Sprachen für Sergio und Sofia
sonen dem Kind sprachlich bieten, und davon, dass bewusst mit der Mehrsprachigkeit umgegangen wird.
Es kann jedenfalls sehr gut funktionieren, das hat Müller in ihren Studien herausgefunden – mit der Einschränkung, dass vor allem bildungsaffine Eltern bei ihr landen. Die untersuchten dreisprachigen Kinder verstehen alle Sprachen, etwa die Hälfte spricht eine davon nicht gut. Verzögerungen in der Grammatik, die meist in der NichtUmgebungssprache auftreten können, werden bis zum Alter von fünf Jahren oft aufgeholt. Interessant ist, dass Kinder mit einer romanischen Sprache manche Entwicklungsphasen im Deutschen überspringen – etwa die mit der Satzstellung „Mama arbeiten gehen“.
Der Wortschatz von trilingualen Kindern ist laut einer britischen Untersuchung genauso groß wie der von einsprachigen, sagt Müller. In den sekundären Sprachen hätten sie weniger Wörter zur Verfügung. Aber der Wortschatz werde auch komplementär erworben, sagt Pfenninger: „Man spricht ja auch nicht jede Sprache in jeder Situation jeden Tag, sondern eine mit der Mutter, eine mit den Großeltern, eine in der Schule.“Mehrsprachige brau- chen allerdings – weil sie weniger Übung in einer Sprache haben – länger, um auf den Wortschatz zuzugreifen. Pfenninger zitiert Studien, laut denen jede Sprache 200 Millisekunden kostet, wenn es darum geht, ein bestimmtes Wort abzurufen. Das kann in bestimmten Situationen ein Nachteil sein.
Dafür haben Mehrsprachige auch Vorteile, die über die Zahl der Sprachen hinausgehen. „Bilinguale müssen dauernd entscheiden, welche Sprache sie anwenden und welche sie unterdrücken, denn die Sprachen sind ständig aktiv. Daher wissen wir, dass sie besser in der Lage sind, sich auf be- stimmte Aufgaben zu konzentrieren.“Zudem wird angenommen, dass Mehrsprachige empathischer sind – weil sie ständigen sprachlichen Perspektivenwechsel betreiben. Apropos Wechsel: Mehrsprachigkeit sei ein dynamischer Prozess, sagt Pfenninger. Es ist normal, dass man Sprachen zu verschiedenen Zeitpunkten unterschiedlich gut beherrscht – das Verhältnis kann sich sogar komplett umkehren. Es ist ein Langzeitprojekt. Das Vermitteln von Sprachen ist jedenfalls nicht nach ein paar Jahren getan. Es ist ein Langzeitprojekt. „Der Erhalt der Sprache ist die Kunst“, sagt Pfenninger. Es gebe Kinder, die mehrsprachig aufwachsen, die Sprachen aber verlieren, weil sie in der Schule nicht weiterentwickelt werden, weil die Kinder nicht lesen und schreiben lernen. Auch das (fehlende) Prestige einer Sprache spielt eine Rolle, Stichwort klassische Migrantensprachen. „Die Kinder merken das sehr früh.“Jede Strategie sei auf Beharrlichkeit angewiesen. „Der größte Mythos ist sicher, dass sich Mehrsprachigkeit von Kindern mühelos einstellt. Das ist ein Mammutprojekt.“
Den Eltern von Sergio und Sofia ist das durchaus bewusst: „Wir wollen, dass die Kinder in der Schule sowohl Englisch als auch Deutsch weiterentwickeln können“, sagt Natalie. Arabisch und Spanisch werden sie weiterhin zu Hause fördern, außerdem mit Kinderkursen neben der Schule, wie sie Sergio in Spanisch im Vorjahr besucht hat, und mit regelmäßigen Reisen nach Jordanien und nach Nicaragua. „Je älter die Kinder werden, desto mehr geht es darum, sie zu motivieren“, weiß Zwetelina Ortega – aus ihrer professionellen Erfahrung wie aus der persönlichen als Jugendliche, die einst mit drei Spra- chen aufgewachsen ist. Man müsse dranbleiben, man müsse immer wieder schauen, was man dem Kind anbieten könne: Reisen, Gleichaltrige, die die Sprache sprechen, Angebote der Communities. „Die Sprache muss gelebt werden.“Ihr geht es nicht darum, dass ihre Kinder jede der drei Sprachen in ihrer Familie – Bulgarisch, Spanisch, Deutsch – perfekt sprechen. „Ich hoffe,
Mehrsprachige sind besser darin, sich auf bestimmte Aufgaben zu konzentrieren. Der Erhalt der Sprache ist die Kunst. Manche Kinder verlieren Sprachen wieder.
dass sie die Sprache irgendwann selbst entdecken und darauf aufbauen.“
In Katalonien stellt sich Nina Mager schon einmal darauf ein, dass es nicht ganz einfach wird mit den zwei zusätzlichen Sprachen. Nach einigen Wochen dort sei der fünfjährige Manoa ein bisschen verwirrt, wohl, weil er gerade damit beschäftigt ist, die neuen Sprachen zu fassen. „Da müssen wir geduldig sein – so ein Wechsel ist ja am Anfang extrem anstrengend“, sagt sie. „Aber ich bin grundsätzlich positiv gestimmt, dass das gut hinhaut.“
Vier Sprachen gibt es in der Familie von Natalie und Samer.