Neues Leben für Mossul
Die Stadt im Nordirak ist zerstört, der Wiederaufbau drängt, die Regierung hat kein Geld. Doch ein Mann will das Unmögliche schaffen – und zwar ganz ohne Korruption.
Der Gestank ist kaum auszuhalten, trotz Schutzmaske. Es ist der unverwechselbare Geruch von Leichen, der einem in der Altstadt von Mossul überall in die Nase steigt. Tausende von Toten liegen unter den Trümmern, obwohl die Stadt bereits vor acht Monaten vom Islamischen Staat (IS) befreit wurde. „Von so vielen Leichen, bis in die Zehntausende, geht ein unheimliches Gesundheitsrisiko aus“, sagt Mohammed al-Hamadani. „Das ist eines der dringendsten Probleme, das wir als Erstes lösen wollen.“
Der gebürtige Mossuler ist Präsident der NGO Botschafter des Friedens, die Spenden für den Wiederaufbau Mossuls sammelt. „Unser Projekt ist kein x-beliebiges“, erklärt al-Hamadani. „Wir wollen auf einer Welttournee um Geld- und Sachspenden werben und sie dann völlig transparent einsetzen.“Nur so könne man die Korruption verhindern, die im Irak auf allen Ebenen grassiere. Die ganze Welt wisse, im Irak verschwinde einfach ein großer Teil der Spenden. „Bei uns dagegen“, behauptet der „Botschafter des Friedens“, „geht auch der letzte Cent in den Wiederaufbau von Mossul.“
Ihm scheint es wirklich ernst damit zu sein. Um sein Projekt zu finanzieren, hat er mit seinem Bruder das Haus der Familie verkauft und seinen sicheren Job als Ingenieur bei der UNO aufgegeben. Mit dieser selbstlosen Geste konnten Prominente wie die arabische Popikone Kazem al-Saker und die USSchauspielerin Angela Jolie als Werbebotschafter gewonnen werden. Umsonst gibt es nichts. Tatsächlich ist die internationale Unterstützung für den Irak hinter den Erwartungen geblieben. Auf einer Geberkonferenz im Februar in Kuwait kamen zwar 30 Milliarden Dollar zusammen. Jedoch wurde damit das Ziel von 100 Milliarden weit verfehlt, die für den Wiederaufbau insgesamt nötig wären. Außerdem ist der Hauptteil der Gelder nur als Kredite und Investments zu haben, und das mit einer Laufzeit von nur einigen Jahren. Die dringend gebrauchte kostenlose Soforthilfe gibt es nicht.
Der Irak bleibt somit bei seinem Wiederaufbau vorerst auf sich allein gestellt. Mossul ist die am schwersten betroffene Stadt. Der Ostteil ist relativ gering beschädigt, der Westen mit der Altstadt umso mehr. Eine Milliarde Dollar ist allein hier für den Neuaufbau veranschlagt. Aber das Vertrauen in das Land fehlt – und nicht ohne Grund: Im Korruptionsindex von Transparency International von 2017 wird der Irak gegen Ende geführt, auf Position 169 von insgesamt 180. Kein Geld auf irakische Konten. „Im Irak bedient sich jeder nach Lust und Laune, wenn ohne finanzielle Verpflichtung gespendet wird“, meint alHamadani. Schlechte Erfahrungen musste er selbst im Fall Mossuls machen. Er hatte versucht, die lokale Verwaltung für sein Projekt zu gewinnen. Sie sagte ab, nachdem klar wurde, dass die Spenden unantastbar bleiben würden. Denn das gehört zu den Prinzipien, mit denen Korruption ausgeschlossen werden soll. „Kein Geld auf ein irakisches Konto“, so al-Hamadani. „Es bleibt in der Hand der diplomatischen Vertretungen der Spender.“Die Botschaften der Geberländer überwachen die Finanzmittel bis zum endgültigen Einsatz. Es ist ein simples, aber effektives Konzept, mit dem potenzielle Sponsoren überzeugt werden sollen. Die UNO unterstützt es bereits.
