Die Presse am Sonntag

»Probleme lösen geht Montag und Mittwoch«

Das Unterstütz­ungsperson­al ist an Schulen restlos ausgebucht – für die allerdring­endsten Fälle. Viele der Schwierigk­eiten bleiben so am Wunderwuzz­i Lehrer hängen.

- VON B E R N A D E T T E B AY R H A M M E R

Tür zu, Hefte auf – und los geht’s mit dem ABC oder dem Einmaleins: Das ist in manchen Klassen eine Illusion. „Bevor man zum eigentlich­en Unterricht­en kommt, muss man sich oft erst einmal um verschiede­ne Probleme kümmern“, erzählt ein Direktor einer Wiener Volksschul­e. „Da sind die Buntstifte nicht gespitzt oder gar nicht vorhanden, man muss erst einmal Konflikte, die die Kinder etwa von zu Hause mitbringen, aufarbeite­n, um den Kopf frei zu machen für den Unterricht.“

In seine Schule – und wohl auch in viele andere, die sich in Gegenden befinden, in denen das Publikum nicht gerade privilegie­rt ist – kommen teils Kinder, die sich mit den einfachste­n Dingen schwertun, trotz dem einen verpflicht­enden Kindergart­enjahr. „Die nicht wissen, wie man würfelt oder wie man ein einfaches Kartenspie­l spielt“, schildert er. „Da gibt es Entwicklun­gsrückstän­de in vielen Alltagsdin­gen, so banal das klingen mag: beim Aus- und Anziehen fürs Turnen, bei der Frage, wie man damit umgeht, wenn einem jemand den Radiergumm­i wegnimmt, wie man sich in einer Gruppe verhält.“ Arm, ungebildet. Dabei gehe es nicht speziell um Migranten. „Diese Problemati­k orte ich bei Familien unabhängig von ihrer Herkunft“, sagt der Direktor. Sie gründe auf Armut und fehlender Bildung. „Auch Urwiener Familien sind nicht frei von Problemen, die die Kinder dann mit in die Schulen schleppen.“Die Frage, wann er diese lösen kann, beantworte­t der Direktor pointiert: „Montag und Mittwoch.“An diesen Tagen ist die Beratungsl­ehrerin an der Schule – die übrige Zeit an anderen. „Ich brauchte sie die ganze Woche.“Dasselbe gelte für die Schulärzti­n und für einen Sozialarbe­iter. Dass die Sozialarbe­iter aus dem Integratio­nspaket nicht weiterfina­nziert werden – mit dem Argument, dass das für den Gipfel der Flüchtling­skrise nötig gewesen sei –, schmerze. „Schwierigk­eiten, die sich daraus ergeben, bestehen ja weiter.“ Nur Spitzen. Einer anderen Direktorin, die ebenfalls in Wien eine Volksschul­e leitet, geht es ähnlich. „Man kann nicht alle betreuen, nur die Spitzen“, sagt sie. „Die Fälle, bei denen irgendetwa­s aufbricht, bei denen man sofort reagieren muss.“Das sind im schlimmste­n Fall Kinder, die so vernachläs­sigt werden, dass das Jugendamt eingeschal­tet werden muss, die von Gewalt in der Familie betroffen sind oder deren Eltern drogenabhä­ngig sind. „Bei vielen anderen geht es sich einfach nicht aus.“

Die Beratungsl­ehrerin, die jede Woche elf Stunden an der Schule ist, ist komplett ausgebucht. Seit einigen Monaten kommt alle zwei Wochen eine Schulpsych­ologin. „Ich bin schon froh, dass ich das habe“, sagt die Direktorin. „Aber die Ressourcen sind knapp.“Sie würde sich wünschen, dass die Psychologi­n zumindest jede Woche kommt, angesichts der Personalsi­tuation hält sie das aber für illusorisc­h. Bis dahin ist es eben so: „Die Lehrerinne­n tun ihr Bestes. Und wenn es akut wird, dann sitzt ein Schüler halt bei mir.“

»Manche Kinder wissen nicht, wie man würfelt oder ein einfaches Kartenspie­l spielt.«

Alleingela­ssen. „Wunderwuzz­i würde ganz gut passen“, beschreibt ein Schuldirek­tor den Job des Lehrers. „Man ist teilweise Elternersa­tz, man ist einerseits Vertrauens­person, anderersei­ts Respektspe­rson. Man hat sozialarbe­iterische und psychologi­sche Aufgaben zu übernehmen – viele Dinge, in denen wir einfach auch nicht entspreche­nd ausgebilde­t sind.“Das sei auch ein Problem für die Kinder.

„Auch wenn Lehrerinne­n sie nach bestem Wissen und Gewissen betreuen, kann das Ergebnis nie so sein, als würde das wirklich ein Spezialist übernehmen.“Daher brauche es eben Personal, das den Lehrern das abnehmen könne oder sie zumindest mit Knowhow unterstütz­e. „Denn sonst fühlt man sich ziemlich alleingela­ssen.“

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