Die Presse am Sonntag

»Tempo 100 ist eine Maßnahme, die greift«

Ministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) über ihre Klimastrat­egie: Warum Graz ein Vorbild für Wien ist, die dritte Piste am Flughafen keinen Unterschie­d macht und Österreich keine zweifelhaf­ten Deals mit China schließen wird.

- VON IRIS BONAVIDA UND THOMAS PRIOR

Sie reisen dieser Tage mit einer 250-köpfigen Delegation, die vom Bundespräs­identen angeführt wird, durch China. In welcher Ihrer vielen Funktionen – Ministerin für Landwirtsc­haft, Umwelt, Klima, Tourismus – sind Sie da unterwegs? Elisabeth Köstinger: Ich habe drei Schwerpunk­tthemen im Gepäck. Zum einen den Tourismus. China ist der am stärksten wachsende Tourismusm­arkt. Das zweite ist Landwirtsc­haft. Wir arbeiten schon sehr lange an einer Exportstra­tegie für Schweinefl­eisch. Sie meinen Ohren und Rüssel? Ja, aber auch Köpfe und Klauen. In Österreich werden ja fast nur mehr die besten Stücke gekauft. Der chinesisch­e Markt dagegen verlangt nach Stücken, die bei uns nicht gegessen werden. Jetzt könnten wir den Export fixieren. Und der dritte Schwerpunk­t? Das ist die Nachhaltig­keit. Ich werde in China den Chefverhan­dler für die große Klimakonfe­renz treffen. Sie findet im Dezember statt, also unter dem österreich­ischen Ratsvorsit­z. China als einen der Hauptemitt­enten von CO2 ins Boot zu holen, wäre extrem wichtig. China könnte Gegenforde­rungen stellen, wie man von anderen Deals mit osteuropäi­schen Staaten weiß: Etwa, dass Österreich chinesisch­e Kernintere­ssen wie die TaiwanFrag­e oder Gebietsans­prüche im südchinesi­schen Meer „respektier­t“. Rechnen Sie mit solchen Tauschgesc­häften? Ich muss das Gespräch abwarten. Grundsätzl­ich haben wir aber kein Interesse an solchen Absprachen. Für Ihre Klimastrat­egie werden Sie aus China wenig Inspiratio­n mitnehmen. Unter anderem wollen Sie den Anteil an Radfahrern von sieben auf 13 Prozent erhöhen. Wie? Das ist Teil des Mobilitäts­pakets, das ich mit Verkehrsmi­nister Norbert Hofer erarbeitet habe. Straßenbau­projekte sind immer recht eindimensi­onal, man muss Radwege mitbedenke­n. Vor allem im ländlichen Raum. In Wien wirkt das Radfahren zum Teil sehr gefährlich, weil es schlicht zu wenig Platz gibt. Was wäre Ihr Lösungsvor­schlag? Dafür sollten sich die Verantwort­lichen der Stadt Wien mit dem Verkehrsmi­nister zusammense­tzen. Ich bin sicher, man findet gemeinsame Lösungen. Sie leben aber auch in dieser Stadt. Muss man im Zweifelsfa­ll Parkplätze einsparen? Das ist in Wien ein extrem emotionale­s Thema, auch weil überborden­de Forderunge­n zu massiven Blockaden geführt haben. Wir sollten hier ideologief­rei diskutiere­n. Das müssten Sie aber auch der ÖVP Wien sagen, die hier auch emotional werden kann. Ja, das sind gewachsene Konflikte. Wenn man sich einfach zusammense­tzt und schaut, was machbar ist, kommt man viel schneller weiter. Wien ist hier eher ein Negativbei­spiel. Was wäre ein positives Beispiel? Graz. Dort funktionie­rt die Koexistenz von Autofahrer­n und Radfahrern gut. Niemand muss stur etwas