Geisterspuren auf Tonträgern
»Hidden Tracks« bringen Überraschungen für die Ohren.
Mit dem Aufstieg des Formatradios seit den 1990er-Jahren ist der Wagemut im Rundfunk dramatisch gesunken: Aus professioneller Angst, den Ausschaltimpuls im Hörer auszulösen, wurden Programme überraschungsfrei. Dass ausgerechnet mit dem Tonträgerformat CD eine Waffe gegen einheitliche „Musikfarbe“entstanden ist, ist vor allem jenen Künstlern klar, die mit Hidden Tracks, also versteckten Songs, operieren. Man nennt die meist angenehmen Überraschungen auch „ghost track“oder „easter egg“. Es sind Lieder oder Geräusche, deren Existenz von der Hülle und vom Booklet verschwiegen wird.
Die Hörer zu verblüffen, wurde auch schon zu Zeiten des Vinyls versucht. Die schwedische Erfolgscombo Abba fabrizierte etwa bei „Super Trouper“eine Endlos-Auslaufrille mit Publikumsapplaus. Pink Floyd spielten auf „Atom Heart Mother“(1970), nach dem Stück „Alan’s Psychedelic Breakfast“, mit dem Geräusch eines tropfenden Wasserhahns: Diesen Effekt, der auf Vinyl auf Endlosigkeit ausgelegt war, verkürzten sie in der CD-Edition dann auf 17 Sekunden.
Anders als in der Kulinarik üblich, servieren Musiker ihren „Gruß aus der Küche“vorzugsweise am Ende. Zuweilen necken sie aber gleich zu Beginn, wie etwa M. J. Cole mit einem stummen Track auf „Sinvere“. Einen Hauch Stille zu servieren, wenn die Hörerwartung auf organisiertes Geräusch aus ist, hat etwas Subversives. Meist aber kommt die Überraschung erst nach Beendigung der offiziellen Songs, versteckt in einer auf dem Cover als besonders lang angegebenen Schlussnummer, die dann doch früher vorbei ist. Aber nach langer Stille prasselt Seltsames auf die Trommelfelle. King Crimson überraschten etwa nach „Islands“mit einer Sequenz, in der Leader Robert Fripp, ganz strenger Dompteur, seinen Musiker Anweisungen gibt. Beliebt ist auch lautstarkes Lachen, etwa nach „Chaos A. D.“von Sepultura. Mit dem brachialen Ruf „Heast!“schreckt dagegen der österreichische Sampler „The Big Lulu Vol.3.“.