Hunde, Liebe und sieben andere Gründe für einen Bestseller
Warum sind manche Bücher so erfolgreich? Und was sagt es über uns aus, wenn wir massenhaft Charlotte Roches »Feuchtgebiete« kaufen, uns in Historienromane flüchten oder Thilo Sarrazins »Deutschland schafft sich ab« in die Bestsellerlisten hieven? Der Germ
Nein, das am besten verkaufte Buch ist nicht die Bibel, auch wenn sie in jedem Haushalt steht. Aber eine genügt halt fürs Leben – und meistens hat man sie sogar geerbt. Der Bestseller dieser Tage heißt „Die SchmahamasVerschwörung“. Der Roman, der sich an das Online-Lego-Spiel Minecraft anlehnt, steht sowohl bei der Liste des „Spiegel“als auch bei der des Hauptverbandes des Österreichischen Buchhandels ganz oben. Von wegen: Die Jungen lesen nicht mehr. Laut „Spectrum“mögen die Leser derzeit am liebsten Ferdinand von Schirachs „Strafe“. Und bei Amazon führt das Bürgerliche Gesetzbuch, 81. Auflage. Immerhin so eine Art Bibel des deutschen Rechtsstaats.
Der deutsche Journalist Jörg Magenau hat sich in einem Buch mit dem Phänomen Bestseller auseinandergesetzt. Anhand von Dutzenden Romanen und Sachbüchern, beginnend mit Theodor Plieviers „Stalingrad“bis hinauf zu Daniel Kehlmanns „Tyll“, versucht er zu ergründen, warum wir lesen, was wir lesen. Was es über uns aussagt, wenn wir zu „Darm mit Charme“greifen. Oder wenn wir uns mit „Der Name der Rose“ins Mittelalter katapultieren lassen. Und wie ein Buch es schafft, massenhaft gekauft zu werden. Ja, gekauft. Denn ob es dann wirklich gelesen wird, ist wieder eine andere Sache. Man nehme etwa die Goethe-Gesamtausgabe für den Kindle, die bei Amazon derzeit weggeht wie die warmen Semmeln. Für 0,99 Euro. Bei der Lektüre von Magenaus Buch – passenderweise in einem jener Lokale, die gern als Literatencafe´ bezeichnet werden – holte die Frau am Tisch neben mir einen Roman heraus: Richard Russos „Ein grundzufriedener Mann“. Prompt entspann sich ein Gespräch.
Jörg Magenau,
1961 in Ludwigsburg geboren, hat Philosophie und Germanistik studiert und arbeitet als freier Autor für die „Süddeutsche Zeitung“, die „taz“und den „Tagesspiegel“.
In „Bestseller“
(Hoffmann und Campe) erklärt er auf 288 Seiten, was die Bücher, die wir kaufen, über uns verraten. Dabei geht er immer von einzelnen Werken aus – beginnend mit „Stalingrad“über Hildegard Knefs „Der geschenkte Gaul“, Michael Endes „Momo“bis hinauf zu Uwe Tellkamps „Der Turm“und Daniel Kehlmanns „Tyll“. Dass jemand anderer das gleiche Buch mag oder liest wie man selbst, verbindet. Womit wir bei einer These Magenaus wären: Wenn man liest, ist man nicht allein. Im Bestseller erkenne sich jeder von uns als Teil einer Gemeinschaft wieder. Manchmal ist uns das recht, wir fühlen uns bestätigt. Manchmal reagieren wir auf den Erfolg eines Buches eher verdrossen. Wir doch nicht! Wir teilen doch nicht den Massengeschmack!
Doch normalerweise ist es, um mit Magenau zu sprechen, so: Der Teufel scheißt auf den größten Haufen. Der beste Weg zum Superseller ist also: Auf einer Bestsellerliste zu landen. Wenn man sich einen Namen gemacht hat und die Maschinerie einmal angelaufen ist, kommt der Rest fast von allein. Für Jörg Magenau waren die 80er-Jahre das Jahrzehnt der „German Angst“. Man fürchtete sich vor der Nato-Hochrüstung, dem Waldsterben, erlebte Tschernobyl. Und las Umberto Ecos „Der Name der Rose“oder Patrick Süskinds „Das Parfum“. Das funktioniert noch immer: Fantasiewelten, Liebesgeschichten, Romane von fremden Ländern. Wir lassen uns gern entführen. Einmal nicht an den Rechtsruck denken, nicht an Trump, Putin oder den Klimawandel. Dafür folgen wir Elena Ferrante ins Neapel der Nachkriegszeit, wo ein super kluges, ruppiges Gör es mit allen aufnimmt.
„Lesen ist eine Flucht“, meint Magenau, „aber es ist eine Flucht in die verwandelte Wirklichkeit und in die Vorstellung, dass das Leben ganz anders sein könnte als immer bloß so, wie es gerade ist“. So gesehen steckt in jedem Fantasy-Roman etwas Subversives, hinter jeder Beschäftigung mit fremden Göttern und alten Zeiten der Keim des Aufbegehrens. Was dann doch gar optimistisch gedacht ist. Was stimmt: Oft braucht der Leser Umwege, um sich mit eigenen Ängsten oder traumatischen Erfahrungen auseinanderzusetzen. So könne „das eigene Erleben sichtbar werden, ohne gleich allzu bedrängend zu wirken“. Bestseller sprechen Bedrohungen an – auf eine Weise, die gerade noch erträglich sind. Magenau nennt Michael Endes „Momo“als Beispiel. Aber auch Maja Lundes „Geschichte der Bienen“, aktuell in mehreren Bestsellerlisten ganz vorn, zählt dazu: Die norwegische Autorin erzählt von der Geschichte dreier Familien – bis hinauf im Jahr 2098, wo eine Arbeiterin die Bäume per Hand bestäubt. Denn Bienen gibt es nicht mehr. Über solche Bücher sagen Rezensenten dann gern, es sei ein „hochaktueller“Roman, der gleichzeitig „packend“sei. Manchmal stimmt das auch. Und manchmal kommt ein Buch wie das von Daniel Kehlmann als Eulenspiegeliade daher und führt uns wie beiläufig in die Finsternis des Dreißigjährigen Kriegs. „Sorge dich nicht, lebe“, „Simplify your Life“, „Gelassenheit“. Wir lassen uns gern belehren, und wir lassen uns vor allem gern erklären, dass wir unvollkommen sind, Mängelwesen, doch wenn wir dieses Buch lesen und dessen Tipps beherzigen, können wir das ändern. Bis zum nächsten Bestseller, der uns rät, unsere eigene Unvollkommenheit zu akzeptieren. Nun ja.