Goodbye, Amerika! Hello Österreich! – Auswan
Allen Fehltritten zum Trotz sitzt US-Präsident Donald Trump fest im Amt. Manche Amerikaner überlegen nun, das Land zu verlassen. Jenen mit österreichischer Exil-Familiengeschichte hilft ein neues Gesetz.
Nur mit Mühe lässt sich entziffern, was auf dem vergilbten Papier geschrieben steht. Immerhin ist es 108 Jahre her, dass der Geburtsschein mit der Nummer 56 am Matritzenamt Kopyczyn´ce ausgestellt wurde. Dieser Ort, heute liegt er in der westlichen Ukraine, gehörte 1910 noch zum Kaisertum Österreich. Und dort wurde, am 23. August, ein gewisser Moses Martin Schmetterling geboren. Sein Vater dürfte Aaron geheißen haben, der Name seiner Mutter wird dank der krakeligen Schrift des Standesbeamten wohl ein Rätsel bleiben. Solche Details sind dem Urenkel, der noch immer im Besitz dieses Dokuments ist, aber egal. Für ihn ist dieser alte, vergilbte Zettel vor allem eines: ein Ticket zur österreichischen Staatsbürgerschaft. Und gleichzeitig der Fluchtplan aus den USA unter Präsident Donald Trump.
Eli Sanders aus Seattle hat sich für seine Familiengeschichte bislang eher peripher interessiert. Er wusste, dass seine Großeltern 1938 aus Wien geflohen waren, kurz nachdem Österreich sich Hitler-Deutschland angeschlossen hatte. So richtig bewusst wurde dem Journalisten und Autor die Tragweite dieser Flucht erst vor Kurzem. Seine Großtante ist 2016 verstorben, auch sie war vor den Nazis in die USA geflohen. Die neue Heimat dürfte ihr gutgetan haben, sie erreichte das Alter von 106 Jahren. Bei ihrer Trauerfeier erzählte ihr Sohn aus ihrem Leben. Eine Begebenheit hinterließ bei Sanders tiefen Eindruck: „Ihr Sohn sprach davon, welche prophetische Weitsicht meine Tante hatte, als sie schon früh in der NaziÄra die Vorkehrungen für die Emigration aus Österreich traf. Sie sah die Zeichen der Zeit und handelte sofort, rettete ihrer Familie so wahrscheinlich das Leben. Als ich das hörte, traf es mich wie einen Blitz – die Geschichte wiederholt sich, nun befinden wir uns in einer ähnlichen Situation.“
Sein Blick verdüstert sich, als er Parallelen zwischen der Machtübernahme des Nazi-Regimes und dem Aufstieg Donald Trumps zum Präsidenten der Vereinigten Staaten zieht, ein Vergleich, der in den USA immer wieder zu hören ist. Zunächst hielt Sanders, wie viele seiner Kollegen der Seattler Stadtzeitung „The Stranger“, die Ambitionen des Reality-TV-Stars auf das höchste Staatsamt für einen Witz. Das Lachen war ihnen schnell vergangen, als Trump sich im Frühjahr 2016 die republikanische Nominierung sichern konnte. Und noch etwas dachte sich der 39-jährige Gewinner eines Pulitzer-Preises: Wenn er irgendetwas aus seiner Familiengeschichte lernen könne, dann die Notwendigkeit, rechtzeitig zu handeln. Doch zu dem Zeitpunkt galt der Wahlsieg Donald Trumps noch als äußerst unwahrscheinlich. Das Ergebnis des 8. Novembers 2016 schockierte nicht nur einen Großteil der Welt, sondern auch Sanders – der nun keine Zeit mehr verlieren wollte. Er sammelte alles an Dokumenten, die das Archiv der weitverzweigten Großfamilie hergab: Besagten Geburtsschein seines Großvaters, die Schulzeugnisse seiner Wiener Großmutter, eine gebürtige Zellermayer. Moses heiratete seine Fani im Jahr 1938, wie der Trauschein der israelitischen Kultusgemeinde des zweiten Bezirks verrät. Das nächste Do- kument des Familienschatzes ist auf 8. Juli 1940 datiert: Es ist ein britischer Identitäts-Pass, der den Schmetterlings die Flucht aus Europa ermöglichte.
Mit einem ganzen Pack an teils originalen, teils transkribierten Schriftstücken begab sich Sanders zum Österreichischen Generalkonsulat in Los Angeles, wo ein langwieriger Prozess in Gang gesetzt wurde. „Ich hatte den Vorteil, dass Recherche und das Ausbuddeln von Informationen zu meinem Job gehören. Es hat mir sogar Spaß gemacht, auf die Jagd nach verlorenen Dokumenten zu gehen“, sagt Sanders, der sich für seine Mission unter anderem durch das Nationalarchiv der USA in Washington DC und Regierungsstellen in New York und Maryland wühlte. Ein geändertes Gesetz. Der Grund für diesen nicht unbeträchtlichen Aufwand: Sanders musste der Österreichischen Botschaft glaubhaft belegen können, dass er der Nachfahre eines aus Österreich in der Nazi-Zeit vertriebenen Juden ist. Diese biografische Besonderheit lässt nämlich zu, was sich manche Amerikaner unter der Präsidentschaft Donald Trumps wünschen: eine neue Staatsbürgerschaft. Im Fall von Sanders ist es eben die österreichi-
Die Kinder von NS-Verfolgten können wieder österreichische Staatsbürger werden.
sche. Möglich macht das eine Novelle des Staatsbürgerschaftsgesetz aus dem Jahr 1993, die besagt, dass NS-Verfolgte mit ehemaliger österreichischer Staatsbürgerschaft diese de facto per Anzeige „wiedererwerben“können. Seit 14. März 2018 ist das Gesetz auch für die Nachkommen der Verfolgten eindeutig geregelt: Sie können nun um die österreichische Staatsbürgerschaft ansuchen – ihre alte müssen sie nicht aufgeben. Dafür ist weder ein inländischer Wohnsitz noch der Nachweis eines gesicherten Lebensunterhalts erforderlich. Für die Israelitische Kultusgemeinde Wien, erfüllt sich eine langjährige Forderung. Sie hatte davor die fehlende Klarheit des Gesetzes regelmäßig kritisiert.
Sanders steht kurz vor diesem Ziel. Die meisten Dokumente wurden im Generalkonsulat in LA bereits begutachtet und bestätigt. Die Koffer hat er aber noch nicht gepackt – die Betonung liegt auf noch. „Worum es mir bei der ganzen Aktion geht, ist die Wiedererlangung der österreichischen Staatsbürgerschaft, für den Fall, dass es schnell gehen muss.“Ob er dann für immer in Österreich bleiben will, ist für Sanders nicht sicher. Bisher hat er die alte Heimat seiner Großeltern nicht besucht, er