Halb gare Spieße dreht Putin besonders gern um
Die Sanktionen, die der Westen nach der Vergiftung des russischen Ex-Spions Skripal verhängte, waren überstürzt. Die Indizien reichen höchstens für eine Anklage gegen Moskau, nicht aber für ein Urteil.
Der Westen wird immer fahriger im Umgang mit Russland. Seine Strafmaßnahmen wirken zunehmend unbedacht. Ende der Woche verhängten die USA aus heiterem Himmel Sanktionen gegen sieben russische Oligarchen, zwölf Firmen und 17 Beamte. Die Begründung fiel weitläufig aus: Die russische Regierung sei rund um den Globus auf bösartige Weise aktiv – von der Krim und der Ostukraine über die Unterstützung des Assad-Regimes bis zur Unterwanderung westlicher Demokratien mit Hackerattacken.
Es handelt sich um eine Art Sammelstrafe, ein unmittelbarer Anlass ist nicht erkennbar. So verschießt man Pulver. Juristisch lässt sich eine Verbindung zu einem Gesetz herstellen, mit dem der US-Kongress 2017 Vergeltung gegen mutmaßliche russische Einmischungsversuche in den US-Präsidentschaftswahlkampf ermöglichte. Das ist leicht absurd. Denn Profiteur einer solchen, in ihrer Auswirkung übrigens heillos übertriebenen Operation wäre das amtierende Staatsoberhaupt gewesen. Vielleicht mimt der USPräsident neuerdings den Putin-Basher, weil US-Sonderermittler Mueller den Kreml-Kontakten der Trump-Corona nachspürt.
Besonders eifrig schwang die US-Regierung im Fall Skripal die Peitsche. Sie schlug nach der Vergiftung des russischen ExSpions in Salisbury eine härtere Gangart als die direkt betroffenen Briten ein. Trump ließ gleich 60 russische Diplomaten ausweisen und dazu noch das Generalkonsulat in Seattle schließen. Gleichzeitig übten die USA hinter den Kulissen Druck aus mitzuziehen. Bumerang. Es war, abgesehen von entbehrlichen Erklärungen, klug von Österreichs Regierung, sich nicht mitreißen zu lassen. Denn mittlerweile erweist sich die überstürzte Solidaritätsaktion als Bumerang. Es deuten zwar drei Indizien darauf hin, dass Moskau hinter dem Anschlag auf Skripal steckt: Erstens ist er ein Überläufer, zweitens haben die Russen das verwendete Nervengift ursprünglich erfunden, das drittens Experten zufolge aus einem staatlichen Labor kommen muss. Doch das reicht für eine Anklage, nicht aber für ein Urteil. Denn es fehlen die Beweise. Keiner kann sagen, wer das Gift auf Skripals Türschnalle geschmiert hat.
Solche Unklarheiten sind ein gefundenes Fressen für die russischen Informationskrieger. Sie nützen jede Schwäche in der Argumentation ihrer Gegner. Es war ein Fest für sie, als der Chef des britischen Militärforschungszentrums Porton Down eingestand, dass sich die Herkunft des eingesetzten Gifts nicht zurückverfolgen lasse. Denn damit strafte er den britischen Außenminister, Boris Johnson, Lügen. Als dann noch das Foreign Office einen Tweet löschte, in dem es behauptet hatte, Porton Down habe die Quelle des Gifts eruiert, war Moskau endgültig in der Gegenoffensive. Da half es auch nichts mehr, dass die „Times“unter Berufung auf Geheimdienste und einen Chemiewaffenexperten behauptete, dass das Gift aus der russischen Militäranlage Schichany stamme.
Wer die russischen Vernebelungskünstler festnageln will, muss schon solide Beweise vorlegen. Sonst drehen sie den Spieß um. Etwas mehr Vor- und Weitsicht wäre von westlichen Regierungen schon zu erwarten.