Das Wunderensemble
Superb: Shake Stew im Porgy & Bess.
Schüchtern darf ein Publikum bei ihm nicht sein. Mastermind Lukas Kranzlbinder scheuchte gleich zu Beginn mit Bewegungen der Führungshand zu vorauseilender Begeisterung auf. „Sie müssten schon mehr klatschen . . .“, forderte er. Am liebsten würde er wohl auch das Verfassen von selbstverständlich enthusiastischen Konzertkritiken selbst übernehmen. Einstweilen begnügte er sich aber noch damit, als Bassist die Fäden in der Hand zu halten, einen eigenen Drink namens Riser für den Abend zu ersinnen und für textile Corporate Identity zu sorgen. Einzig der zweite Bassist Manu Mayr verweigerte den flachen Gesundheitsschuh. Die einheitlichen, schwarzen Hemden mit den goldenen, individualisierten Pinselstrichen korrespondierten perfekt mit dem grobstricheligen Bühnenprospekt. Message-Control ist nicht nur ein Steckenpferd der aktuellen Regierung. Sie ist jetzt auch im Jazz angelangt. Dabei bedürfte dieses siebenköpfige Wunderensemble gar keiner bärtigen Helikopter-Mom, wie sie Kranzlbinder so leidenschaftlich gibt.
Nach einer halbjährigen Pause kamen Shake Stew nun ohne Stargast Shabaka Hutchings ins Porgy & Bess. Eine atmosphärische Toncollage, aus der Wortfetzen wie „Dreams become reality“herauszuhören waren, sorgte für die nötige Andacht, um das Kommende aufnehmen zu können. Übermütiger Schlagzeugsound geleitete zu elegischen Trompetenmotiven des famosen Trompeters Mario Rom. Der ist ja hauptberuflich stummer Leader der nicht ungroßartigen Kombo „Mario Rom’s Interzone“. Mittlerweile war auch Kranzlbinder ins aktuelle Klanggeschehen eingetreten. Mit weichen Fingerkuppen betastete er die Saiten und entlockte dem Bauch des Kontrabasses schönste Grooves. „Dancing In A Cage Of A Soul“lautete der Titel des stimmungsvollen Konzertopeners, der auch das neue Al- bum „Rise And Rise Again“eröffnet, das ab 20. April erhältlich sein wird.
„Sechs hochenergetische Tracks nehmen die Zuhörer auf ,Rise and Rise Again‘ mit auf eine hypnotische Reise durch eine breit gefächerte Palette an Sounds und Grooves und untermauern den Kultstatus, den sich die Formation bereits nach kurzer Zeit erspielt hat. In der Besetzung mit drei Bläsern, zwei Bässen und zwei Schlagzeugen fügt sich jede Note scheinbar mühelos in das betörende Klangbild ein und präsentiert dadurch einen noch stärkeren roten Faden als bisher“, heißt es im Promotion-Text, der mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit von Kranzlbinder stammt. Kann man gelten lassen. Verzärtelung der Ohrmuscheln. Wer kritisch ist, liest aber in der eben erschienenen Shake-Stew-Spezialbeilage des Musikmagazins Concerto nach und vergleicht das, was Kranzlbinder dort verlautet, mit den klandestinen Botschaften auf der Homepage. Es scheint verboten, sich die hocharomatischen Teile dieser Musik mit den Mitteln der eigenen Fantasie zusammendenken zu dürfen. Selbst für so spannende Stücke wie „Goodbye Johnny Staccato“gibt es im Netz bereits eine Anleitung. „Mit leidenschaftlichem Film-NoirSound schlängelt und windet er sich durch Klanglandschaften voller Erinnerungen an dunkle Gassen und italienische Restaurants.“Die Sache mit dem „von der Tarantel gestochenen Saxofonisten Clemens Salesny“sei hier einmal ausgelassen. Live spielte Salesny packende Linien, wie auch Tenorist Johannes Schleiermacher, der kurz zusammenzuckte, als ihn Kranzlbinder als „Deutschen“vorstellte. Viel Liebreiz ging vom Interplay der beiden Bässe aus. Egal, ob elektrisch oder akustisch, Manu Mayr und – ja – Lukas Kranzlbinder sorgten für die schönste Verzärtelung der Ohrmuscheln.