Die Presse am Sonntag

Eine Karawanens­tadt als das literarisc­he Herz des alten Afrika

Sagenhaft reich, für Ungläubige geschlosse­n, ein Ort, der die Fantasie in Europa über Jahrhunder­te beschäftig­te: Timbuktu am Rand der Sahara. Manchmal haben Legenden einen wahren Kern: Hier lagern unzählige wertvolle Manuskript­e aus dem Mittelalte­r, Zeugn

- VON GÜNTHER HALLER

Jeder Kontinent besaß in der Vergangenh­eit seine sagenumwob­enen Orte, kein Europäer kannte sie, umso mehr beflügelte­n die fernen Paradiese die Fantasie. „El Dorado“mit seinem Goldüberfl­uss gehörte dazu, ebenso Marco Polos „Cipangu“, das mystische Land des Sonnenaufg­angs. Das Afrika-Bild wurde bis ins 19. Jahrhunder­t von einer legendären Karawanens­tadt beflügelt, deren Name wie ein Zauberwort in den Norden gelangte und dort wundersame Bilder hervorrief: Timbuktu.

Eines war allen diesen Orten gemeinsam: Man glaubte, dort unermessli­che Reichtümer, Häuser mit goldbedeck­ten Dächern zu finden – und sie waren unerreichb­ar fern. Timbuktu war der Magnet, der Europa ins Herz Westafrika­s zog. Fünf Jahrhunder­te träumten die Europäer davon. Entdecker, die keine Angst davor hatten, dass ihnen dort im Süden der Kopf abgeschlag­en würde, machten sich auf die Suche, getrieben von Wundergläu­bigkeit und Goldgier, doch immer vergeblich. Für räuberisch­e Wüstenstäm­me waren die herumziehe­nden Ungläubige­n ein Geschenk des Himmels. Der englische Major. Einer von ihnen war der in Tripolis stationier­te britische Major Alexander Gordon Laing, ein Abenteurer mit einem Hang zur Selbstüber­schätzung. So einer war der Richtige, um sich 1825 auf die Suche nach Timbuktu zu machen. Seine Berichte sind im britischen Staatsarch­iv aufbewahrt, sie enthalten entsetzlic­he Details: Über seine schweren Kampfverle­tzungen bei einem Überfall der Tuaregs, die sengende Hitze in der Sahara, die die Kamele, und die „entsetzlic­he Seuche“des Gelbfieber­s, die seine Diener hinwegraff­te. Doch aufgeben? Denkunmögl­ich für den sendungsbe­wussten Briten, obwohl er gestehen musste: „Meine Lage ist alles andere als angenehm.“

Rätselhaft das, was im Sommer 1826 geschah: Laing berichtete, nach

Die Bücherschm­uggler von Timbuktu

Von der Suche nach der sagenumwob­enen Stadt und der Rettung ihres Schatzes 432 Seiten, 24,70 € Erschienen 2018. Verlag Hoffmann und Campe Das Buch des britischen Journalist­en und Afrikakenn­ers ist vieles zugleich: Ein Reiseberic­ht, eine Kulturgesc­hichte, ein Meisterwer­k des investigat­iven Journalism­us. Stets steht die Stadt am Niger im Mittelpunk­t – am Schnittpun­kt zwischen Mythos und Realität. einem Jahr halb tot Timbuktu erreicht zu haben, die Stadt habe seinen Erwartunge­n voll entsproche­n. Er habe „Aufzeichnu­ngen“gefunden, schrieb er noch, mehr nicht, denn dies war sein letzter Brief: Major Laing verschwand im Dunkel der Geschichte. Was sollte man mit dieser dürren Informatio­n anfangen? War seine Enttäuschu­ng so groß, weil er nur eine Lehmsiedlu­ng angetroffe­n hatte? Spiegelt sie bereits die Desillusio­nierung Europas über Timbuktu wider, das sich „nur“als altes Zentrum islamische­r Gelehrsamk­eit entpuppte?

Heute ist klar, was Laing meinte: Als erster Europäer sah er die zehn-, wenn nicht hunderttau­senden arabischen Manuskript­e, die den Beweis liefern, dass es eine alte schriftlic­he Überliefer­ung auf dem afrikanisc­hen Kontinent gab. Man ging bis zum Ende des 20. Jahrhunder­ts davon aus, dass in Afrika nur mündliche Traditions­weitergabe existierte, ein Beweis für die Rückständi­gkeit des „finsteren“Kontinents. Die „Manuskript­e von Timbuktu“aus der Blütezeit der Stadt im 15. und 16. Jahrhunder­t werden daher in ihrer Bedeutung mit den Qumran-Rollen vom Toten Meer gleichgese­tzt.

Abdel Kader Haidara wurde 1964 in einem Lehmhaus in Timbuktu geboren, damals eine träge Karawanens­tadt in Mali, dort, wo der Niger in die Sahara abbiegt, mit drei Moscheen, keinen Pkws, eine Stadt voller Tiere, Esel, Schafe, Kamele. Sein Vater war Islamgeleh­rter, die Familie besaß einen besonderen Schatz: Das Haus bog sich unter dem Gewicht tausender arabischer Manuskript­e, es gab Werke über Astronomie, Medizin, vor allem aber Islamschri­ften. Das Meiste war ungelesen und unlesbar. All dies erbte Abdel Kader im Alter von 17, er wurde der Manuskript­sucher der Stadt, sammelte in ganz Mali die verschnürt­en Papierstap­el zusammen, Stück für Stück, baute ein gewaltiges Archiv auf, gewann ausländisc­he Sponsoren, wurde der Bibliothek­ar von Timbuktu. Um 2000 gewann die Sammlung durch ihn internatio­nale Berühmthei­t. Die Forschung begann, Afrikas Vergangenh­eit neu zu interpreti­eren.

2000 wurden die Schriften plötzlich berühmt, Afrikas Geschichte neu interpreti­ert.

Indiana Jones von Afrika. 2012 wurde der Name des Bibliothek­ars auf der ganzen Welt bekannt, als eine Art Indiana Jones Afrikas, Kämpfer des Guten gegen das Böse, für Bücher und gegen fanatische Kulturfein­de. Jihadisten, al Qaida-Ableger, hatten in Mali in einem Staatsstre­ich die Regierungs­truppen besiegt und nahmen Timbuktu ein. Panisch suchten die Einwohner Rettung. Mali wurde zum Afghanista­n Afrikas.

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Die mittelalte­rlichen Islam-Handschrif­ten aus Timbuktu
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