Zugerichtet fürs totale Glück
Der viel belächelte Schlager hat sich zuletzt stark verändert: Aus der sentimentalen Sehnsuchtsmusik von Marginalisierten wurde ein Industrieprodukt mit totalitärem Glücksanspruch.
Wir müssten elend darben, wenn wir nicht das Theater hätten. Wir schmachten nach Vorfällen: da haben wir sie, gedrängt und geordnet. Wenn es läutet, ist es nicht der Gasmann, sondern das Schicksal.“Was der berühmte Wiener Theaterkritiker und Aphoristiker Alfred Polgar einst formuliert hat, ist durchaus für die Welt der Schlagersänger adaptierbar. Diese Trivialkunst überhöht bekanntlich noch die banalsten Lebensvorkommnisse ins Schicksalhafte.
Im Schlager hat man immer schon mit der Illusionsbereitschaft der Hörer gearbeitet. Aber niemals zuvor so gründlich, so strategisch, so unerbittlich. Die oberste Soldatin des Genres ist Helene Fischer, eine russischstämmige Sängerin von napoleonischer Winzigkeit. Die drahtige Blondine misst bloß 1,58 m, ist aber seit Jahren die Größte in der Welt des Schlagers. Nächste Woche tritt sie fünfmal hintereinander in der ausverkauften Wiener Stadthalle auf. Am 11. Juli wird sie zudem das garantiert volle Ernst-HappelStadion bespaßen. Mehr als 10 Millionen Alben hat sie im deutschen Sprachraum verkauft – in Zeiten, in denen der Tonträgerverkauf überall sinkt, nur nicht im Schlager.
Mit ihm lukriert die heimische Musikindustrie immerhin 40 Millionen Euro, ein Drittel ihres Gesamtumsatzes. Kein Wunder, dass sich auch die mit Seherschwund kämpfende Fernsehbranche intensiv mit dem von manchen so gerne belächelten Schlager abgibt. Mit Florian Silbereisen, dem von permanent guter Laune ein wenig abgezehrt wirkenden Superstar, hat das deutschsprachige Fernsehen eine Wunderwaffe entdeckt. Während der 36-Jährige früher nur die Schlagernacht des Jahres moderiert hat, erhöh- te die ARD die Taktzahl seiner Präsenz zuletzt dramatisch. Im Dezember attackierte Silbereisen mit dem „Adventfest der 100.000 Lichter“, Mitte Jänner präsentierte er „Schlagerchampions – das große Fest der Besten“und Anfang Februar lockte er mit seinem Gesangstrio Klubbb 3 zur „Hüttenparty“.
Silbereisen, der als 10-Jähriger einen schicksalswendenden Auftritt im „Musikantenstadl“hatte, agiert dieses Trauma seither breitflächig aus. Aus dem einst dicklichen Buben ist der Slim-Fit-Multifunktionär der Branche geworden. Er hat dem Schlager ein junges Publikum erobert, ohne zu viele der Alten zu verschrecken. Dass er der Lebensgefährte von Helene Fischer ist, ist kein Nachteil, selbst um den Preis, dass seine unschuldige Aura zart vom Hautgout des Nepotismus umweht ist. „Wir sind Schlager!“Die Formate, die Silbereisen fürs Fernsehen entwickelt, bringt er später gerne auf die Bühnen. Er tourt dann mit einer clever optimierten Mischung aus jungen und erfahrenen Kräften, um seine Heile-Welt-Botschaft unerbittlich in die Schädel zu hämmern. Sein gemeinsam mit Jan Smit und Christoff De Bolle betriebenes Trio Klubbb 3 verdrängte schon internationale Popgrößen wie Ed Sheeran von der Topposition der Charts. Auch das bedrohlich „Wir werden immer mehr!“betitelte aktuelle Opus stürmte sofort auf Platz eins. Der Opener „Wir sind Schlager!“schraubt eine „Jetzt erst recht!“-Attitüde in die Gehirne der Fans: „Und egal wie manche
Ideologisches Programm zu Billig-Beats: »Schlager sagt, was sonst keiner sagen kann.«
sich beschweren, er wird immer fest zu uns gehören. Es ist wahr, ob du willst oder nicht: Wir sind Schlager!“Zum pochenden Billig-Techno-Rhythmus entfalten die drei Sänger dann ihr ideologisches Programm. „Er ist Kult, er ist Pflicht, dieser Schlager, weil er sagt, was sonst keiner sagen kann. Er macht dein Leben neu, oh, ey, oh.“Das unterstrei- chen die Burschen live noch mit wohl gelauntem Winken. Ja, richtig grüßen, das verschafft Daseinsgewissheit. Fungierte der Schlager der Sechzigerund Siebzigerjahre noch als harmlose Rutsche in schlechte Romantik, eifrig getadelt von jenen, die Theodor Adornos Diktum „Es gibt kein richtiges Leben