Glaubensfrage
RELIGION REFLEKTIERT – ÜBER LETZTE UND VORLETZTE DINGE
Der Heilige Vater und die Heiligkeit. Papst Franziskus legt am Montag ein neues Dokument vor. Dekonstruiert er einen Begriff?
Mit der Heiligkeit ist das so eine Sache. Heute erscheint selbst Katholiken der Begriff aus der Zeit gefallen. Lediglich die Allerheiligen-Litanei wird, wie zuletzt in der Osternacht, selbstverständlich mit Inbrunst gesungen oder gebetet. Die Santosubito-Rufe nach dem Tod von Johannes Paul II. sind verhallt (und erhört worden). Persönliche Freiheit, Familie, Auto gelten laut Umfragen den Österreicher als heilig. Mit umso größerer Spannung wird erwartet, was der Heilige Vater, der sich selbst gern Bischof von Rom nennt, am Montag der Menschheit zum Thema Heiligkeit zu sagen haben wird.
Für diesen Tag ist die Veröffentlichung eines neuen Lehrschreibens avisiert. Der Titel dieser Apostolischen Exhortation (Ermunterung, Ermahnung) ist vorab bekannt geworden: „Freut Euch und jubelt.“Das Zitat ist dem Evangelium nach Matthäus entnommen und schließt eine Textpassage ab, die als Bergpredigt bekannt geworden ist (Selig, die arm sind . . .). Was von Franziskus zu erwarten ist? Dass er den Begriff der Heiligkeit von dem hohen Podest herunterholt, auf das ihn die katholische Kirche selbst gehoben hat, und in dem Sinn dekonstruiert, dass er ihn letztlich rekonstruiert. Wer den Papst kennt, weiß, was er unter Heiligkeit versteht: Zupacken, wenn es um Hilfe für Menschen geht, nicht zu- oder wegschauen (und allenfalls beten). Das könnte vielleicht auch als eine zeitgemäße Form der Mission verstanden werden, auf deren Notwendigkeit erst vor wenigen Tagen der Heiligenkreuzer Hochschulrektor, Karl Wallner, vor dem Verband Katholischer Publizisten drastisch hingewiesen hat. Wenn es der Kirche ausschließlich darum gehe, sich „numerisch“zu erhalten, sei das „begleiteter Suizid“. Leichter gesagt als getan.
Das wissen die in Österreich tätigen 192 (!) Ordensgemeinschaften. Mit wenigen Ausnahmen – schon wieder: Heiligenkreuz – müssen die Jahr für Jahr ein höheres Durchschnittsalter ihrer Mitglieder und sinkende Zahlen melden. So hat sich zwischen 1980 und 2017 in Österreich die Zahl der Ordensmitglieder mehr als halbiert (von 12.800 auf 5000). Sechs von zehn Nonnen sind mittlerweile älter als 75 Jahre, nur noch drei von 100 jünger als 40. Dass dies enorme Auswirkungen auf den Erhalt der Stifte, Klöster, Kirchen, Schulen, Krankenhäuser etc. und insgesamt eines für Österreich schwer verzichtbaren Kulturguts hat, ist evident. Relativ locker sieht das hingegen Ordensfrauen-Präsidentin Beatrix Mayrhofer. Viele Jugendliche engagierten sich als Christen heute anderswo. Und wörtlich: „Es geht ja auch nicht um die Erhaltung der Ordensgemeinschaften, es geht um den Auftrag Christi und diesen konkret in der Gesellschaft umzusetzen.“Eine Kirche, die ihren Auftrag wichtiger als sich nimmt, ihre Organisation und Strukturen, ist ein guter Anfang.