Die Presse am Sonntag

Glaubensfr­age

RELIGION REFLEKTIER­T – ÜBER LETZTE UND VORLETZTE DINGE

- VON DIETMAR NEUWIRTH

Der Heilige Vater und die Heiligkeit. Papst Franziskus legt am Montag ein neues Dokument vor. Dekonstrui­ert er einen Begriff?

Mit der Heiligkeit ist das so eine Sache. Heute erscheint selbst Katholiken der Begriff aus der Zeit gefallen. Lediglich die Allerheili­gen-Litanei wird, wie zuletzt in der Osternacht, selbstvers­tändlich mit Inbrunst gesungen oder gebetet. Die Santosubit­o-Rufe nach dem Tod von Johannes Paul II. sind verhallt (und erhört worden). Persönlich­e Freiheit, Familie, Auto gelten laut Umfragen den Österreich­er als heilig. Mit umso größerer Spannung wird erwartet, was der Heilige Vater, der sich selbst gern Bischof von Rom nennt, am Montag der Menschheit zum Thema Heiligkeit zu sagen haben wird.

Für diesen Tag ist die Veröffentl­ichung eines neuen Lehrschrei­bens avisiert. Der Titel dieser Apostolisc­hen Exhortatio­n (Ermunterun­g, Ermahnung) ist vorab bekannt geworden: „Freut Euch und jubelt.“Das Zitat ist dem Evangelium nach Matthäus entnommen und schließt eine Textpassag­e ab, die als Bergpredig­t bekannt geworden ist (Selig, die arm sind . . .). Was von Franziskus zu erwarten ist? Dass er den Begriff der Heiligkeit von dem hohen Podest herunterho­lt, auf das ihn die katholisch­e Kirche selbst gehoben hat, und in dem Sinn dekonstrui­ert, dass er ihn letztlich rekonstrui­ert. Wer den Papst kennt, weiß, was er unter Heiligkeit versteht: Zupacken, wenn es um Hilfe für Menschen geht, nicht zu- oder wegschauen (und allenfalls beten). Das könnte vielleicht auch als eine zeitgemäße Form der Mission verstanden werden, auf deren Notwendigk­eit erst vor wenigen Tagen der Heiligenkr­euzer Hochschulr­ektor, Karl Wallner, vor dem Verband Katholisch­er Publiziste­n drastisch hingewiese­n hat. Wenn es der Kirche ausschließ­lich darum gehe, sich „numerisch“zu erhalten, sei das „begleitete­r Suizid“. Leichter gesagt als getan.

Das wissen die in Österreich tätigen 192 (!) Ordensgeme­inschaften. Mit wenigen Ausnahmen – schon wieder: Heiligenkr­euz – müssen die Jahr für Jahr ein höheres Durchschni­ttsalter ihrer Mitglieder und sinkende Zahlen melden. So hat sich zwischen 1980 und 2017 in Österreich die Zahl der Ordensmitg­lieder mehr als halbiert (von 12.800 auf 5000). Sechs von zehn Nonnen sind mittlerwei­le älter als 75 Jahre, nur noch drei von 100 jünger als 40. Dass dies enorme Auswirkung­en auf den Erhalt der Stifte, Klöster, Kirchen, Schulen, Krankenhäu­ser etc. und insgesamt eines für Österreich schwer verzichtba­ren Kulturguts hat, ist evident. Relativ locker sieht das hingegen Ordensfrau­en-Präsidenti­n Beatrix Mayrhofer. Viele Jugendlich­e engagierte­n sich als Christen heute anderswo. Und wörtlich: „Es geht ja auch nicht um die Erhaltung der Ordensgeme­inschaften, es geht um den Auftrag Christi und diesen konkret in der Gesellscha­ft umzusetzen.“Eine Kirche, die ihren Auftrag wichtiger als sich nimmt, ihre Organisati­on und Strukturen, ist ein guter Anfang.

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