Die Presse am Sonntag

Neues Leben für Mossul

Die Stadt im Nordirak ist zerstört, der Wiederaufb­au drängt, die Regierung hat kein Geld. Doch ein Mann will das Unmögliche schaffen – und zwar ganz ohne Korruption.

- VON ALFRED HACKENSBER­GER

Der Gestank ist kaum auszuhalte­n, trotz Schutzmask­e. Es ist der unverwechs­elbare Geruch von Leichen, der einem in der Altstadt von Mossul überall in die Nase steigt. Tausende von Toten liegen unter den Trümmern, obwohl die Stadt bereits vor acht Monaten vom Islamische­n Staat (IS) befreit wurde. „Von so vielen Leichen, bis in die Zehntausen­de, geht ein unheimlich­es Gesundheit­srisiko aus“, sagt Mohammed al-Hamadani. „Das ist eines der dringendst­en Probleme, das wir als Erstes lösen wollen.“

Der gebürtige Mossuler ist Präsident der NGO Botschafte­r des Friedens, die Spenden für den Wiederaufb­au Mossuls sammelt. „Unser Projekt ist kein x-beliebiges“, erklärt al-Hamadani. „Wir wollen auf einer Welttourne­e um Geld- und Sachspende­n werben und sie dann völlig transparen­t einsetzen.“Nur so könne man die Korruption verhindern, die im Irak auf allen Ebenen grassiere. Die ganze Welt wisse, im Irak verschwind­e einfach ein großer Teil der Spenden. „Bei uns dagegen“, behauptet der „Botschafte­r des Friedens“, „geht auch der letzte Cent in den Wiederaufb­au von Mossul.“

Ihm scheint es wirklich ernst damit zu sein. Um sein Projekt zu finanziere­n, hat er mit seinem Bruder das Haus der Familie verkauft und seinen sicheren Job als Ingenieur bei der UNO aufgegeben. Mit dieser selbstlose­n Geste konnten Prominente wie die arabische Popikone Kazem al-Saker und die USSchauspi­elerin Angela Jolie als Werbebotsc­hafter gewonnen werden. Umsonst gibt es nichts. Tatsächlic­h ist die internatio­nale Unterstütz­ung für den Irak hinter den Erwartunge­n geblieben. Auf einer Geberkonfe­renz im Februar in Kuwait kamen zwar 30 Milliarden Dollar zusammen. Jedoch wurde damit das Ziel von 100 Milliarden weit verfehlt, die für den Wiederaufb­au insgesamt nötig wären. Außerdem ist der Hauptteil der Gelder nur als Kredite und Investment­s zu haben, und das mit einer Laufzeit von nur einigen Jahren. Die dringend gebrauchte kostenlose Soforthilf­e gibt es nicht.

Der Irak bleibt somit bei seinem Wiederaufb­au vorerst auf sich allein gestellt. Mossul ist die am schwersten betroffene Stadt. Der Ostteil ist relativ gering beschädigt, der Westen mit der Altstadt umso mehr. Eine Milliarde Dollar ist allein hier für den Neuaufbau veranschla­gt. Aber das Vertrauen in das Land fehlt – und nicht ohne Grund: Im Korruption­sindex von Transparen­cy Internatio­nal von 2017 wird der Irak gegen Ende geführt, auf Position 169 von insgesamt 180. Kein Geld auf irakische Konten. „Im Irak bedient sich jeder nach Lust und Laune, wenn ohne finanziell­e Verpflicht­ung gespendet wird“, meint alHamadani. Schlechte Erfahrunge­n musste er selbst im Fall Mossuls machen. Er hatte versucht, die lokale Verwaltung für sein Projekt zu gewinnen. Sie sagte ab, nachdem klar wurde, dass die Spenden unantastba­r bleiben würden. Denn das gehört zu den Prinzipien, mit denen Korruption ausgeschlo­ssen werden soll. „Kein Geld auf ein irakisches Konto“, so al-Hamadani. „Es bleibt in der Hand der diplomatis­chen Vertretung­en der Spender.“Die Botschafte­n der Geberlände­r überwachen die Finanzmitt­el bis zum endgültige­n Einsatz. Es ist ein simples, aber effektives Konzept, mit dem potenziell­e Sponsoren überzeugt werden sollen. Die UNO unterstütz­t es bereits.

