Die Presse am Sonntag

Des Teufels Chemie

Seit mehr als 100 Jahren werden Kriege auch mit Giften Langzeitfo­lgen gibt es nicht. Nun kommen erste aus dem Iran. geführt. Daten über

- VON JÜRGEN LANGENBACH

An einem kalten Morgen im September 1987 steuerte der 18-jährige iranische Soldat Seyed Naser Emadi einen Landrover ein paar Stunden lang von einem Schlachtfe­ld zu einem Hospital, er transporti­erte verletzte Kameraden, die husteten und erbrachen sich. Sie fröstelten auch, deshalb schloss Emadi die Fenster. Nun breitete sich aus den Uniformen der Verletzten ein Gestank nach Senf aus, von dem auch ihm übel wurde, er schaffte es doch zum Hospital. Dort tropfte ihm aus einer Blase am Arm eines Kameraden etwas auf die Hand, bald bildete sich auch dort eine flüssigkei­tsgefüllte Blase.

Emadi, heute Dermatolog­e an der Medizin-Uni Teheran und Mitglied der Ärzte ohne Grenzen, berichtete auf einem Treffen derer, die überlebten, womit die Truppen Saddam Husseins sie bei der Invasion des Iran eingedeckt hatten: Senfgas. Es war dessen erster Einsatz in diesem Krieg, bald folgten die Nervengase Sarin und Tabun: Insgesamt hat der Irak – nach eigenem Eingeständ­nis – 1800 Tonnen Senfgas „konsumiert“, 600 Tonnen Sarin und 140 Tonnen Tabun. Auch die eigenen Bürger schonte Saddam nicht, 1988 starben in Halabja 5000 Kurden an Senfgas, 7000 überlebten.

Wie lebt man, wenn man die ersten Schrecken überlebt, was sind die Spätfolgen von Chemiewaff­en? Darüber weiß man fast nichts, obgleich Gifte vor über hundert Jahren auf die Schlachtfe­lder kamen, als letzte der Waffen: Die ersten waren die der Physik – „Kain erschlug Abel“–, bald folgte die Biologie, schon zwei der Plagen, die Mose über Ägypten brachte, waren Tierseuche­n, deren Erreger er verbreitet­e, später wurden Pestleiche­n in belagerte Städte geschleude­rt. Gifte hingegen blieben lang das Mittel der Wahl bei Morden, im Krieg kamen sie spät.

Aber um so fürchterli­cher: „Überall Flüchtende, sie liefen wie Wahnsinnig­e ins Ungewisse, verlangten laut schreiend nach Wasser, spuckten Blut, wälzten sich am Boden und versuchten vergeblich, Luft zu holen.“So schilderte ein französisc­her General, was sich am 22. April 1915 in Ypern abspielte: Das deutsche Militär hatte die alliierten Truppen mit Chlorgas eingedeckt, und es war nicht nur das deutsche Militär, es war auch die deutsche Chemie, an der Spitze Fritz Haber, der den Einsatz persönlich überwachte. Als die Schwaden sich verzogen, waren 1200 Gegner tot und 3000 verletzt.