Bei seinem Rundgang wird al-Hamadani von einem Leutnant der Polizei geführt und von einer Militäreskorte begleitet. Es gibt kein Haus, das nicht beschädigt ist. Ganze Straßenzüge sind verschwunden. Ziel ist ein Viertel am Tigris, wo der IS bis zum Schluss ausharrte. In vielen Gebäuden liegen bis zur Unkenntlichkeit verweste Leichen von Jihadisten. Durch Bombenexplosionen wurden sie unter einstürzenden Wänden und durch die Luft geschleuderte Fahrzeuge begraben. Die letzten 300 Terroristen. „Hier hat die Armee Ende Juli die letzten 300 Terroristen getötet“, berichtet der Leutnant. Die 73 zivilen Geiseln, die der IS mitgeschleppt hatte, erwähnt er nur am Rand. In ihrer Stunde des Todes lagen sie dicht aneinandergedrängt in einem unterirdischem Gewölbe. „Wegen der Sprengfallen kann man die Körperreste nicht einfach wegräumen“, erläutert der Leutnant. „Einige unserer Bulldozer wurden durch versteckte Bomben getroffen.“Es fehle am Gerät, um die längst fällige Minensäuberung durchzuführen.
Die zur Räumung notwendigen modernen Geräte und Spürhunde will die Organisation der Friedensbotschafter als Erstes besorgen. „Sonst kann das Mohammed al-Hamadani (3. v. r.) will Mossul auf den Trümmern wieder aufbauen. noch Jahre dauern, bis endlich alle Gefahren beseitigt sind“, meint al-Hamadani. Im April tritt er seine große Reise um die Welt an. Erste Station sind die Golfstaaten, die spezielles Interesse an der Restaurierung islamischer Bauwerke haben sollten. Dann folgt Indien, das Arzneimittel und Geräte für Krankenhäuser liefern soll. In Korea und Japan will er Autoproduzenten für die Stiftung von Fahrzeugen gewinnen.
In der Altstadt von Mossul liegen noch Zehntausende Leichen unter den Trümmern. Geld oder Ware: Aus Indien hofft man auf Arzneimittel, aus Deutschland auf Zement.
Anschließend geht es in die EULänder. In Deutschland soll neben finanziellen Zuwendungen auch nach Zement und Baufahrzeugen gefragt werden. Nach Europa folgt der Sprung nach Südamerika. „Das Prinzip ist einfach“, versichert al-Hamadani. „Wer kein Geld geben will oder kann, soll sich mit Sachleistungen beteiligen.“Es ist ein aufwendiges Reiseprojekt, das von lokalen Vertretern der MossulNGO in den zu besuchenden Ländern vorbereitet wird. Und die Aussichten? „Ich denke, wir werden erfolgreich sein“, sagt er. Einige Staaten hätten bereits Spenden in Aussicht gestellt.
Am Tigris sind Häuserreihen, die früher auf dem Hügel über dem Wasser aufragten, 20 Meter tiefer ins Flussbett gerutscht – ein Haufen aus Steinen, Hausrat und Eisen. Auch hier liegen verstreute Reste von 70 IS-Kämpfern, wie der Polizeileutnant erzählt.
„Gegen Ende hat der IS zwei Gruppen gebildet, eine für Nichtschwimmer und eine für Schwimmer.“Die Nichtschwimmer hätten sich in der Altstadt verschanzt und bis zum letzten Mann gekämpft. Die Schwimmer wollten über den Tigris entkommen. „Das funktionierte aber nicht“, sagt der Leutnant schadenfroh. „Wer ins Wasser ging, wurde von Militärbooten aus erschossen.“ „Wir machen das.“Die Soldaten der Eskorte machen Fotos und Videos mit ihren Handys. Normalerweise ist dieser Teil der Altstadt Sperrzone. Auch al-Hamadani hält die unwirkliche Szenerie mit seinem Telefon fest. „Sehen Sie, wie viel Arbeit zu tun ist? Wir müssen unbedingt bald beginnen.“Selbst wenn er die für den Wiederaufbau benötige Milliarde sammeln kann, wird es noch Jahre dauern, bis der Alltag zurückkehrt. Doch al-Hamadani glaubt felsenfest daran: „Wir machen das.“