Ehrenamtliche Begleiter für das Ende des Lebens
Das Grazer Vinzidorf-Hospiz ermöglicht Obdachlosen und Menschen in prekärer Wohnsituation seit nunmehr einem Jahr ein Sterben in Würde. Ohne freiwillige Helfer würde das System nicht funktionieren – aber auch sie nehmen viel davon mit.
Danny hält die Hand vor seine Augen, um nicht von der Sonne geblendet zu werden. Die weiße Wand hinter ihm reflektiert das Licht, ein Frühlingstag, der fast schon wie ein Klischee wirkt. „Die Schweinsmedaillons waren gut“, erzählt der 44-Jährige. Er spricht etwas langsamer, kämpft zeitweise ein wenig mit der Artikulation. Doch so wie er da auf dem Sessel sitzt und über das gemeinsame Kochen mit Christian spricht, deutet nicht viel darauf hin, dass er noch vor einigen Wochen kurz vor dem Tod stand. Christian, das ist einer der beiden Pfleger, die ihn hier betreuen. Und hier, das ist das Vinzidorf-Hospiz. Ein Gebäude der Grazer Pfarre St. Leonhard, das Obdachlosen ein Sterben in Würde ermöglichen soll.
Danny ist zum zweiten Mal hier. Voriges Jahr hatte es schon schlecht ausgesehen. Da war er mit einer Magenblutung eingeliefert worden. Doch er kam letztlich nicht, um zu sterben. Denn nach und nach besserte sich sein Zustand wieder. Und er konnte das Hospiz wieder verlassen. Einige Zeit ging es ihm gut, doch vor einigen Wochen wurden die Beschwerden wieder größer. Erneut wurde er ins Hospiz gebracht. Wieder erholte sich Danny. Und kann nun vor dem Haus sitzen und darüber erzählen, was er am liebsten gemeinsam mit Christian kocht. Wirklich gesund ist er nicht, immer wieder greift sich Danny auf den Bauch, massiert den Ort, wo es schmerzt. Doch das Sterben, das ist wieder ein Stück in die Ferne gerückt. Der Tod ist oft Gast. „Darf ich präsentieren“, sagt Franz Wallner, „das ist der Mann, der das Hospiz bald schon wieder verlassen wird.“Der Mann mit den weißen Haaren kennt Danny schon lang. Er hat ihn schon im Vinzidorf nebenan begleitet, wo alkoholkranke Obdachlose ein Zuhause finden. Als Diakon und ehrenamtlicher Seelsorger kennt Wallner Dannys Geschichte sehr gut. So wie auch die Geschichten der vielen anderen Bewohner des Vinzidorfs. „Der Tod ist oft Gast dort“, sagt Wallner. Mit dem Hospiz hat man vor einem Jahr eine Möglichkeit geschaffen, den Menschen dort die Chance auf ein würdiges Sterben zu geben. Nicht in einem Krankenhaus, weitab von der gewohnten Umgebung. Weit weg von Dorfbewohnern und Freunden. Sondern so, dass der Kontakt mit der gewohnten Umgebung bestehen bleibt. Gerade für die alkoholkranken Obdachlosen, die kaum das Dorf verlassen, ist das enorm wichtig.
Das hat auch Danny geholfen. Damals, als niemand mehr erwartete, dass er überleben würde, da kamen viele aus dem Dorf, um sich zu verabschieden. Für ihn war das eine wichtige Erfahrung – zu erleben, dass Menschen sich um ihn kümmern. Und traurig wären, wenn er geht. Gehen, das will Danny schon. Nur nicht aus dem Leben, sondern raus aus dem Hospiz. Und dann vielleicht sogar eine eigene Wohnung haben. „In zwei, drei Monaten vielleicht“, meint er. Seelsorger Wallner nickt: „Das Hospiz muss keine Endstation sein.“Seit die Einrichtung Anfang April 2017 eröffnet wurde, konnten zwei Menschen wieder entlassen werden – Danny ist einer davon. Er ist aber auch derjenige, der in der Bilanz unter dem Punkt Wiederaufnahme aufscheint.
Plötzlich begann der Musiker von seinem Leben auf der Straße zu erzählen.
Der Hallelujah Man. Vier Menschen sind im Hospiz bisher gestorben. Den ersten von ihnen hat Angelika Döller noch für ein kurzes Stück begleitet. „Bitte Englisch sprechen, er spricht nur Englisch“, habe man ihr damals gesagt. Kein Problem für die Pensionistin, die gemeinsam mit vier anderen Mitgliedern des Hospizvereins Steiermark die Bewohner regelmäßig besucht. Allein, allzu viel wollte der Mann zunächst nicht sprechen. Michael, ein Musiker aus Wales, der in ganz Europa als Straßenmusiker unterwegs war, war der erste Bewohner im Vinzidorf-Hospiz. Er lag unheilbar erkrankt in einem Krankenhaus in Klagenfurt, ehe er nach Graz gebracht wurde. Und als erster Bewohner im Hospiz hatte er auch gleich viel Besuch bekommen.
„Ich habe gemerkt“, erzählt Döller, „dass er nur seine Ruhe haben will.“Also habe sie ihn gefragt, ob sie sich einfach nur neben ihn setzen darf. Nichts sagen, einfach nur da sein. Das machte den Mann dann doch ein wenig neugierig. Sitzen und schweigen. Bis die ehemalige Musiklehrerin irgendwann die Gitarre sah, die im Eck lehnte. „Da habe ich ihn gefragt, ob ich etwas spielen darf.“
„Feste Lariane“von Luigi Mozzani brach das Eis. Und plötzlich begann der Straßenmusiker zu erzählen. Von seinem Leben. Von seinen Reisen. Von Leonard Cohens „Hallelujah“, das er so oft und gern gespielt hat und deswegen auch „The Hallelujah Man“genannt wurde. „Es ist erstaunlich schnell in die Tiefe gegangen“, meint Döller. Irgendwann wollte er auch von seinem Gegenüber etwas wissen. Und so erfuhr er von ihrer Arbeit, ihrem Leben – und ihrer Familie. Familie, etwas, das er selbst nicht aus eigener Erfahrung kannte. „Ich habe nie Verantwortung für jemanden gehabt“, habe er dann gesagt. Und das mit einem gewissen Gefühl des Bedauerns.
Und doch weckte das Gespräch mit der ehrenamtlichen Begleiterin etwas in ihm. Denn obwohl er selbst kaum mehr aufrecht sitzen konnte, bat er plötzlich um die Gitarre. Und um sei-