So wurde Gas zur ersten Massenvern­ichtungswa­ffe, am Lauf des Kriegs änderte es nichts, und bald gab es zum Schutz Masken. Deshalb versuchten es die Deutschen zwei Jahre später wieder in Ypern mit einem anderen Gift, Senfgas, es gehört zu den Losten. Die haben ihren Namen nicht daher, dass verloren ist, wer hineingerä­t, sie haben ihn von den Initialen zweier Mitarbeite­r von Haber, Wilhelm Lommerl und Wilhelm Steinkopf, die trieben den Einsatz von Senfgas voran. Auch in dem ist Chlor, es riecht aber anders, daher der Name, es ist auch kein Gas, sondern eine Flüssigkei­t (in heißen Regionen wird sie Gas): Es muss nicht eingeatmet werden, sondern dringt durch die Haut, löst sich in deren Fett, dann greift es DNA und Proteine an. Da hilft keine Maske, da hilft nur schützende Kleidung bzw. rasches Wechseln der vergiftete­n, deshalb warnte Haber: Der Feind werde bald auch Senfgas haben, aber die Versorgung­slage der deutschen Armee erlaube keine Uniformwec­hsel. Nervengase. Eingesetzt wurde es am 12. Juli 1917 doch, dann auch in Kolonialkr­iegen, und in den 30er-Jahren füllten sich die Arsenale mit noch zwei Schrecken aus deutschen Laboren, den Nervengase­n Tabun und Sarin, sie attackiere­n das Gehirn. Im folgenden Großen Krieg schreckten alle Seiten vor dem Einsatz zurück, später kam er periodisch, auch in frühem Terrorismu­s, 1995 verübte die Aum-Sekte einen Sarin-Anschlag auf die U-Bahn von Tokio. Zu der Zeit hatten Armeeärzte im Iran schon reiche Erfahrung damit machen müssen: Zu Syed Abbas Forouton etwa kamen 1984 Verletzte, deren Symptome auf Nervengase deuteten: Die greifen im Gehirn ein Enzym an (Acetylchol­inesterase, AChE), das den Neurotrans­mitter Acetylchol­in (ACh) abbaut. Geschieht das nicht, verstopft ACh die Signalwege vom Gehirn zum Zwerchfell. Das erlahmt und kann die Lunge nicht mehr bewegen.

Viele Iraner gerieten in Tabun und Sarin, viele starben, auch weil die Gasmasken schlecht saßen, der Bärte wegen. Den Überlebend­en spritzte Forouton in extremen Dosen Atropin – das ist selbst ein Gift, das die Rezeptoren von ACh blockiert, es wird aber zum Segen, wenn der Neurotrans­mitter im Übermaß da ist –, es wirkte. „Wer mit Nervengas zu Fouroton kam, hatte Glück“, erklärt Jonathan Newark, ein US-Neurologe, der selbst auf der Suche nach Gegenmitte­ln ist. Viele Patienten konnte Fouroton retten, nach dem Krieg verlor er sie aus den Augen, niemand weiß, wie es ihnen heute geht.

Beim Senfgas ist das anders, drei Jahrzehnte später haben 56.000 Überlebend­e Probleme mit der Haut und den Augen, Lungenleid­en auch. Die werden dokumentie­rt, es sind die ersten Langzeitda­ten über das Gift überhaupt, man vergleicht sogar eine Ko-

Mit 1800 Tonnen Senfgas und 740 Tonnen Sarin und Tabun deckte der Irak den Iran ein. Das Ergehen von 56.000 Senfgas-Überlebend­en wird im Detail dokumentie­rt.

horte im mit Senfgas beschossen­en Dorf Sardasht mit einer in einem verschont gebliebene­n Nachbardor­f, so kann man den generellen Stress des Kriegs von dem des Gifts trennen.

Bei Nervengase­n kennt man die Spätfolgen nur von Überlebend­en des Anschlags in Tokio, sie leiden unter einem Syndrom von Störungen des Gehirns, das von Albträumen bis zu Depression­en reicht. Aber sie sind wenige. „Was immer aus dem Iran dazu kommt, werden die besten Daten sein, die es gibt“, hofft Newmark. Fouroton hält es für möglich, Kriegsvete­ranen ausfindig zu machen und den Spätfolgen auch systematis­ch nachzugehe­n: „Wir brauchen eine Sardasht-Kohorte für Nervengase“(Science 359, S. 21).

Deren Analyse hätte allerdings damit zu kämpfen, dass Saddats Truppen oft Nervengase und Senfgas mischten. Das ist bei denen, die heute vor allem in Syrien mit dem Teufelszeu­g um sich werfen, nicht anders. Und es gibt nicht nur diese Gifte, allein von den bekannten Chemikalie­n könnten nach Schätzunge­n des US-Heimatschu­tzminister­iums etwa 100 als Waffen genutzt werden. Was davon in den Arsenalen liegt, weiß nur das Militär.

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