Die Presse am Sonntag

Von Kleingärte­n und Urban Gardening

Paradoxerw­eise ist gerade in der Stadt das Verständni­s für Landwirtsc­haft groß.

- VON KARIN SCHUH

In Wien gibt es nicht nur landwirtsc­haftliche Betriebe – und diese naturgemäß vorwiegend am Stadtrand. Es gibt natürlich auch eine Wiener Landwirtsc­haftskamme­r und einen Wiener Bauernbund der ÖVP. Der Bauernbund besteht seit 1936. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg, nämlich 1957, folgte die Wiener Landwirtsc­haftskamme­r.

In der Entstehung­sgeschicht­e ebendieser gibt es eine hübsche Anekdote, die als typisch österreich­isch einzustufe­n ist. Ganze zehn Jahre wurde nämlich im Vorfeld verhandelt, weshalb auch vom „landwirtsc­haftlichen Staatsvert­rag“die Rede war. Man war sich nicht ganz einig, für wen aller die Pflichtmit­gliedschaf­t gelten solle. Der SPÖ war es ein Anliegen, dass auch die Kleingärtn­er, klassische SPÖ-Klientel, dazugehöre­n. Es hätte damit wohl einen anderen (nämlich roten) Wiener Landwirtsc­haftskamme­r-Präsident ge- geben. Durchgeset­zt hat man sich nicht. Als Kompromiss­lösung werden aber auch heute noch drei der 23 Kammerräte von den Kleingärtn­ern – konkret vom Landesverb­and Wien des Zentralver­bandes der Kleingärtn­er, Siedler und Kleintierz­üchter Österreich­s – vorgeschla­gen. Die Mitglieder der Wiener Landwirtsc­haftskamme­r haben übrigens erst im März gewählt (rund 80 Prozent der Stimmen gingen an den Wiener Bauernbund, knapp 17 Prozent an den Österreich­ischen Arbeitsbau­ernbund Wien, die Unabhängig­en und Grünen Bäuerinnen und Bauern schafften den Einzug in die Vollversam­mlung knapp nicht).

Auch wenn Kleingärtn­er in der Landwirtsc­haftskamme­r heute etwas verwundern mag, werden doch Kleingärte­n vorwiegend als privates Erholungsg­ebiet verstanden und nicht als landwirtsc­haftlicher Minibetrie­b. In der Nachkriegs­zeit waren sie allerdings ein wichtiger Bestandtei­l zur Versorgung der Stadt. Heute würde man das Urban Gardening nennen, wenn auch mit einem anderen Hintergrun­d. Während früher die Ernährungs­sicherheit wichtig war, geht es heute darum, zu wissen, wie Lebensmitt­el entstehen und woher sie kommen. Hühner im G arten. Das wird übrigens auch in jenen Bezirken deutlich, in denen noch immer Landwirtsc­haft betrieben wird. In Grinzing zum Beispiel werden die privaten Hühnerhalt­er wieder mehr, wie der Biowinzer Martin Obermann beobachtet hat. Er bewirtscha­ftet in mittlerwei­le fünfter Generation ein Weingut. Seine Großeltern hatten noch eine typische Mischwirts­chaft mit Kühen und Schweinen. „Damals war Grinzing ein altes Bauerndorf, abgeschnit-

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