TUI: Auf großer Reise mit Friedrich Joussen
Der weltgrößte Reisekonzern hat eine radikale Wende vom strauchelnden Veranstalter zum Hotel- und Kreuzfahrtimperium hingelegt. Der Mann dahinter ist Elektrotechniker, will wenig von goldenen Kühen und alles über die Kunden wissen.
Der Besuch kommt von ganz, ganz oben. Friedrich Joussen ist da. Dass der TUIChef höchstpersönlich bei seinen österreichischen Mitarbeitern in der Wiener Spittelau vorbeischaut, kommt selten vor. Ein-, zweimal im Jahr, höchstens. Den Rest der 365 Tage pendelt der Mann an der Spitze des weltgrößten Reisekonzerns zwischen Hotelprojekten, Schiffswerften, Tochterunternehmen und der Zentrale in Hannover hin und her. Sein Besuch hat alles in Wien etwas durcheinander gebracht, das Team hinkt dem straffen Zeitplan hinterher.
Um vier am Nachmittag schallt schließlich Lachen und Applaus aus dem großen Konferenzraum im obersten Stock des schiffartigen Baus. Heraus tritt der zwei Meter große Manager, schüttelt fröhlich Hände und sieht recht frisch aus für den eben absolvierten Gesprächsmarathon.
Joussen hatte in seiner Karriere wohl auch schon kritischere Gegenüber als die eigenen Mitarbeiter vor sich sitzen. Sie gehören zu den 66.600 von ehemals 74.400 Angestellten, die seit seinem Antritt Anfang 2013 bleiben durften und zusahen, wie er schaffte, was vor sechs Jahren unmachbar schien: Joussen baute den lahmenden Reiseveranstalter, der jahrelang keine Dividende zahlte und Verluste anhäufte, dazu eine teure Doppelstruktur und ein aufgeblähtes Markensammelsurium herumschleppte, zu einem gut funktionierenden Konzern um. Nach einem Jahr im Amt bejubelten ihn die TUI-Aktionäre – wegen einer Dividende von 15 Cent. Später, im selben Jahr, sahen sie gut gelaunt zu, als ihr Aktienwert halbiert wurde, um den Umbau zu einer einzigen, großen TUIGruppe mit rund 18 Mrd. Euro Umsatz zu finanzieren.
Das ging, weil Fritz Joussen, wie er sich rufen lässt, sie mit seiner jovialen Art vom Anbruch besserer Zeiten überzeugte. Was das Überraschende war: Er hielt das Versprechen inmitten von Terroranschlägen, geopolitischen Krisen, Brexit und Naturkatastrophen ein. In den vergangenen drei Jahren wuchs der operative Gewinn von TUI zwischen zwölf und 15 Prozent. In den kommenden drei Jahren will Joussen nochmals jeweils zehn Prozent drauflegen. Das klingt ambitioniert in Zeiten, in denen Hauptreiseziele von TUI wie die Türkei plötzlich zu politischen Minenfeldern werden. Wer ist hier ein Reiseveranstalter? Der Grund für den Erfolg ist fast banal: TUI ist kein Reiseveranstalter mehr. Joussen hat ihn in kurzer Zeit radikal zu einem Hotel- und Kreuzfahrtimperium mit 380 Häusern und 16 hauseigenen Schiffen umgebaut. Dazu kommt noch die Fluglinie TUIfly mit etwa 150 Maschinen. Früher war man ein Händler. Heute ist man Betreiber, Investor und Entwickler. Früher verkaufte man dem Kunden die Pauschalreise im Hochglanzprospekt. Heute gehören die im Heft abgebildeten Resorts und Luxusdampfer mit einiger Wahrscheinlichkeit dem Unternehmen selbst. Das wirft deutlich mehr Gewinn ab. Wie radikal diese Trendwende ist, zeigen die Geschäftsberichte von damals und heute: Die Hotels, Resorts und Kreuzfahrten machen mittlerweile 60 Prozent vom operativen Ergebnis. Als Joussen 2013 übernahm, war es nicht einmal ein Drittel.
Die Neuausrichtung helfe Konzern wie Kunden, sagt er. TUI muss sich nicht mehr mit den niedrigen Margen am umkämpften Reiseveranstalter- markt herumschlagen, in dem Buchungsplattformen wie Expedia und Booking.com die Regeln neu geschrieben und die Preise gedrückt haben. „Es wäre nicht das erste Geschäftsmodell, das wegen des Internets ins Wanken gerät“, sagt Joussen knapp. Gut für den Gast sei das Konzept auch, weil der nun einen Ansprechpartner für alles habe. „Da sitzt jemand und sagt: Ich mach’ dir das. Und wenn du zusätzliche Wünsche hast oder was schiefgeht, rufst du mich an.“Der Traum eines jeden Pauschalreiseurlaubers also.
