»Ein Glaube, ein Prinzip, eine Partei!«
Von allen Politikern Ungarns hat Premier Viktor Orb´an die treuesten Anhänger. Aber die Jugend hat er verloren, auch außerhalb der linksdrehenden Hauptstadt. Doch die Opposition ist in sich zerstritten und brächte selbst bei einer kombinierten Mehrheit ka
Man muss lang suchen, um in Szolnoks Innenstadt noch eine Gulaschsuppe zu finden. Allenthalben chinesische Schnellimbisse, Pizza- und Gyrosbuden in der von Plattenbauten aus kommunistischer Zeit dominierten Stadt südöstlich von Budapest.
Wie eine Zeitkapsel versteckt ist darin ein winziges Lokal, das auch so heißt: „Törpe“, Zwerg. Weniger ein Restaurant als eine „E´tkezde“, eine Alltagsküche mit preiswerter, guter Hausmannskost. Hier sind Alteingesessene und das ebenso alteingesessene Personal unter sich. „Alfölder Rindsgulasch oder Bohnengulasch?“, fragt Rozsi´ Deak´ Lajosne,´ während sie einem anderen Kunden sein Essen bringt. »Ich liebe Viktor Orb´an.« Mit dem Gulasch kommt auch schon die Politik. „Ich war schon immer links“, sagt Roz-´ si. Hier war jeder schon immer irgendwie orientiert: Elvira Budai, eine der beiden Köchinnen, und die andere ältere Dame in der Küche, die ihren Namen nicht verraten möchte, waren schon immer rechts. Sie wollen am Sonntag bei der Parlamentswahl wieder für die Regierungspartei Fidesz und für Ministerpräsident Viktor Orban´ stimmen.
„Ein Glaube, ein Prinzip, eine Partei!“sagt die namenlose Köchin. Sie braucht kein Parteiprogramm, um von Fidesz überzeugt zu sein. Das ist gut so, denn Fidesz hat als einzige Partei auch gar kein Programm. Hatte schon bei der Wahl 2014 keines. Elvira Budai hat auch einen relativ simplen Grund, warum sie für Fidesz stimmt: „Ich liebe Viktor Orban!“.´ Ein fast religiöser Zusammenhalt. Kein Zweifel, von allen Parteien hat Fidesz und von allen Politikern Orban´ die treuesten und meisten Anhänger. Sein ganzer Wahlkampf dreht sich darum, diese zu mobilisieren und zu den Urnen zu bringen. „Unsere Gemeinschaft“nennt er seine Wähler. Da gibt es einen Zusammenhalt wie fast in einer Glaubensgemeinschaft. Andere zu überzeugen, darum kümmert er sich nicht, hat es vielleicht auch nicht nötig. Und Fidesz liegt in den Umfragen scheinbar unschlagbar voran.
Aber weil die Partei sich nur um ihre „Gemeinschaft“kümmert, hat sie wenig potenzielle Reserven unter den Nichtwählern. Das sind 35 bis 40 Prozent der Wahlberechtigten. Sollten sie sich auf den Weg zu den Urnen machen, kann es plötzlich brenzlig werden: 2014 lag die Wahlbeteiligung bei 57 Prozent. Experten zufolge könnte eine Beteiligung von 70 Prozent heute das Ende der Regierung bedeuten.
Rozsi,´ die Linke, ist wortreicher als die Köchinnen. „Diese Räuber, sie stehlen, was sie nur können und lügen uns dabei ins Gesicht“, sagt sie über die Regierung. Die zur Opposition tendierenden Medien sind voller Skandalnachrichten über Missbrauch von EUGeld und verdächtigen Staatsaufträgen für Verbündete oder gar Verwandte von Ministerpräsident Orban.´
Hier in Szolnok (rund 73.000 Einwohner) war einst die Linke groß. Eine Industriestadt, die nach der Wende schwere Zeiten erlebt hat. Aus den früheren Kommunisten wurden mit der Zeit zwei bitter rivalisierende Parteien: die klassischen, auch in der von Hauptstädtern so genannten „Provinz“tief verwurzelten Sozialisten (MSZP) und die „urban“tickende Demokratische Koalition (DK) des früheren Ministerpräsidenten Ferenc Gyurcsany´ – auch als „Lügen-Premier“bekannt, seit er 2006 zugab, die Wähler eigentlich pausenlos angelogen zu haben.
Aus dem linken Kollaps, der darauf folgte, wuchs der Erfolg Viktor Orbans.´ Auch in Szolnok. Fidesz gewann hier 2014 mit 37 Prozent der Stimmen. Die Opposition hatte viel mehr, aber verteilt auf mehrere Parteien.
Rozsi´ ist DK-loyal. Bei der Wahl aber wird sie für den MSZP-Kandidaten stimmen, die beiden Linksparteien haben sich abgesprochen und stellen in jedem Wahlkreis nur einen Kandidaten auf, je nach örtlicher Befindlichkeit MSZP oder DK. In Rozsis´ Wahlbezirk ist es ein MSZP-Mann. „Aber bei der Liste wähle ich DK“, sagt sie. So klein und so zerstritten. Die zerstrittenen Kleinen. Solch taktische Kooperation wäre ein denkbares Erfolgsrezept gegen die Regierungspartei, wenn alle mitmachen würden: Die extrem rechte Jobbik, die neue Jugendpartei Momentum, die grüne LMP, deren Chefin Bernadett Szel´ hier in Szolnok überraschend viele Plakate hängen hat. Aber bisher will hier keiner zugunsten eines anderen zurückstecken.
