»Die Alten können sich heute brausen«
Peter Henisch, Schriftsteller und Protagonist der 68er-Generation, feiert am 26. April beim Vienna Blues Spring im Haus der Musik ein spätes Comeback als Sänger. Gedanken über die Faszination von Jim Morrison, die Nähe zum Blues, warum sich Nächstenliebe
Das deutsche Musikmagazin „Rolling Stone“hat jüngst Ihr Debütalbum „Alles in Ordnung“aus dem Jahr 1975 hoch gelobt. Man hat Sie als proletarischen Wiener Leonard Cohen bezeichnet. Wie kam das bei Ihnen an? Peter Henisch: Dieser Vergleich ist sehr ehrenvoll. Das erhöhte natürlich die Latte für das neue Album „Blues Plus“, das ich nach so vielen Jahren der musikalischen Pause aufgenommen habe. Zu meinem Erstaunen haben wir große Teile des Albums in der Wohnung von Bassist Peter Strutzenberger aufgenommen. Die heutige Technik machte es möglich. „Wiener Fleisch und Blut“hieß ein damaliges Bandprojekt von Ihnen. Was waren die Intentionen? Diese Gruppe entstand aus der Zusammenarbeit mit Thomas Declaude. Der war damals eine Art Folksänger, der französisch gesungen hat. Das hing mit seinem Namen zusammen. Hörte man genauer hin, war es gar kein Französisch. Wir haben 1973 aus meinem Buch „Baronkarl“gemeinsam Lieder gemacht. Gab es auch Live-Konzerte? Ja natürlich. Wir sind im „Theater im Kärntner Tor“und in der Diskothek Atrium aufgetreten. Und im Club Elektronik, der sich da befand, wo das heutige Plattengeschäft Audio-Center ist. Wilde, ja anarchistische Zeiten waren das. Ich kann mich erinnern, gemeinsam mit einer Saxofonistin den Doors-Song „Light My Fire“eine kleine Ewigkeit lang gegeben zu haben. Die Leute sind schon abgewandert, aber uns war das egal. Wir haben weiter gemacht. Über den Sänger der Doors haben Sie auch den Roman „Morrisons Versteck“verfasst. Woher rührte diese Faszination? In einer langen Nacht mit dem Cafe-´ theater habe ich eine Stimme gehört, die da „When the music’s over, turn out the lights“gesungen hat. Die hat mich sofort gebannt. Ich wurde darüber aufgeklärt, dass Jim Morrison wenige Monate zuvor verstorben ist. Dann schaute ich mir das Cover an. „Absolutely Live“stand darauf. Das brachte mich ins Grübeln. Es ist ja eine Art Gespensterzirkus, wenn man den Stimmen von Verstorbenen nachlauscht. Nach einer Latenzzeit von einigen Jahren hab’ ich dann das Buch geschrieben. Sie haben dafür auch in den USA recherchiert? Ich habe rund um eine Lesetournee einige Orte besucht, die für Morrison bedeutsam waren. Zunächst Florida, wo er seine Kindheit verbracht hat, dann New Mexico, später natürlich auch Los Angeles und San Francisco. Ein halbes Jahr später hab ich noch Paris angehängt, wo er bekanntlich verstorben ist. Das Buch selbst ist, wie oft bei mir, irgendwo zwischen Ernst und Ironie angesiedelt. Der Protagonist entdeckt seine eigenen Lebensspuren in der Existenz dieses Untoten. „Jim is alive“kritzelte damals jemand auf sein Grab am Cimetiere` du P`ereLachaise. Und so wurde das Buch irgendwie auch eine Parodie auf einen Vampirroman. Warum haben Sie nach so langer Zeit erneut aufgenommen? Bezüglich der CD ist Alfred Pulletz, ein ehemaliger Journalist bei der „Arbeiter Zeitung“, an mich herangetreten und hat es vorgeschlagen. Zunächst war ich skeptisch. Die größten Teile meines Lebens hab ich ja nur rhythmisch gesprochen. Letzten Endes hat die Wür-
Am 27. 8. 1943
wurde Peter Henisch in Wien geboren. Er studierte Germanistik, Philosophie, Geschichte und Psychologie und arbeitete kurz bei der „Arbeiter Zeitung“.
