wochenarbeitszeit liegt laut Eurostat für einen Vollzeitjob bei 42,8 Stunden, für Teilzeit bei 20,7 Wochenstunden. Nachteile. Die hohe Teilzeitquote mag in den Niederlanden zwar gut für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sein und hat die Frauenbeschäftigungsquote deutlich gesteigert. Allerdings wirkt sie sich auch nachteilig auf die ebenfalls wichtige Steigerung der wirtschaftlichen Unabhängigkeit von Frauen aus. Obwohl die Gleichstellung von Voll- und Teilzeitarbeitenden gesetzlich verankert ist, machen Teilzeitkräfte in der Realität weniger oft Karriere.