Die Arbeit als Opferschützerin: »Abgeklärt
Steiermarks erste Landeschefin, Waltraud Klasnic, ist seit Kurzem auch Ansprechperson für Missbrauchsopfer des ÖSV. Ein Gespräch über den Fall Karl Kahr, Nicola Werdenigg und die MeToo-Debatte.
Seit Freitag läutet ihr Mobiltelefon wieder öfter. Waltraud Klasnic ist seit November Ansprechperson für Missbrauchsopfer des Österreichischen Skiverbands (ÖSV). Gerade hatte sich die Aufregung darüber etwas gelegt. Doch am Donnerstag, einen Tag vor der Eröffnung der Olympischen Winterspiele in Pyeongchang, wurde ein neuer Vorwurf bekannt. Eine Ex-Skirennläuferin berichtete der „Süddeutschen Zeitung“, sie sei Ende der 1960erJahre vom damaligen Damencheftrainer, Karl Kahr, vergewaltigt worden. Der heute 85-jährige Kahr dementiert das. Waltraud Klasnic hat Erfahrung mit Umgang und Aufklärung von Missbrauchsfällen. Seit 2010 kümmert sich die ehemalige Landeshauptfrau der Steiermark als Vorsitzende der Klasnic-Kommission um Gewalt- und Missbrauchsfälle in kirchlichen Einrichtungen aller Religionsgemeinschaften und staatlichen Heimen. Wir trafen sie im Wiener Büro der Opferschutzanwaltschaft in der Bösendorferstraße zum Gespräch: Frau Klasnic, seit Ende November sind Sie Ansprechperson für Menschen, die sexuellen Missbrauch im Umfeld des Skiverbands erlebt haben. Sie tragen seither rund um die Uhr ein Mobiltelefon mit sich, auf dem man Sie anrufen kann. Wie oft läutet das Handy? Waltraud Klasnic: Rund um die Uhr stimmt nicht, weil ich schlafe ja auch irgendwann. Aber ich habe es einfach bei mir, und es läutet jetzt wieder seltener. Zu Beginn, im November bis in den Jänner hinein, war das massiver, weil alles neu war. Da war eine Welle. Insgesamt gab es bisher viele Anrufe, aber weniger als zehn konkrete Hinweise. Erwarten Sie durch die Veröffentlichung der „Süddeutschen Zeitung“zu Karl Kahr eine weitere Welle? Haben sich am Freitag mehr Menschen als sonst gemeldet? Immer wenn in den Medien berichtet wird, gibt es Anrufe und Anfragen. Heute Vormittag haben sich wieder zwei Personen gemeldet, die aber nichts mit den aktuell diskutierten Fragen zu tun haben, sondern eher allgemeiner Natur waren. Wie laufen diese Telefonate ab? Es geht oft um ein Nachfragen und Weitervermitteln. Nach Interviews in Medien melden sich meistens Menschen, die weder mit dem einen noch dem anderen Bereich zu tun haben, aber mit mir reden wollen. Man kann nicht alles selbst lösen, aber man kennt vielleicht jemanden, der weiterhelfen kann. Die Anfänge: Im April 2010 hat die Bischofskonferenz die sogenannte Klasnic-Kommission eingesetzt, um Fälle von Missbrauch und Gewalt in katholischen und staatlichen Einrichtungen aufzuarbeiten. Klasnic hat als Vorsitzende der achtköpfigen Kommission kein Stimmrecht. Seither haben sich 2741 Menschen bei der Kommission gemeldet, 1793 davon erhielten finanzielle Entschädigung oder Therapien. In Summe wurden mehr als 23 Millionen Euro ausbezahlt. Mehr Infos unter: www.opfer-schutz.at Aufarbeitung der ÖSV-Fälle: Seit Herbst 2017 behandelt Klasnic auch Fälle, die Sie haben Erfahrung mit diesem Thema. Mit der Klasnic-Kommission arbeiten Sie seit acht Jahren Missbrauchsfälle in kirchlichen und staatlichen Institutionen auf. Wie hält man diese Arbeit aus? Ich habe damals einfach angefangen. Und meine eigene Kraft zwar gut eingeschätzt, aber trotzdem überschätzt. Im ersten Jahr ist das ganz gut gegangen. Dann habe ich gemerkt, dass mir ein gewisser Selbstschutz fehlt, den man in psychologischen Berufen lernt. Ich habe gemerkt, ich brauche etwas, und habe dann einem steirischen Psychiater geschrieben. Er hat mir zurückgeschrieben: „Wann immer Sie mich brauchen, bin ich da.