Ausländer«
nale Wirtschaftsvergleiche (WIIW) von der „Magyarhilferstraße“, wie der Volksmund Ende der 1980er-Jahre die Einkaufsstraße taufte, als zahllose Ungarn die neue Reisefreiheit zum Einkaufsbummel in Wien nutzten. Richter heuerte 1990 als junger Ökonom beim WIIW an. Das Institut war schon damals angesehen und der Lohn fünfmal so hoch wie in Ungarn – „und das für eine ähnliche Arbeit“.
Richter las damals eine Studie, wonach viele Migranten planten, für zwei Jahre im Ausland zu bleiben. Er sah das ganz ähnlich. Es kam anders. Die meisten befreundeten Akademiker auf seinen „Ungarn-Parties“, die er einmal pro Jahr schmiss, zog es zwar wieder jenseits die Leitha. Aber Richter blieb. Inzwischen ist er österreichischer Staatsbürger. „Von Budapest nach Wien: Das ist die angenehmste Form von Migration“, sagt er. Weil die Distanzen kurz seien. Richter fährt alle zwei, drei Wochen nach Ungarn. Die Mentalität sei in beiden Ländern ähnlich. Man teilt sich eine „gewisse Gemütlichkeit“. In Ungarn sei aber der „Humor roher“.
Die neue Generation an Ungarn in Wien kennt der 65-Jährige nicht persönlich. In den sozialen Netzwerken ist er aber Mitglied in Gruppen von Auslandsungarn in Österreich. Dort deutet sich der Riss in der Community an. Es werde über Orban´ geschimpft, und über jene, die über Orban´ schimpfen. In seinem Freundeskreis in Ungarn, die meisten Akademiker, gebe es auch einige Orban-´Anhänger. „Mit denen redet man dann nicht über Politik. Man möchte sie nicht verletzen.“Es brächte auch nichts: „Was viele Österreicher nicht verstehen: Ein Orban-´Unterstützer zu sein, ist eine psychologische Geschichte. Es geht nicht um Argumente. Es gibt Menschen, die an ihn glauben.“
Richter zählt nicht dazu. Er habe nach 1989 lange das Gefühl gehabt, dass es für Ungarn trotz aller Rückschläge doch bergauf Richtung Modernisierung und Richtung Westen gehe. Dann habe Orban´ gewendet und Kurs auf Länder wie Russland oder die Türkei genommen: „Das ist sehr traurig.“Die Einladungen zu Empfängen in der ungarischen Botschaft in Wien schlägt Richter inzwischen aus. Warum? Er zögert. Dann sagt er: „Wegen der Politik.“ Der Professor ist noch immer umtriebig. Paul Lendvai kommt von einer Vortragsreise in den USA. Nächste Station ist Budapest. Aber nun ist der 88-Jährige auf Zwischenstopp in Wien, in seiner Heimat, in der er seit rund sechs Jahrzehnten lebt und der im Zweifel seine ganze Loyalität gehört: „Österreich ist mir näher als Ungarn.“Diese Botschaft ist ihm wichtig. Schon nach seiner Ankunft in den 1950er-Jahren mied er Kontakt zu Migrantenver- einen – „die Regierungen hatten dort ihre Informanten eingebaut“. Er schrieb jahrzehntelang als Korrespondent auf Deutsch. Auf Englisch. Aber nicht auf Ungarisch. Und er wurde österreichischer Staatsbürger.
Seine dritte Ehe mit der Verlegerin Zsoka´ Lendvai führe ihn nun wieder näher an Ungarn heran. Über seine Frau habe er neue Kontakte zur Kulturwelt geknüpft. Und sah, was ausländische Beobachter nicht sehen: Den Zustand der Spitäler etwa, als ein Verwandter seiner Frau krank wurde. „Das Gesundheitswesen und auch der Bildungsbereich sind total vernachlässigt worden.“Österreich habe im Vergleich zu Ungarn einen „unglaublichen Vorsprung“– von der Wirtschaftskraft bis hin zur „Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit“, sagt Lendvai, der neben einer Wand aus Büchern sitzt, von denen er viele selbst geschrieben hat. Eines davon heißt: „Mein verspieltes Land“(2010). Es ist auch eine Abrech- Der Publizist (88) lebt seit sechs Jahrzehnten in Wien – und scheut Veranstaltungen der ungarischen Botschaft.