Attila Perei (65) will für LMP stimmen. Er ist Pensionist, arbeitet aber als Verkäufer in einem Geschäft. Er hat in seinem Leben nur einmal gewählt, kurz nach der Wende. Seither gehört er zu jenem Drittel der Wählerschaft, das sich nicht für Wahlen interessiert.
„Ich finde Berni (LMP-Chefin Bernadette Szel)´ gut“, sagt er. „Immer gut vorbereitet, immer gute Argumente, immer bleibt sie bei den Fakten statt ausfällig zu werden.“Fidesz, so findet er, hat lang genug regiert. „Acht Jahre am Stück, das reicht“.
Das also ist einer von den Wählern, vor denen Fidesz Angst haben muss: Nichtwähler, die aus ihrer Lethargie erwachen. Am meisten muss Orban´ aber die Jugend fürchten, die Erstwähler. Hier in Szolnok, und erst recht in Budapest, findet man nur schwer junge Menschen, die für Fidesz stimmen wollen. „Ich bin für Momentum“, sagt Roland Boros (19). Er zog auch Fidesz und die LMP in Betracht, aber Momentum, so findet er, vertrete am besten das Lebensgefühl seiner Generation.
„Ich will nicht auswandern müssen, um gutes Geld zu verdienen, ich will hier in Ungarn eine Zukunft sehen“, sagt er. Dafür stehe auch Momentum. „Bei uns im Freundeskreis sind wir vielleicht drei, die so denken. Alle anderen wollen für Jobbik stimmen.“Die extrem rechte Partei erzielte in Szolnok 2014 mehr als 20 Prozent. Rückte Jobbik etwa nach links? Die neue, liberale Momentum-Partei liegt landesweit indes bei höchstens drei Prozent der Wählersympathien, fast ausschließlich seitens junger Leute.
„Jobbik ist im Abstieg begriffen“, meint die linke Rozsi.´ „Die sind jetzt so gemäßigt. Erst waren sie gegen Zigeuner, jetzt entschuldigen sie sich bei ihnen. Und dann dieses Gerede, dass es mit muslimischen Migranten nicht so schlimm ist. Das hat ihnen geschadet!“
In Szolnok bleiben die Oppositionsparteien verfeindet und Fidesz stabil; einzig die Wahlbeteiligung könnte da etwas ändern. „Die Wahl beschäftigt die Menschen viel mehr als 2014“, sagt eine Kundin, die ihren Na-
Prozent der Befragten
wollen zuletzt im Schnitt aktueller Umfragen in Ungarn für Premier Orb´an und seine Fidesz stimmen.
Prozent
sind es für die extrem rechte Jobbik.
Prozent
gaben die Sozialisten der MSZP an, die sich einen Grünpolitiker als Spitzenkandidat „ausleihen“mussten.
Prozent
neigen der Grünpartei namens „Politik kann anders sein“unter Bernadette Sz´el zu.
Prozent
deklarierten sich für die linksliberale „Demokratische Koalition“von ExPremier Gyurcs´any. men nicht nennen will. Sie selbst werde nicht wählen: „In unserer Familie sind wegen der Politik alle zerstritten, ich will es mir mit keinem verderben.“
Der frühere linke Premier Gyurcs´any gab zu, die Wähler pausenlos belogen zu haben. Ein Sieg der Opposition kann vieles bringen, nur keine funktionsfähige Regierung.
Budapest ist eine andere Welt. Dort hat Fidesz nie einen leichten Stand gehabt. Die Wahl-Landkarte Ungarns 2014 sah am Ende flächendeckend orange aus, die Farbe der Partei, nur mit einem roten Fleck in der Mitte: eben Budapest. Die Hauptstadt allein stellt mehr als 20 der 199 Parlamentsabgeordneten und fällt daher spürbar ins Gewicht. Hier sind die landesweit kleinen linken und liberalen Parteien viel größer: DK, Momentum, LMP. Ihre Führer treffen sich dauernd, um Taktik zu besprechen: Wer tritt in welchem Bezirk zu wessen Gunsten zurück? »Immerhin tun sie was fürs Land.« Natürlich gibt es auch hier Fidesz-Wähler, vor allem unter jenen, die älter sind als 40 Jahre und im wohlhabenderen Stadtteil Buda leben. „Ich weiß ja, dass sie stehlen“, sagt beispielsweise Monika, eine Buchhalterin, die nebenbei ein Maniküre-Studio betreibt, über die Regierung. „Aber das interessiert mich nicht, immerhin arbeiten sie auch und tun etwas für das Land – anders als die Sozialisten, die nur klauten und nichts taten.“
Zum ersten Mal spielen Schüler eine Rolle im Wahlkampf. Sie demonstrieren gegen Orbans´ Bildungspolitik, und es gelang ihnen sogar, die Parteispitzen zu einer gemeinsamen Debatte zu laden. Sogar Jobbik-Chef Gabor´ Vona kam, nur Orban´ nicht. Es wurde ein denkwürdiger Abend, der vor allem eine Frage aufwarf: Was, wenn Orban´ wirklich die Mehrheit verliert? MSZPSpitzenkandidat Gergely Karacsony´ schoss gegen LMP-Chefin Bernadette Szel´ und Jobbik-Chef Gabor´ Vona, und umgekehrt. Da war’s mit Händen zu greifen: Ein Wahlsieg der Oppositionsparteien kann alles Mögliche bringen, nur keine funktionsfähige Regierung.
Das will man wohl aber auch gar nicht. „Wir wollen das Wahlsystem ändern und dann erst mal Neuwahlen“, sagt der linke Karacsony.´