1969
war er Mitbegründer der Literaturzeitschrift „Wespennest“.
Seit 1971
lebt Henisch als freier Schriftsteller in Wien, NÖ und der Toskana. Sein bekanntester Roman ist „Die kleine Figur meines Vaters“(1975) – darin setzt er sich mit der Vergangenheit seines Vaters als offizieller Kriegsfotograf der Wehrmacht auseinander.
1975
Mitbegründer, Liedtexter und Sänger der Gruppe Wiener Fleisch und Blut. Aus seiner Zusammenarbeit mit Woody Schabata und Hans Zinkl entstand 2001 das „Black Peter’s Songbook“. digung im „Rolling Stone“aber doch den Ausschlag gegeben, es zu wagen. Warum entschieden Sie sich für den Blues als Idiom? Der Blues war mir immer nah. Mose Allison war schon früh jemand, dessen Musik mir außerordentlich gut gefiel. Sein Stück „Young Man Blues“hab ich damals ins Wienerische umgedichtet. „A junga Mau is nix auf dera Wöd heutzutag“hieß das damals. Aber das stimmt alles nicht mehr. Jetzt sind die jungen Männer tatsächlich obenauf. Diese coolen Menschen, denen nichts mehr unter die Haut geht. Die Alten können sich brausen. In einem Ihrer neuen Lieder kommt das Idiom „Scheiß an, Paula“vor. Das hörte man früher an jeder Ecke, jetzt ist es beinah ausgestorben. Was ist Ihre Deutung? So manche schöne Redewendung verschwindet. Meiner Ansicht nach ist „Scheiß an, Paula“eine Art „Maschallah“, also ein Ausdruck der Schicksalsergebenheit. In Ihrer Generation aber herrschte doch noch viel mehr das „Prinzip Hoffnung“, wie es der deutsche Philosoph Ernst Bloch in drei Bänden beschrieben hat. Warum kam es eigentlich nie zu ihrer Promotionsarbeit über Bloch? Zwei Jahre lang hab ich an meiner Dissertation gearbeitet, dann bekam ich Probleme mit dem alten Leo Gabriel, jenem Ordinarius auf der Philosophie, der beim Denken die Augen so verdreht hat, dass man nur mehr das Weiße gesehen hat. Ich hatte das Pech, dass ich zweimal in die Institutsvertretung gewählt wurde, als in Wien doch ein paar Ausläufer der studentischen Revolte zu spüren waren. Er hat mich wohl als Modell des marxistischen Studenten gesehen, was absurd war. Er wollte plötzlich, dass ich etwas über Schopenhauer schreibe. Kurze Zeit später wurde mir ein Vertrag des Fischer Verlags angeboten. Und so bin ich kein Doktor geworden, obwohl es meine Oma sehr geschätzt hätte, wenn ich den akademischen Titel ans Türtaferl hätte schreiben können. Ist angesichts der politischen Lage das Hoffen mehr denn je angebracht? Angebracht wäre es schon. Aber einfach ist es nicht. Es gibt heutzutage viel zu viele Sprechblasen, die die Hoffnung trivialisieren. „We Shall Overcome“haben wir damals gesungen. Heute scheint Solidarität obsolet zu sein, Nächstenliebe rentiert sich nicht. Das „Mir-san-mir“regiert. Man muss hoffen, dass es genug Menschen gibt, die es sich überhaupt noch vorstellen können, gegen diesen Zeitgeist zu sein. Jetzt gilt es, geistig Widerstand zu leisten. Sie werden im August 75 Jahre alt. Was bleibt einem denn da noch an privater Hoffnung? Dass es jenen Menschen, die man mag, möglichst lange gut geht. Was mich selbst anlangt, ahne