»Tempo 100 ist eine Maßnahme, die greift«
Ministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) über ihre Klimastrategie: Warum Graz ein Vorbild für Wien ist, die dritte Piste am Flughafen keinen Unterschied macht und Österreich keine zweifelhaften Deals mit China schließen wird.
Sie reisen dieser Tage mit einer 250-köpfigen Delegation, die vom Bundespräsidenten angeführt wird, durch China. In welcher Ihrer vielen Funktionen – Ministerin für Landwirtschaft, Umwelt, Klima, Tourismus – sind Sie da unterwegs? Elisabeth Köstinger: Ich habe drei Schwerpunktthemen im Gepäck. Zum einen den Tourismus. China ist der am stärksten wachsende Tourismusmarkt. Das zweite ist Landwirtschaft. Wir arbeiten schon sehr lange an einer Exportstrategie für Schweinefleisch. Sie meinen Ohren und Rüssel? Ja, aber auch Köpfe und Klauen. In Österreich werden ja fast nur mehr die besten Stücke gekauft. Der chinesische Markt dagegen verlangt nach Stücken, die bei uns nicht gegessen werden. Jetzt könnten wir den Export fixieren. Und der dritte Schwerpunkt? Das ist die Nachhaltigkeit. Ich werde in China den Chefverhandler für die große Klimakonferenz treffen. Sie findet im Dezember statt, also unter dem österreichischen Ratsvorsitz. China als einen der Hauptemittenten von CO2 ins Boot zu holen, wäre extrem wichtig. China könnte Gegenforderungen stellen, wie man von anderen Deals mit osteuropäischen Staaten weiß: Etwa, dass Österreich chinesische Kerninteressen wie die TaiwanFrage oder Gebietsansprüche im südchinesischen Meer „respektiert“. Rechnen Sie mit solchen Tauschgeschäften? Ich muss das Gespräch abwarten. Grundsätzlich haben wir aber kein Interesse an solchen Absprachen. Für Ihre Klimastrategie werden Sie aus China wenig Inspiration mitnehmen. Unter anderem wollen Sie den Anteil an Radfahrern von sieben auf 13 Prozent erhöhen. Wie? Das ist Teil des Mobilitätspakets, das ich mit Verkehrsminister Norbert Hofer erarbeitet habe. Straßenbauprojekte sind immer recht eindimensional, man muss Radwege mitbedenken. Vor allem im ländlichen Raum. In Wien wirkt das Radfahren zum Teil sehr gefährlich, weil es schlicht zu wenig Platz gibt. Was wäre Ihr Lösungsvorschlag? Dafür sollten sich die Verantwortlichen der Stadt Wien mit dem Verkehrsminister zusammensetzen. Ich bin sicher, man findet gemeinsame Lösungen. Sie leben aber auch in dieser Stadt. Muss man im Zweifelsfall Parkplätze einsparen? Das ist in Wien ein extrem emotionales Thema, auch weil überbordende Forderungen zu massiven Blockaden geführt haben. Wir sollten hier ideologiefrei diskutieren. Das müssten Sie aber auch der ÖVP Wien sagen, die hier auch emotional werden kann. Ja, das sind gewachsene Konflikte. Wenn man sich einfach zusammensetzt und schaut, was machbar ist, kommt man viel schneller weiter. Wien ist hier eher ein Negativbeispiel. Was wäre ein positives Beispiel? Graz. Dort funktioniert die Koexistenz von Autofahrern und Radfahrern gut. Niemand muss stur etwas umsetzen. Was ist mit internationalen Städten wie Amsterdam und Kopenhagen? Diese Städte sind anders gewachsen. Baulich lässt sich das nicht kopieren. In der Strategie setzen wir aber auf andere Bereiche wie die E-Mobilität: Bis 2020 wird es hier einen Boost an neuen Modellen mit verbesserter Speicherkapazität geben. Wir wollen die Infrastruktur für Ladestationen ausbauen. Wie stehen Sie zum Dieselfahrverbot in deutschen Städten? Ich halte die Debatte für ein bisschen verfehlt. Es gibt noch keine attraktiven Alternativen. Sobald das der Fall ist, werden sie sich auch durchsetzen. Un- ser Ziel ist die vollständige Dekarbonisierung bis in das Jahr 2050. Kritiker meinen, dass das nicht ambitioniert genug ist. Das sei dahingestellt. Bis ins Jahr 2030 müssen wir 36 Prozent der Treibhausgasemissionen reduzieren. Das wird eine Herausforderung sein. Kritik gibt es auch beim Abschied von Ölheizungen. . . Da geht es um 700.000 Haushalte, das ist ein großer Teil der Klimastrategie. Es muss attraktiver sein, von Öl auf erneuerbare Energien zu setzen, als bei Öl zu bleiben. Dafür werden wir die Förderungen umschichten. Im Neubau soll es 2020 vorbei sein, im Altbau dauert die Frist noch länger. Wir müssen aber auch die gesetzlichen Vorkehrungen treffen. Diese Zeit werden wir brauchen. Wir gehen mit unserer Strategie in die öffentliche Begutachtung, im Juni wollen wir die Maßnahmen beschließen. Ist die Geschwindigkeitsbegrenzung von 100 km/h auf gewisse Strecken in Tirol für Sie ein Vorbild? Absolut. Das ist eine Maßnahme, die greift: Bei der Luftqualität hat sich wahnsinnig viel getan. Wie stehen Sie dann zur Forderung Hofers, 140 km/h teils zu erlauben? Er hat eine Teststrecke auf der Westautobahn angekündigt. Der Hinter- grund sind Studien zum Verkehrsfluss. Die Ergebnisse werden evaluiert werden. Überwiegen die Nachteile, gibt es keinen Ausbau. Er hat aber zugestimmt, im Verkehrsbereich sieben Millionen Tonnen an Emissionen als Einsparungsziel zu bringen. Als Umweltministerin können Sie aber trotzdem gegen Einzelmaßnahmen sein. Absolut. Das wird man einschätzen, sobald die Evaluierung vorliegt. Wie passt die dritte Piste am Flughafen Wien-Schwechat in die Klimastrategie? Die Entscheidung für die dritte Piste war keine politische, sondern ein Gerichtsurteil. Und eines muss man schon sehen: Wenn wir unseren Standort nicht ausbauen, heißt das nicht, dass wir weniger Verkehr haben. Denn dann wird beispielsweise Bratislava angeflogen, und die Autos stauen sich über die A4 herein. Außerdem würde ohne dritte Piste nicht weniger CO2 über unseren Köpfen ausgeblasen, denn der Flugverkehr nimmt tendenziell immer mehr zu. Schweden zum Beispiel hebt eine Ökosteuer auf Flugtickets ein. Könnten Sie sich so etwas auch in Österreich vorstellen? Wir haben uns in der Regierung darauf verständigt, dass wir nicht schon wieder über neue Steuern diskutieren, sondern in erster Linie entlasten wollen. Aber die nächste Steuerreform wird mit Sicherheit einen großen ökologischen Aspekt haben.
