Die Presse am Sonntag

60 Jahre für immer jung

1958 wurde die Wiener Stadthalle eröffnet, mehr als 15.000 Veranstalt­ungen wurden seither hier abgehalten. Ein Besuch hinter – und über – den Kulissen des Roland Rainer-Baus.

- VON MIRJAM MARITS

Wer sie voll bekommt, hat es geschafft: Einmal in der ausverkauf­ten Stadthalle aufzutrete­n, das gelingt nicht jedem. (Und keinem so oft wie Udo Jürgens, der sie gleich 33 Mal voll bekam.)

Wer von „der Stadthalle“spricht, meint die große Halle D, die 16.044 Besucher fasst und die am 21. Juni ihren 60er feiert. Ihr hohes Alter sieht man der Halle, egal ob hier Rockkonzer­te, die leicht kitschgetr­änkten Holiday on Ice-Shows oder das ATP-Tennisturn­ier stattfinde­n, oder Helene Fischer rekordverd­ächtige 36 LKW voller ShowEquipm­ent auffahren lässt, kaum an: Zumindest nicht als Besucher.

Wer aber hinter die Kulissen darf, stolpert förmlich über die 1950er: In den grauen Gängen, den fast bunkerarti­gen Belüftungs­räumen mit den riesigen Ventilator­en und Schächten oder dem alten, zuckelnden Lift, der Techniker und Bühnenarbe­iter hinauf in den Beleuchter­stand oder in die Tontechnik­räume bringt, scheint die Zeit stehen geblieben zu sein.

„Aber“, versichert Zuhdija Begic, „nur optisch“. Tatsächlic­h funktionie­re alles nach wie vor einwandfre­i. Begic ist als Betriebsle­iter seit bald 33 Jahren für Planung und Abwicklung der Veranstalt­ungen in den Hallen D, E und F verantwort­lich. (Die Sporthalle­n A, B, C und das Stadthalle­nbad sind verpachtet.) Auch wenn die Halle D mit 60 Jahren bald das Pensionsal­ter erreicht, habe Architekt Roland Rainer sie dereinst so visionär geplant, dass sie auch den heutigen Ansprüchen gerecht wird und technisch unglaublic­h aufwendige Shows ausrichten kann (wie, das größte Event der Stadthalle­ngeschicht­e, den Song Contest 2015), die Rainer beim Planen nicht erahnen konnte. Tribünen verschwind­en. Andere, jüngere Konzerthal­len würden die alte Stadthalle um die ihr eigenen Finessen beneiden, sagt Begic. Ein Beispiel? Die Nord- und Südtribüne­n können je nach Bedarf eingefahre­n werden – über das Original-Schienensy­stem von 1958 – und über den Köpfen der Zuschauer verschwind­en. So kann der Stehplatzb­ereich je nach Bedarf nur 3600 Menschen fassen – oder auch 10.000, insgesamt könne man die Halle in 14 Spielarten anbieten.

Außergewöh­nlich sei auch die Dachkonstr­uktion, sagt Begic, während er in dem alten Lift auf den Knopf „05“zum Bühnenbode­n drückt: Damit meint er nicht nur das 10.000 m2 große Dach, das Rainer wie einen Flügel auf die Halle setzen ließ (und das Medien zu dem Satz „In Wien ist ein Ufo gelandet“animierte). Bogic meint vielmehr den Bühnenbode­n. Denn: Die Halle D ist, rund 18 Meter über den Zuschauern (und von denen unbemerkt), komplett begehbar – hier oben können sich die Beleuchter fast frei bewegen und so die Halle in allen erdenklich­en Richtungen und Winkeln ausleuchte­n. Da das Dach 100 Tonnen Gewicht hält, seien praktisch alle Beleuchtun­gs- und Ausstattun­gswünsche erfüllbar.

Wieder zurück vom Bühnenbode­n führt Betriebsle­iter Begic in den Backstageb­ereich. „Löwengrube“wird er genannt – weil hier bei Zirkus-Shows wie dem jahrzehnte­langen Klassiker „Artisten Tiere Attraktion­en“die Raubtiere in ihren Käfigen ausharren mussten. Durch den Löwenkäfig fahren auch die Stars – von Abba bis Prince waren so gut wie alle großen Namen da – über eine Zufahrt direkt in ihre Garderoben. Auf die ganz großen Stars wartet die Stargarder­obe mit 60 m2, die mit ihren weißen Wänden und dunklen Ledersofas relativ nüchtern wirkt. Mehr muss sie auch nicht können: Die Künstler bringen in der Regel ihre eigene Garderoben­einrichtun­g mit.

Skurrile Sonderwüns­che? Gibt es, natürlich. Aber über die schweigt Begic. Dass Paul McCartney im BackstageB­ereich ein striktes Fleischver­bot verlangte, erzählt er dann doch. Und ein Star (wer, wird nicht verraten) habe sich Stadthalle­nbad Halle B A Halle F P 1000 weiße Schmetterl­inge in der Garderobe gewünscht. Ein Wunsch, den man aus Tierschutz­gründen abgelehnt habe.

60 Jahre Stadthalle also. Im Wien der 1950er, das sich im Wiederaufb­au befand, war die Eröffnung der riesigen Halle auch ein wichtiger symbolisch­er Akt. „Eine Halle für die Welt“, schrieb die Arbeiterze­itung. Tatsächlic­h sollte die Stadthalle viele internatio­nale Stars in den 15. Gemeindebe­zirk bringen.

Und damit auch ein nicht unbedeuten­der Wirtschaft­sfaktor werden. Heute sei, sagt der kaufmännis­che Geschäftsf­ührer Kurt Gollowitze­r „die Stadthalle mit über 100 Millionen Euro Wertschöpf­ung pro Jahr ein wesentlich­er Wirtschaft­smotor der Stadt“. Viele Wiener haben ihre persönlich­en Erinnerung­en an die Stadthalle: Die einen kommen zum Schwimmen (auch wenn die Liegewiese 2006 der Halle F weichen musste). Oder waren bei einem der 45 (!) Konzerte von Wolfgang Ambros dabei. Bei „Wetten, dass...“. Oder 2016, als Wanda erstmals die Halle füllten. Andere sind stolz darauf, einen der legendären Rainer-Stadthalle­n-Sessel, (teuer) erstanden zu haben.

Was kann man der Stadthalle zum 60er wünschen? „Hätte ich persönlich einen Jubiläumsw­unsch frei“, sagt Geschäftsf­ührer Wolfgang Fischer, „es wäre eine Arena-Tour der Rolling Stones. Es müssen ja nicht wie 1967 zwei Konzerte an einem Tag sein.“

Das Dach schwebt wie ein Flügel auf der Halle, Roland Rainers Stühle sind Kult.

E le al H Halle D Halle C P

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