ich, dass ich im Endspurt bin. Aber hetzen will ich mich nicht lassen. Ich hab noch einige schöne Bücher in mir. Waren Sie 1966 tatsächlich Lokalredakteur bei der „Arbeiter Zeitung“? Nein, höchstens Anwärter. Im Wesentlichen bin ich im Fernschreibraum gesessen. Da sind die Meldungen der APA rausgekommen. Die musste ich dann in die jeweiligen Redaktionen bringen. Ich hab allerdings dort schon Kurzgeschichten und Gedichte geschrieben. Dadurch war ich manchmal nicht schnell genug und ich hab’ mir das Geschrei von Chefredakteur Löwy eingehandelt. Ich war kein tauglicher Mitarbeiter der „AZ“. . . . was 1969 Ihr Motiv war, die Literaturzeitschrift „Wespennest“zu gründen? Die Initiative ging von Helmut Zenker aus. Untertitel war „Zeitschrift für brauchbare Texte“, das richtete sich gegen die Avantgarde, die sich als einzige Möglichkeit des Schreibens aufgespielt hat. Wir hielten dagegen. . . . ob Österreich heute mehr denn je die „Versuchsanstalt für den Weltuntergang“ist? Man ist versucht, dieses Diktum immer wieder zu zitieren. Aber da muss man vorsichtig sein. Die geopolitische Wichtigkeit Österreichs ist ja radikal geschrumpft. . . . ob das geschriebene Wort in Zeiten des Internet nicht stark an Wirkkraft eingebüßt hat? Das hoffentlich nur vermeintliche Ende der Gutenberg-Ära geht mit einer Verblödung einher. Mit dem Internet könnten die Leute viel gescheiter sein als früher. Man muss befürchten, dass Lesen eine Nischenkulturtechnik wird. Sind denn nicht Bücher wie „Baronkarl“aus ihrer Tätigkeit bei der „AZ“entstanden? Nur indirekt. Aber für ein paar Geschichten wollte ich den Geist der Peripherie einfangen. Dafür gab es ein amerikanisches Vorbild, den Dichter William Carlos Williams, dem ja jüngst der US-Regisseur Jim Jarmusch mit „Patterson“ein filmisches Denkmal gesetzt hat. Der Baronkarl war ja kein Baron, sondern ein hoch angesehener Favoritner Sandler in der Zwischenkriegszeit. Er war gewissermaßen ein Bezirks-Diogenes, was ich sehr erstaunlich fand, weil diese Toleranz in meiner Jugend wieder aus der Mode war. Wir wurden ja als Gammler verunglimpft. Wer hat die Alternativkultur im Wien der Siebzigerjahre eigentlich vorangetrieben? Das war der Rolf Schwendter, der war die Seele der Subkultur. Die von der Pariser 1968er-Bewegung ausgelösten Impulse kamen zeitversetzt in Österreich an. Es war eine Kultur der Arbeitskreise. Von einem „Arbeitskreis James Joyce“bis zu einem „Arbeitskreis Spaghettikochen“. Aber letztlich war erst die Arena-Bewegung unsere 68er-Revolte. Sind Sie selbst mittlerweile ein Mahnmal wider den Zeitgeist? Das mag schon sein. Mir behagt der utopielose Zustand nicht. Der Zeitgeist war immer ein bisserl blöd, jetzt ist er es fast ausschließlich. Ich sehe da einen Zusammenhang zwischen Dummheit und Bosheit. Die Gemeinheit ist heute fast Mainstream. Papst Franziskus scheint mir der letzte Linke in einer wichtigen Position zu sein. Wie beurteilen Sie die derzeitige Parteienlandschaft in Österreich? Die Partei, die man wählen kann, muss erst erfunden werden.