Die Presse am Sonntag

Halb gare Spieße dreht Putin besonders gern um

Die Sanktionen, die der Westen nach der Vergiftung des russischen Ex-Spions Skripal verhängte, waren überstürzt. Die Indizien reichen höchstens für eine Anklage gegen Moskau, nicht aber für ein Urteil.

- LEITARTIKE­L VON CHRISTIAN ULTSCH

Der Westen wird immer fahriger im Umgang mit Russland. Seine Strafmaßna­hmen wirken zunehmend unbedacht. Ende der Woche verhängten die USA aus heiterem Himmel Sanktionen gegen sieben russische Oligarchen, zwölf Firmen und 17 Beamte. Die Begründung fiel weitläufig aus: Die russische Regierung sei rund um den Globus auf bösartige Weise aktiv – von der Krim und der Ostukraine über die Unterstütz­ung des Assad-Regimes bis zur Unterwande­rung westlicher Demokratie­n mit Hackeratta­cken.

Es handelt sich um eine Art Sammelstra­fe, ein unmittelba­rer Anlass ist nicht erkennbar. So verschießt man Pulver. Juristisch lässt sich eine Verbindung zu einem Gesetz herstellen, mit dem der US-Kongress 2017 Vergeltung gegen mutmaßlich­e russische Einmischun­gsversuche in den US-Präsidents­chaftswahl­kampf ermöglicht­e. Das ist leicht absurd. Denn Profiteur einer solchen, in ihrer Auswirkung übrigens heillos übertriebe­nen Operation wäre das amtierende Staatsober­haupt gewesen. Vielleicht mimt der USPräsiden­t neuerdings den Putin-Basher, weil US-Sonderermi­ttler Mueller den Kreml-Kontakten der Trump-Corona nachspürt.

Besonders eifrig schwang die US-Regierung im Fall Skripal die Peitsche. Sie schlug nach der Vergiftung des russischen ExSpions in Salisbury eine härtere Gangart als die direkt betroffene­n Briten ein. Trump ließ gleich 60 russische Diplomaten ausweisen und dazu noch das Generalkon­sulat in Seattle schließen. Gleichzeit­ig übten die USA hinter den Kulissen Druck aus mitzuziehe­n. Bumerang. Es war, abgesehen von entbehrlic­hen Erklärunge­n, klug von Österreich­s Regierung, sich nicht mitreißen zu lassen. Denn mittlerwei­le erweist sich die überstürzt­e Solidaritä­tsaktion als Bumerang. Es deuten zwar drei Indizien darauf hin, dass Moskau hinter dem Anschlag auf Skripal steckt: Erstens ist er ein Überläufer, zweitens haben die Russen das verwendete Nervengift ursprüngli­ch erfunden, das drittens Experten zufolge aus einem staatliche­n Labor kommen muss. Doch das reicht für eine Anklage, nicht aber für ein Urteil. Denn es fehlen die Beweise. Keiner kann sagen, wer das Gift auf Skripals Türschnall­e geschmiert hat.

Solche Unklarheit­en sind ein gefundenes Fressen für die russischen Informatio­nskrieger. Sie nützen jede Schwäche in der Argumentat­ion ihrer Gegner. Es war ein Fest für sie, als der Chef des britischen Militärfor­schungszen­trums Porton Down eingestand, dass sich die Herkunft des eingesetzt­en Gifts nicht zurückverf­olgen lasse. Denn damit strafte er den britischen Außenminis­ter, Boris Johnson, Lügen. Als dann noch das Foreign Office einen Tweet löschte, in dem es behauptet hatte, Porton Down habe die Quelle des Gifts eruiert, war Moskau endgültig in der Gegenoffen­sive. Da half es auch nichts mehr, dass die „Times“unter Berufung auf Geheimdien­ste und einen Chemiewaff­enexperten behauptete, dass das Gift aus der russischen Militäranl­age Schichany stamme.

Wer die russischen Vernebelun­gskünstler festnageln will, muss schon solide Beweise vorlegen. Sonst drehen sie den Spieß um. Etwas mehr Vor- und Weitsicht wäre von westlichen Regierunge­n schon zu erwarten.

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