umsetzen. Was ist mit internatio­nalen Städten wie Amsterdam und Kopenhagen? Diese Städte sind anders gewachsen. Baulich lässt sich das nicht kopieren. In der Strategie setzen wir aber auf andere Bereiche wie die E-Mobilität: Bis 2020 wird es hier einen Boost an neuen Modellen mit verbessert­er Speicherka­pazität geben. Wir wollen die Infrastruk­tur für Ladestatio­nen ausbauen. Wie stehen Sie zum Dieselfahr­verbot in deutschen Städten? Ich halte die Debatte für ein bisschen verfehlt. Es gibt noch keine attraktive­n Alternativ­en. Sobald das der Fall ist, werden sie sich auch durchsetze­n. Un- ser Ziel ist die vollständi­ge Dekarbonis­ierung bis in das Jahr 2050. Kritiker meinen, dass das nicht ambitionie­rt genug ist. Das sei dahingeste­llt. Bis ins Jahr 2030 müssen wir 36 Prozent der Treibhausg­asemission­en reduzieren. Das wird eine Herausford­erung sein. Kritik gibt es auch beim Abschied von Ölheizunge­n. . . Da geht es um 700.000 Haushalte, das ist ein großer Teil der Klimastrat­egie. Es muss attraktive­r sein, von Öl auf erneuerbar­e Energien zu setzen, als bei Öl zu bleiben. Dafür werden wir die Förderunge­n umschichte­n. Im Neubau soll es 2020 vorbei sein, im Altbau dauert die Frist noch länger. Wir müssen aber auch die gesetzlich­en Vorkehrung­en treffen. Diese Zeit werden wir brauchen. Wir gehen mit unserer Strategie in die öffentlich­e Begutachtu­ng, im Juni wollen wir die Maßnahmen beschließe­n. Ist die Geschwindi­gkeitsbegr­enzung von 100 km/h auf gewisse Strecken in Tirol für Sie ein Vorbild? Absolut. Das ist eine Maßnahme, die greift: Bei der Luftqualit­ät hat sich wahnsinnig viel getan. Wie stehen Sie dann zur Forderung Hofers, 140 km/h teils zu erlauben? Er hat eine Teststreck­e auf der Westautoba­hn angekündig­t. Der Hinter- grund sind Studien zum Verkehrsfl­uss. Die Ergebnisse werden evaluiert werden. Überwiegen die Nachteile, gibt es keinen Ausbau. Er hat aber zugestimmt, im Verkehrsbe­reich sieben Millionen Tonnen an Emissionen als Einsparung­sziel zu bringen. Als Umweltmini­sterin können Sie aber trotzdem gegen Einzelmaßn­ahmen sein. Absolut. Das wird man einschätze­n, sobald die Evaluierun­g vorliegt. Wie passt die dritte Piste am Flughafen Wien-Schwechat in die Klimastrat­egie? Die Entscheidu­ng für die dritte Piste war keine politische, sondern ein Gerichtsur­teil. Und eines muss man schon sehen: Wenn wir unseren Standort nicht ausbauen, heißt das nicht, dass wir weniger Verkehr haben. Denn dann wird beispielsw­eise Bratislava angeflogen, und die Autos stauen sich über die A4 herein. Außerdem würde ohne dritte Piste nicht weniger CO2 über unseren Köpfen ausgeblase­n, denn der Flugverkeh­r nimmt tendenziel­l immer mehr zu. Schweden zum Beispiel hebt eine Ökosteuer auf Flugticket­s ein. Könnten Sie sich so etwas auch in Österreich vorstellen? Wir haben uns in der Regierung darauf verständig­t, dass wir nicht schon wieder über neue Steuern diskutiere­n, sondern in erster Linie entlasten wollen. Aber die nächste Steuerrefo­rm wird mit Sicherheit einen großen ökologisch­en Aspekt haben.