“Ich habe ihn bis heute nicht angerufen, aber ich weiß, wenn ich ihn den Österreichischen Skiverband betreffen. Sie ist unabhängige Ansprechstelle für Betroffene und Vorsitzende des Beirats, der alle Fälle prüfen wird, die bis 31. Mai 2018 gemeldet werden. Mitglieder des Beirats sind: Psychiater Reinhard Haller, die Präsidentin des Landesgerichts für Strafsachen in Graz, Caroline List, der Präsident des Roten Kreuzes, Gerald Schöpfer, und der frühere Stadtschulratspräsident Kurt Scholz. Kontakt per Mail an: waltraud.klasnic@opfer-schutz.at oder telefonisch unter: +43/664 38 35 260. Die Gespräche und Informationen werden vertraulich behandelt. brauche, kann ich mich melden. Es ist so wichtig, jemandem das Gefühl zu vermitteln, dass jemand da ist. Dieses „Ich bin da“fehlt oft. Wie viele Opfer haben sich seit 2010 bei Ihnen gemeldet? Bisher wurden 1793 Fälle entschieden, bei denen Betroffene finanzielle Hilfe und/oder eine Therapie bekommen haben. Gemeldet haben sich aber viel mehr. Viele wollen einfach nur erzählen, was passiert ist. Für mein Gegenüber bin ich immer jemand, der öffentlich ist und das erste Mal zuhört, vielleicht auch sagt, es tut mir leid, dass das alles geschehen ist. Auf das haben sie ihr ganzes Leben gewartet. Manchmal geht es darum, den nächsten Schritt zu besprechen. Im psychologischen Gespräch geht es dann in Details, die ich ja nicht nachfrage. Bis heute haben wir 170 bis 255 Fälle pro Jahr. Wobei sich zu 77 Prozent Männer bei uns melden. ÖSV-Präsident Peter Schröcksnadel hat zunächst sehr abweisend auf die Direktanschuldigungen reagiert. Doch dann hat er sich, vielleicht weil ihm das jemand geraten hat, bei mir gemeldet, wir haben uns getroffen. Wir sind nun die Ansprechstelle des ÖSV, viele Fälle, die jetzt bekannt werden aus Schulen oder Skiinternaten betreffen uns aber nicht. Waltraud Klasnic im Büro der Opferschutzanwaltschaft in Wien, unweit des Karlsplatzes. Die katholische Kirche hat mehrere Millionen Euro Entschädigung an Betroffene gezahlt. Ist der ÖSV auch zu Zahlungen bereit? Das war bisher nicht Thema. Jetzt geht es einmal darum, dass wir die Fälle sammeln und prüfen. Man kann das ja nicht nur mit Geld lösen. Da geht es um Therapie, um eine nachträgliche Anerkennung. Oft ist die Würde zerstört. Aber man muss unterscheiden: Im Skisport ist meist eine andere Gruppe von Menschen betroffen, das sind großteils schon Erwachsene. Bei der Kirche hatten und haben wir eher Personen bis 18, nur im Einzelfall ältere. Aber es gleicht kein einziger Fall dem anderen, wie auch kein Leben dem anderen gleicht. Wie viele Menschen haben sich gemeldet? Da kommt eben nicht nur etwas zum ÖSV, da kommt auch Stamms (das Skigymnasium, Anm.), da kommt Schladming (die Skiakademie, Anm.). Bei Schulen ist zum Teil das Land Träger oder die Stadtgemeinde, da sind wir nicht zuständig. Ich leite die Betroffenen weiter, ohne dass sie das Gefühl haben, sie werden jetzt verschickt. Wie gehen Sie damit um, was Sie da zu hören bekommen. Wie finden Sie heraus, ob das Erzählte wahr ist? Da maße ich mir keine Beurteilung an. Wer zu mir kommt, ob Frau oder Mann, muss das Gefühl haben, dass ich ihr oder ihm vertraue. Wenn sie das Gefühl haben, sie glaubt mir eh nicht, reden sie nicht mehr. Doch bei den kirchlichen Einrichtungen haben