Der Geruch
Das Gas, das seinen Namen daher hat, dass es riecht – Ozon –, schützt hoch in der Atmosphäre unser Leben und kann es uns unten schwer machen.
Den 13. Merz 1839. Herr Prof. Schönbein macht die Basler Naturkundliche Gesellschaft auf die merkwürdige und bisher noch nicht beobachtete Thatsache aufmerksam, dass bei der Electrolyse des Wassers an den positiven Elektrode ein Geruch entwickelt wird.“Den gibt es auch in ganz normaler Luft, wenn Blitze durch sie fahren, dort hatte ihn Schönbein als Kind erschnuppert. Als er ihm als Chemiker an der Uni Basel wieder begegnete, war der Geruch 50 Jahre zuvor dem Holländer Martinus van Marum in die Nase gestiegen, auch im Zusammenhang mit Elektrizität, die hielt er für die Quelle und nannte den Fund danach: „Geruch der Elektrizität“.
Er verfolgte ihn nicht weiter, Schönbein tat es, er sah ein Produkt der Elektrolyse dahinter, Sauerstoff, aber den von Bequerell vorgeschlagenen Namen – „elektrifizierter Sauerstoff“– lehnte er ab, da er den Geruch auch aus weißem Phosphor und feuchter Luft ziehen konnte. So nannte er den Fund schlicht „Geruch“bzw. „Ozon“, es kommt vom griechischen Wort dafür. (In der internationalen Nomenklatur heißt das aus drei Sauerstoffatomen bestehende Gas „Trioxygen“). Dem widmete er sein Leben, er roch auch früh, dass es „im Haushalt der belebten und unbelebten Natur unseres Planeten eine große und noch ungeahnte Rolle spielt“.
Die zeigte sich zunächst, als man merkte, dass Ozon ein starkes Oxidationsmittel ist, das Mikroorganismen zu Tode bringt: 1893 wurde damit erstmals das Trinkwasser einer Stadt desinfiziert – Oushoorn in Holland –, im Ersten Weltkrieg kam der medizinische Einsatz zum Sterilisieren von Wunden. In beiden Bereichen wird Ozon heute noch genutzt, eher am Rand. Ganz aus der Mode gekommen ist es als Zugpferd des Tourismus: Vor nicht langer Zeit warben höher gelegene Ferienorte mit „ozonreicher Bergluft“, aber seit das Gas auch in den Tälern Augen und Lungen reizt, ist es damit vorbei: In den 90er-Jahren stiegen die Werte allsommerlich so stark, dass Smogalarm ausgerufen werden musste, weil Geräte und Aktivitäten der Menschen – vor allem Autos und ihr Fahren – zu viele Vorläufersubstanzen in die Luft brachten, Stickstoffdioxid vor allem (NO2). Aus dem und Sauerstoff (O2) wird unter Sonnenlicht Ozon (O3) und Stickstoffmonoxid (NO). Letzteres baut Ozon ab – zu NO2 und O2 –, es braucht dazu kein Sonnenlicht, und weil es auch aus Auspuffen kommt, verschwindet das Ozon über Nacht just in Verkehrshöllen, in reinerer Luft hingegen nicht.
Aber wo immer es ist, es schadet der Vegetation, es schadet Menschen, greift nicht nur die Lunge an, sondern bedroht auch Herz und Hirn, das zeigte sich im Vorjahr in China (Jama International Medicine 2017.2842). Dort sind die Werte stark gestiegen, bei uns haben sie sich in den letzten Jahren verringert, durch die Katalysatoren, die Stickoxide aus den Abgasen bringen. Das zeigt die jüngste globale Bilanz einer Gruppe um Martin Schulz (Jülich), sie leidet allerdings daran, dass flächendeckend nur in Europa und Nordamerika gemessen wird (Elementa Science of the Anthropocene 5. 2.). Doppelgesicht des Lichts. Soviel zum bösen Ozon ganz unten in der Atmosphäre. Aber in den 20er-Jahren merkte man, dass es Ozon auch hoch oben gibt, und dass das gut ist, weil es UVStrahlen der Sonne abfängt: Deren Licht ist doppelgesichtig, es hat das Leben aufblühen lassen – durch seine in der Fotosynthese genutzte Energie –, es bedroht das Leben, UV greift DNA an. So konnte Leben zunächst nur im Wasser gedeihen – UV dringt nicht tief –, dort Fotosynthese betreiben und sich mit deren Abfallprodukt Sauerstoff das Land bewohnbar machen: Hoch in der Atmosphäre wird er vom Sonnenlicht in Ozon umgewandelt, es legte sich als schützende Schicht rund um den Planeten, das Leben konnte aufblühen.