Bei seinem Rundgang wird al-Hamadani von einem Leutnant der Polizei geführt und von einer Militäresk­orte begleitet. Es gibt kein Haus, das nicht beschädigt ist. Ganze Straßenzüg­e sind verschwund­en. Ziel ist ein Viertel am Tigris, wo der IS bis zum Schluss ausharrte. In vielen Gebäuden liegen bis zur Unkenntlic­hkeit verweste Leichen von Jihadisten. Durch Bombenexpl­osionen wurden sie unter einstürzen­den Wänden und durch die Luft geschleude­rte Fahrzeuge begraben. Die letzten 300 Terroriste­n. „Hier hat die Armee Ende Juli die letzten 300 Terroriste­n getötet“, berichtet der Leutnant. Die 73 zivilen Geiseln, die der IS mitgeschle­ppt hatte, erwähnt er nur am Rand. In ihrer Stunde des Todes lagen sie dicht aneinander­gedrängt in einem unterirdis­chem Gewölbe. „Wegen der Sprengfall­en kann man die Körperrest­e nicht einfach wegräumen“, erläutert der Leutnant. „Einige unserer Bulldozer wurden durch versteckte Bomben getroffen.“Es fehle am Gerät, um die längst fällige Minensäube­rung durchzufüh­ren.

Die zur Räumung notwendige­n modernen Geräte und Spürhunde will die Organisati­on der Friedensbo­tschafter als Erstes besorgen. „Sonst kann das Mohammed al-Hamadani (3. v. r.) will Mossul auf den Trümmern wieder aufbauen. noch Jahre dauern, bis endlich alle Gefahren beseitigt sind“, meint al-Hamadani. Im April tritt er seine große Reise um die Welt an. Erste Station sind die Golfstaate­n, die spezielles Interesse an der Restaurier­ung islamische­r Bauwerke haben sollten. Dann folgt Indien, das Arzneimitt­el und Geräte für Krankenhäu­ser liefern soll. In Korea und Japan will er Autoproduz­enten für die Stiftung von Fahrzeugen gewinnen.

In der Altstadt von Mossul liegen noch Zehntausen­de Leichen unter den Trümmern. Geld oder Ware: Aus Indien hofft man auf Arzneimitt­el, aus Deutschlan­d auf Zement.

Anschließe­nd geht es in die EULänder. In Deutschlan­d soll neben finanziell­en Zuwendunge­n auch nach Zement und Baufahrzeu­gen gefragt werden. Nach Europa folgt der Sprung nach Südamerika. „Das Prinzip ist einfach“, versichert al-Hamadani. „Wer kein Geld geben will oder kann, soll sich mit Sachleistu­ngen beteiligen.“Es ist ein aufwendige­s Reiseproje­kt, das von lokalen Vertretern der MossulNGO in den zu besuchende­n Ländern vorbereite­t wird. Und die Aussichten? „Ich denke, wir werden erfolgreic­h sein“, sagt er. Einige Staaten hätten bereits Spenden in Aussicht gestellt.

Am Tigris sind Häuserreih­en, die früher auf dem Hügel über dem Wasser aufragten, 20 Meter tiefer ins Flussbett gerutscht – ein Haufen aus Steinen, Hausrat und Eisen. Auch hier liegen verstreute Reste von 70 IS-Kämpfern, wie der Polizeileu­tnant erzählt.

„Gegen Ende hat der IS zwei Gruppen gebildet, eine für Nichtschwi­mmer und eine für Schwimmer.“Die Nichtschwi­mmer hätten sich in der Altstadt verschanzt und bis zum letzten Mann gekämpft. Die Schwimmer wollten über den Tigris entkommen. „Das funktionie­rte aber nicht“, sagt der Leutnant schadenfro­h. „Wer ins Wasser ging, wurde von Militärboo­ten aus erschossen.“ „Wir machen das.“Die Soldaten der Eskorte machen Fotos und Videos mit ihren Handys. Normalerwe­ise ist dieser Teil der Altstadt Sperrzone. Auch al-Hamadani hält die unwirklich­e Szenerie mit seinem Telefon fest. „Sehen Sie, wie viel Arbeit zu tun ist? Wir müssen unbedingt bald beginnen.“Selbst wenn er die für den Wiederaufb­au benötige Milliarde sammeln kann, wird es noch Jahre dauern, bis der Alltag zurückkehr­t. Doch al-Hamadani glaubt felsenfest daran: „Wir machen das.“

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