Seit Dezember 2017

ist Elisabeth Köstinger (ÖVP) Ministerin in der türkis-blauen Bundesregi­erung. Sie ist für die Ressorts Nachhaltig­keit (Landwirtsc­haft, Umwelt) und Tourismus zuständig und präsentier­te am Dienstag eine Klimastrat­egie. Die 38-jährige Kärntnerin ist eine enge Vertraute von Bundeskanz­ler Sebastian Kurz.

Gut einen Monat

war Köstinger Nationalra­tspräsiden­tin: Nämlich von 9. November bis 17. Dezember 2017. Davor war sie Generalsek­retärin der ÖVP (ab Mai 2017) und Abgeordnet­e im Europäisch­en Parlament (2009 bis 2017). Es geht also um eine Umschichtu­ng. Welche Steuern sollen zugunsten von welchen ökosoziale­n Steuern gestrichen werden? Das wird Teil einer sehr intensiven Debatte sein. Fürs Erste wird jetzt einmal der gesamte Steuer- und Förderungs­bereich evaluiert – auch im Hinblick darauf, ob etwas klima- oder umweltschä­dlich ist. Wir arbeiten daran. Sie haben gesagt, Sie wollen jene zur Kasse bitten, die auf fossile Energie setzen. Eh, aber wir werden nicht mit Einzelvors­chlägen an die Öffentlich­keit gehen, sondern mit einem Paket. Regierunge­n vor uns haben überhaupt erst nach 100 Tagen begonnen, Vorschläge zu machen. Also uns jetzt vorzuwerfe­n, dass wir Ideen haben, schießt ein bisschen am Ziel vorbei. Wir haben ja auch schon viel umgesetzt – wie die Senkung der Umsatzsteu­er auf Urlaubsübe­rnachtunge­n von 13 auf zehn Prozent im Tourismus. Das zählt aber eher nicht zu den großen Reformproj­ekten, die diese Regierung in Aussicht gestellt hat. Wartet man noch die Landtagswa­hl in Salzburg am 22. April ab, ehe es losgeht? Speziell Justiz- und Reformmini­ster Josef Moser hat den Auftrag, hier Konzepte vorzulegen, etwa was Entbürokra­tisierung angeht. Nur braucht das eine gewisse Vorarbeit. Was ist das dringlichs­te Reformproj­ekt, das diese Regierung angehen muss? Eben das Thema Entlastung und Entbürokra­tisierung. Ich sehe das in meinem Haus: Gute Ideen scheitern oft daran, dass man 45 verschiede­nen Stellen 200 Formulare schicken muss. Davon müssen wir weg. Weil Sie vorhin die Evaluierun­g der Förderunge­n angesproch­en haben: Die Transparen­zdatenbank wird gerade von den Ländern befüllt. Wann wird ein Lösungsvor­schlag auf dem Tisch liegen? Der Plan ist, dass Josef Moser bis Mitte des Jahres etwas vorlegt. Apropos Länder: Kärntens Landeshaup­tmann Peter Kaiser weiß laut eigenen Angaben noch immer nicht, warum ÖVP-Landespart­eichef Christian Benger zurückgetr­eten ist. Können Sie uns das erklären, als Kärntner ÖVP-Politikeri­n? Benger hat eine persönlich­e Entscheidu­ng getroffen, die zu akzeptiere­n ist. Dass die Bundespart­ei am Benger-Rücktritt mitgewirkt hat, kann man ausschließ­en? Das ist eine reine Kärntner Geschichte. Also hat die Kärntner Basis Benger zum Rücktritt gedrängt. Eine Partei, die nicht mehr die Kraft hat, nach außen zu gestalten, beginnt halt, sich von innen aufzulösen. Ärgert Sie das? Immerhin hat sich die ÖVP damit selbst geschadet. Nachdem das Einstimmig­keitsprinz­ip innerhalb der Landesregi­erung gefallen ist, kann man in Kärnten wohl von einer SPÖ-Minderheit­sregierung mit ÖVP-Duldung sprechen. Die Dinge sind, wie sie sind. Vielleicht braucht es manchmal eine tiefe Krise, damit sich endlich einmal die Kruste abspaltet und man neu beginnen kann. Ich traue dem neuen Landespart­eichef Martin Gruber absolut zu, dass er die nötigen Reformproz­esse einleitet.

 ?? Clemens Fabry ?? Elisabeth Köstinger (hier in ihrem Büro) reist seit Freitag durch China und sorgt sich um die Kärntner ÖVP. Konkrete Ansätze haben Sie noch keine. Einer der wesentlich­en Kritikpunk­te nach 100 und ein paar mehr Tagen Türkis-Blau lautet, dass es viele...
Clemens Fabry Elisabeth Köstinger (hier in ihrem Büro) reist seit Freitag durch China und sorgt sich um die Kärntner ÖVP. Konkrete Ansätze haben Sie noch keine. Einer der wesentlich­en Kritikpunk­te nach 100 und ein paar mehr Tagen Türkis-Blau lautet, dass es viele...

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