Aber vor 252 Millionen Jahren, am Ende des Perm, wäre es fast am Ende gewesen: Im größten aller Massensterben verschwanden 70 Prozent aller Tiere, auch viele Pflanzen sanken dahin. Was da alles zusammenkam, ist nicht restlos geklärt, zentral waren unvorstellbare Vulkane in Sibirien. Deren Ausdünstungen vergifteten Luft und Wasser, und ihr CO2 brachte Hitze, die legte organisches Material in Sümpfen frei, das holte beim Verrotten Sauerstoff aus der Luft, die Gehalte sanken von 30 Pro- zent auf 13 (heute: 21). Und es kam nicht nur CO2 aus den Vulkanen, es kam auch Chlorwasserstoff, HCl.
Der – bzw. die daraus entstehende Salzsäure – greift Ozon an, und Nachschub war mangels Sauerstoff nicht in Sicht. Das könnte am Ende des Perm Pflanzen getroffen haben, es gibt aus der Zeit verformte Pollen von Koniferen, und es gibt den Verdacht, dafür habe UV gesorgt. Bestätigt hat das nun Jeffrey Benca (Berkeley), an Kiefern, die er im Labor UV-Strahlen aussetzte. Kiefern im Labor? Benca nahm Bonsais und bestrahlte sie mit dem 13-fachen der in Berkeley üblichen UV-Dosis, soviel könnte damals gekommen sein: Die Pollen wurden verformt und steril (Science Advances 7. 2.).
Als Werbung für die Berge hat »ozonreiche Luft« ausgedient, seit sie auch in Tälern reizt. Als das Ozon hoch oben ganz dünn wurde, trug das zum größten Massensterben bei.
So haben Pflanzen an der Katastrophe gelitten und sie verschärft, sie fielen als Futterquellen aus. Könnten sie das wieder tun? In den 80er-Jahren merkte man, dass mit der Ozonschicht etwas nicht stimmt, sie wurde dünn, erdweit, vor allem aber über der Antarktis, dort gähnte das Ozonloch. Das kam nicht von der Natur mit Vulkanen, sondern vom Menschen mit Chemikalien, fluorierten und chlorierten Kohlenwasserstoffen, FCKWs, die wurden etwa als Treibgase eingesetzt. Die internationale Gemeinschaft reagierte und verbot im Montrealer Protokoll 1987 FCKWs, es griff, die Ozonschicht erholte sich, bis 2050 hätte alles sein sollen wie zuvor.
Aber nun hat sie sich neuerlich ausgedünnt, über gemäßigten Breiten, da lebt die Menschheit – das Loch über der Antarktis hatte niemanden bedroht –, deshalb macht der Befund von William Ball (ETH Zürich) Kopfzerbrechen (Atmospheric Chemistry and Physics 6. 2.). Und deshalb, weil man die Ursache nicht kennt, Ball vermutet wieder Chemikalien, VSLS – „very short lived substances“–, man hielt es ihrer kurzen Lebensdauer wegen für unmöglich, dass sie hoch in die Atmosphäre steigen. Allerdings ist der Ozonschwund nicht dramatisch, und Ball will auch nicht, „dass die Menschen in Panik geraten. Aber in der Atmosphäre geht etwas vor sich, was verstanden werden muss“.