Seit Dezember 2017
ist Elisabeth Köstinger (ÖVP) Ministerin in der türkis-blauen Bundesregierung. Sie ist für die Ressorts Nachhaltigkeit (Landwirtschaft, Umwelt) und Tourismus zuständig und präsentierte am Dienstag eine Klimastrategie. Die 38-jährige Kärntnerin ist eine enge Vertraute von Bundeskanzler Sebastian Kurz.
Gut einen Monat
war Köstinger Nationalratspräsidentin: Nämlich von 9. November bis 17. Dezember 2017. Davor war sie Generalsekretärin der ÖVP (ab Mai 2017) und Abgeordnete im Europäischen Parlament (2009 bis 2017). Es geht also um eine Umschichtung. Welche Steuern sollen zugunsten von welchen ökosozialen Steuern gestrichen werden? Das wird Teil einer sehr intensiven Debatte sein. Fürs Erste wird jetzt einmal der gesamte Steuer- und Förderungsbereich evaluiert – auch im Hinblick darauf, ob etwas klima- oder umweltschädlich ist. Wir arbeiten daran. Sie haben gesagt, Sie wollen jene zur Kasse bitten, die auf fossile Energie setzen. Eh, aber wir werden nicht mit Einzelvorschlägen an die Öffentlichkeit gehen, sondern mit einem Paket. Regierungen vor uns haben überhaupt erst nach 100 Tagen begonnen, Vorschläge zu machen. Also uns jetzt vorzuwerfen, dass wir Ideen haben, schießt ein bisschen am Ziel vorbei. Wir haben ja auch schon viel umgesetzt – wie die Senkung der Umsatzsteuer auf Urlaubsübernachtungen von 13 auf zehn Prozent im Tourismus. Das zählt aber eher nicht zu den großen Reformprojekten, die diese Regierung in Aussicht gestellt hat. Wartet man noch die Landtagswahl in Salzburg am 22. April ab, ehe es losgeht? Speziell Justiz- und Reformminister Josef Moser hat den Auftrag, hier Konzepte vorzulegen, etwa was Entbürokratisierung angeht. Nur braucht das eine gewisse Vorarbeit. Was ist das dringlichste Reformprojekt, das diese Regierung angehen muss? Eben das Thema Entlastung und Entbürokratisierung. Ich sehe das in meinem Haus: Gute Ideen scheitern oft daran, dass man 45 verschiedenen Stellen 200 Formulare schicken muss. Davon müssen wir weg. Weil Sie vorhin die Evaluierung der Förderungen angesprochen haben: Die Transparenzdatenbank wird gerade von den Ländern befüllt. Wann wird ein Lösungsvorschlag auf dem Tisch liegen? Der Plan ist, dass Josef Moser bis Mitte des Jahres etwas vorlegt. Apropos Länder: Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser weiß laut eigenen Angaben noch immer nicht, warum ÖVP-Landesparteichef Christian Benger zurückgetreten ist. Können Sie uns das erklären, als Kärntner ÖVP-Politikerin? Benger hat eine persönliche Entscheidung getroffen, die zu akzeptieren ist. Dass die Bundespartei am Benger-Rücktritt mitgewirkt hat, kann man ausschließen? Das ist eine reine Kärntner Geschichte. Also hat die Kärntner Basis Benger zum Rücktritt gedrängt. Eine Partei, die nicht mehr die Kraft hat, nach außen zu gestalten, beginnt halt, sich von innen aufzulösen. Ärgert Sie das? Immerhin hat sich die ÖVP damit selbst geschadet. Nachdem das Einstimmigkeitsprinzip innerhalb der Landesregierung gefallen ist, kann man in Kärnten wohl von einer SPÖ-Minderheitsregierung mit ÖVP-Duldung sprechen. Die Dinge sind, wie sie sind. Vielleicht braucht es manchmal eine tiefe Krise, damit sich endlich einmal die Kruste abspaltet und man neu beginnen kann. Ich traue dem neuen Landesparteichef Martin Gruber absolut zu, dass er die nötigen Reformprozesse einleitet.