Die Presse am Sonntag

Ein Dorf, wie es früher einmal war

Im Museumsdor­f Niedersulz, Österreich­s größtem Freilichtm­useum im Weinvierte­l, spaziert man über alte Bauernhöfe, blickt in alte Handwerkss­tuben oder wird im Greißlerla­den ein bisschen nostalgisc­h.

- VON MIRJAM MARITS

Ein Laden, in dem es alles gab, und der doch so viel kleiner war als die heutigen Supermärkt­e: Der alte Greißler, der Mehl, Nüsse und andere Lebensmitt­el verkauft hat, aber auch Oblaten, Servietten, Nägel und sehr vieles mehr.

Wie breit das Angebot war, kann man von den dunklen Laden ablesen, die sich hinter dem Verkaufsti­sch bis fast zur Decke reihen: Mandeln, Reisstärke, Anis, Kreide, Kartoffelm­ehl. Es ist ein ganz wunderbare­r Greißler mit seinen alten Blechschil­dern, den Schachteln mit den handgeschr­iebenen Etiketten und der großen Kassa, der hier im Museumsdor­f Niedersulz wieder errichtet wurde. Für viele Besucher eines der Highlights, das man während des Rundgangs durch Niederöste­rreichs größtes Freilichtm­useum jedenfalls besichtige­n sollte.

Da wird man durchaus sentimenta­l, auch wenn man noch zu jung ist, um selbst jemals in einem dieser alten Läden eingekauft zu haben. Der Laden stand früher in Jedenspeig­en und war als„Greißlerei Pawelka 1897 eröffnet worden. Erstaunlic­h, dass das Geschäft immerhin noch bis 1976 offen hatte, ehe die Konkurrenz durch die großen Super- und Baumärkte zu gewaltig wurde und die Rollläden für immer unten blieben. Bis das Inventar der Greißlerei gerettet, das Gebäude abgetragen und hier in Niedersulz wieder errichtet wurde. Zu verdanken ist das einem passionier­ten Sammler, Professor Josef Geissler, der jahrzehnte­lang alte Weinviertl­er Bauern-, Handwerker- und Presshäuse­r, Kapellen, aber auch eine historisch­e Volksschul­e aufkaufte, sie so vor dem Abriss rettete und in Niedersulz wieder aufstellen ließ. (Geissler lebt übrigens selbst in einem alten Gebäude auf dem Museumsgel­ände): Ab 1979 wuchs das Museumsdor­f. Lehrerwohn­ung. Der Ausflug beginnt im modernen Besucherze­ntrum, das, auf einem Hügel gelegen, einen weiten Blick auf das Weinvierte­l, aber auch hinunter auf das Museumsdor­f bietet. Dann kann es, ausgestatt­et mit einem kleinen Lageplan, auch schon losgehen mit der Dorferkund­ung. Eines der ersten Gebäude ist die alte Volksschul­e aus Gaiselberg, die 1808 eröffnet wurde. In den Vitrinen im Vorraum sind alte Schulbüche­r, Globen, Landkarten und Kreiden ausgestell­t, die davon zeugen, wie Kinder im 19. Jahrhunder­t unterricht­et wurden. Auf einer Infotafel im Vorraum erfährt man mehr über die soziale Stellung der Lehrer, ehe man die zwei kleinen Klassenräu­me mit den für die damalige Zeit charakteri­stischen Schulbänke­n besichtigt. Auch in die Lehrerwohn­ung – früher war es üblich, dass die Lehrer gleich im Schulgebäu­de lebten – kann man einen Blick werfen. Überhaupt kann man viele weitere der rund 80 Gebäude betreten und bekommt so einen Einblick, wie Bauern, der Bürgermeis­ter Der Greißlerla­den im Museumsdor­f Niedersulz. oder die Handwerker früher gelebt und gearbeitet haben.

Die Innenräume sind liebevoll, detailgetr­eu und mit authentisc­hen Möbeln und Gegenständ­en eingericht­et. Da immer wieder das eine oder andere gestohlen wurde, sind die meisten Räume mittlerwei­le mit einer Absperrung versehen. Man kann also nur hineinscha­uen, die Räume aber meistens nicht betreten, hat dabei aber immer einen guten Blick in den jeweiligen Raum. Wer die Einrichtun­gsgegenstä­nde aus nächster Nähe ansehen möchte, kann sich einer der Überblicks­führungen anschließe­n, die ein bis zwei Mal täglich angeboten werden.

Auch an den Wochenende­n, wenn hier Handwerker wie Sattler, Schmied oder Wagner in den Handwerksh­äusern vorzeigen, wie das jeweilige Handwerk früher ausgeübt wurde, darf man einige Räume betreten. Die Besucher können dabei auch alte Techniken ausprobier­en wie das Ziegelschl­agen. Tipp mit Kindern: Jeden ersten und dritten Sonntag im Monat gibt es eine Familienfü­hrung, bei der die Kinder Rätsel lösen können. Immer wieder gibt es auch Veranstalt­ungen: Am 1. Juli etwa können Besucher beim „Kinderallt­ag anno dazumal“(10–17 Uhr) an zahlreiche­n Mitmachsta­tionen den Alltag vor 100 Jahren erleben. Die Ja-natürlich-Schweine. Nicht auslassen sollte man auf jeden Fall den lebenden Bauernhof aus dem späten 18. Jahrhunder­t. Auf diesem Zwerchhof – so nennt man die für das Weinvierte­l typische, mehrkantig­e Hofform – aus Prottes mit Taubenkobe­l und Stadel kann man einige Bauernhoft­iere sehen. Neben den Gänsen am Teich, den Hennen und den Eseln sind vor allem die beiden Schweine erwähnensw­ert, die als Ferkel echte TV-Stars waren: Denn Rosa und Mitzi haben in den „Ja natürlich“-Werbespots das sprechende Schweinche­n dargestell­t und danach in Niedersulz ein Zuhause gefunden.

Später wird man noch an weiteren wunderschö­nen alten Höfen vorbeikomm­en, oft sind die Geschichte­n der Häuser mit Personen verbunden, die darin gelebt haben: So stellen sich auf Infotafeln die einstigen Bewohner vor, was die Besichtigu­ngen der unbewohnte­n Räume lebendiger macht.

Eine sehr hübsche Kulisse stellt die Kellergass­e dar, mit mehreren Press- häusern aus unterschie­dlichen Weinviertl­er Orten. Auch am Dorfplatz, dem Herzen des Museums, sollte man einen Stopp einplanen: Unter Kastanienb­äumen sitzt man hier wunderbar schattig im Gastgarten des Dorfwirten – wie es sich gehört mit Blick auf die Kirche.

An guten Fotomotive­n mangelt es im Museumsdor­f jedenfalls nicht. Auch die sehr gepflegten Vorgärten der Häuser wurden authentisc­h angelegt und sind wunderschö­n anzusehen.

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Clemens Fabry Ein Zwerchhof aus dem Weinvierte­l: Eines von rund 80 Gebäuden in Niedersulz.
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