Wenn man dem studierten Elektrotechniker zuhört, der früher Vodafone Deutschland leitete und 2013 ohne Vorwissen quer in die Branche einstieg, klingt das Reisegeschäft wie ein großes Monopoly-Brettspiel. Die Regeln sind einfach. Punkt eins: Sein Konzern kauft dort zu, wo so gut wie 365 Tage im Jahr die Sonne scheint – die Karibik, Südostasien und die Kap Verden sind solche Ziele, Mallorca dagegen nicht. So dämpft man die Saisonalität der Einnahmen, die alle Reiseveranstalter jeden Winter aufs Neue in Die TUI AG hat eine bewegte Geschichte. Ihre Vorläuferin war die Preußische Bergwerks- und HüttenAktiengesellschaft. Als das Unternehmen nach gut 70 Jahren in der Montanindustrie 1997 HapagLloyd und ein Jahr später die Touristik Union International (TUI) kauft, wird es zum Tourismuskonzern. Die in TUI umbenannte Firma geht in weiterer Folge selbst auf Einkaufstour. Namen wie RIU und Magic Life kommen dazu. Als sie ihren letzten großen Rivalen in England teilweise übernehmen will, endete das in einer verunglückten Doppelstruktur zwischen Hannover und London. Friedrich Joussen, der TUI 2013 übernimmt, fusioniert die beiden Teile. Auch sonst lässt der ehemalige Vodafone-Manager wenig beim Alten. die roten Zahlen rutschen lässt. Punkt zwei: TUI geht dorthin, wo mehr Nachfrage als Angebot besteht. So gibt Joussen Kreuzfahrtschiff nach Kreuzfahrtschiff bei den Werften in Auftrag. „Unsere Schiffe sind immer zu hundert Prozent ausgelastet.“Hat er Angst vor dem Ende des Booms bei den schwimmenden All-inclusive-Clubs? „Kreuzfahrten bleiben ein Wachstumsmarkt, mindestens für die nächsten fünf bis zehn Jahre.“
Wohin geht die Reise in Zukunft? Heilige Kühe gibt es nicht, das machte Joussen zum Einstand mehrmals klar. Etwa 150 Marken wurden in der Folge unter seiner Führung eingestellt oder verkauft. Auch für schlechte Mitarbeiter dürfte er wenig Geduld aufbringen. Jedes Land bekommt seinen Toleranzspielraum, sagt er. Aber wenn es versagt, ist der Chef dran. Dass er die Ankündigung wahr macht, zeigt ein Rückblick in seine Karriere: Als der heute 54-Jährige mit Vodafone den Festnetzanbieter Arcor übernahm, tauschte er die gesamte Führungsmannschaft gegen sich selbst aus. Aus der Zeit hat er den Ruf, dass hinter der jovialen Art und den eingestreuten Späßen und Anekdoten beinharte Machtansprüche und Kalkulationen stehen. Die Kalkulation mit der Zukunft. Die neue Konstante in Joussens Kalkulation ist die Zukunft. Künstliche Intelligenz, Big Data, Blockchain? Der gebürtige Duisburger zuckt nicht mit der Wimper. Das sind keine Neuheiten für ihn. „Die besten IT-Systeme, die Sie heute in der Touristik finden, haben wir bei uns im Einsatz“, sagt er.
Seinen Aktionären hat er auf der Hauptversammlung im Februar wieder etwas Neues versprochen. Diesmal ging es nicht um die Dividende oder die Abschaffung der Doppelgleisigkeiten im Konzerndickicht. Er erzählte ihnen von der schönen neuen Welt, in der TUI immer genauer weiß, was der Kunde will.
Eine simple Rechnung: Der Reisekonzern hat 20 Millionen Kunden, die durchschnittlich 900 Euro im Jahr für ihre Urlaube ausgeben – das macht
Prozent
vom operativen Ergebnis macht der ehemalige Reiseveranstalter heute mit Kreuzfahrtschiffen, Hotels und Resorts. Der Geschäftsteil soll weiter wachsen.
Marken
des TUI-Konzerns wurden auf Friedrich Joussens Kommando ab 2013 verkauft oder eingestellt. Er bestimmte den knallroten, lachenden Mund zum Erkennungszeichen der gesamten Gruppe. einen Jahresumsatz von 18 Mrd. Euro. „Könnten das nicht 920 Euro sein?“, fragt Joussen rhetorisch. Ja, ist die Antwort. Die kennt er bereits, weil die neuen Algorithmen in den skandinavischen Märkten seit Kurzem voll aktiv sind. Normalerweise kaufen Kunden fünf von tausend Angeboten, wenn TUI eine Kampagne fährt. Schlägt das neue System den Skandinaviern auf sie zugeschnittene Zusatzprodukte vor, wird jedes fünfte gekauft. „Und das Beste daran ist: Wir haben monatelang Zeit, Ihnen etwas anzubieten, das Ihnen Spaß macht –, ohne dass irgendjemand anderer davon weiß.“Jetzt klingt Joussen beinahe euphorisch.
2014 jubelten die Aktionäre Friedrich Joussen zu – für eine Dividende von 15 Cent. »Pauschalreisen sind kein Auslaufmodell. Sieht das bei uns nach Rückgang aus?«
Aber auch wenn man die Gäste in eine maßgeschneiderte Unterkunft lotst, ist man noch immer Pauschalreiseanbieter. Ist das die Art von Urlaub, die Zukunft hat? „Die Pauschalreise ist kein Auslaufmodell. Sieht das bei uns nach Rückgang aus?“, fragt er und zählt auf: Die Buchungen seien diesen Jänner so gut wie noch nie in dem Monat in der gesamten Firmengeschichte gewesen. Und 2017 habe man nicht nur das Ergebnis erneut gesteigert, sondern auch eine Million Kunden dazugewonnen.
Dann überlegt Friedrich Joussen kurz. Hinter ihm im Besprechungszimmer steht groß und unübersehbar blitzrot das Logo der TUI: der lachende Mund mit dem Punkt oben rechts. „Wenn Sie eine erfolgreiche Marke haben, wird sie irgendwann die der Eltern statt der Kinder“, sagt er mit etwas Bedauern. Muss der Mund auch weg? „Nein“, sagt er. Der sei so unverhandelbar wie die gemeinsame IT oder seine Strategie für das Hotel- und Kreuzfahrtgeschäft. Das hatte er gegenüber Mitarbeitern und Investoren vom ersten Tag an klargemacht. Ob sie auch an dieser Stelle geklatscht haben, ist nicht überliefert.