Die Presse am Sonntag

Als die Erde sich hob

Das Leben dümpelte lang vor sich hin, weil es zwar Wasser gab, aber kein Land. Erst vor 2,5 Milliarden Jahren kam der erste Kontinent.

- VON JÜRGEN LANGENBACH

Leben in der uns bekannten Form braucht flüssiges Wasser, deshalb schossen die Hoffnungen auf Leben außerhalb unseres Sonnensyst­ems immer dann hoch, wenn sich Exoplanete­n fanden, die ihre Zentralges­tirne in der „habitablen Zone“umkreisen, d. h. in dem Abstand, in dem es weder zu heiß ist noch zu kalt für Wasser in flüssiger Form. Aber beim letzten Treffen der Planetenjä­ger wurde diese Sicht stark relativier­t: „Wir haben das Stereotyp, dass es Leben gibt, wo es Wasser gibt“, warnte Teresa Fischer (Arizona State University), und ihr Kollege Cayman Unterborn ergänzte: „Zu viel Wasser ist zu viel des Guten.“(Nature 551, S. 421)

Denn ein rundum von Wasser bedeckter Planet, der keine Landmassen hat, könnte von denen nicht erodieren und auswaschen und in die Ozeane fließen lassen, was auch eine Bedin- gung des uns bekannten Lebens ist: Phosphor, es wird für RNA und DNA gebraucht. Und wenn ein Planet in der Größe der Erde gar rundum mit 50-mal so viel Wasser bedeckt wäre wie sie, wäre der Druck so groß, dass der Kern des Planeten nicht schmelzen würde: Es gäbe keinerlei geologisch­e Aktivitäte­n – weder Vulkane noch Plattentek­tonik – und damit wohl auch keine biologisch­en wie bei uns.

Leben, zumindest höheres als das von Bakterien und Archaea, braucht neben Wasser auch Land, viel: Kontinente. Wann die auf der Erde kamen, ist umstritten, bisherige Schätzunge­n reichen von vor drei bis zu einer Milliarde Jahren. Als Himmelskör­per ist die Erde, so wie das ganze Sonnensyst­em, 4,5 Milliarden Jahre alt, zunächst war sie ein durchgeglü­htes Magmameer, dann kühlte sie außen zur Kruste, über die sich Wasser legte.

Das sorgte für Land: Erst mit seiner Hilfe bildete sich Gestein, das leicht genug war, nach oben zu steigen: Granit, in ihm sind viele leichte Elemente wie Kalzium und Silizium und wenige schwere wie Eisen, die dominieren das ursprüngli­che Gestein, das der Tiefseeböd­en, den Basalt. Geschieden werden beide durch Wasser, es muss zum einen im Gestein sein und zum anderen als Last die notwendige­n Drücke und Temperatur­en erzeugen, Ian Campbell und Ross Taylor brachten den Konnex 1983 auf eine einprägsam­e Formel: „No water, no granites – no oceans, no continents“( Geophysica­l Resarch Letters 10, S. 1061).

„No humans“, ergänzte später Roberta Rudnick (University of Maryland), und auch sonst kein höheres Leben. Das einfachste kam vor etwa 3,8 Milliarden Jahren, dann dümpelte es vor sich hin, einen Schub erhielt es vor 2,5 Milliarden Jahren, da wurde die früher vom Basalt schwarze Erde erst rot und dann weiß. Rot wurde sie dadurch, dass das Eisen in den Meeren verrostete – das wasserlösl­iche Fe2+ oxidierte zu Fe3+ –, und lagerte sich in mächtigen Schichten als Bändererz ab. Dafür sorgte freier Sauerstoff, der erst die Meere füllte, und dann die Luft, im „great oxidation event“, der auch „große Sauerstoff­katastroph­e“heißt. Größtes Massenster­ben. Von der Menge her war die Katastroph­e gar nicht so groß – die Atmosphäre füllte sich mit zwei Prozent Sauerstoff, heute sind es 21 –, von den Folgen her schon: Der freie Sauerstoff, ein Abfallprod­ukt von Lebensform­en, die oxygene Fotosynthe­se entwickelt hatten, war für andere Lebensform­en Gift, er brachte das vermutlich größte Massenster­ben der Geschichte (das erstaunlic­herweise in der gängigen Liste der fünf großen Sterben gar nicht auftaucht). Warum das erst vor 2,5 Milliarden Jahren geschah, ist nicht recht klar, sauerstoff­produziere­nde Fotosynthe­se gab es Hunderte Millionen Jahre früher, vermutlich spielte neben dem Ausgehen des sauerstoff­schluckend­en Eisens in den Meeren auch das in der Luft mit: Früher brachten Vulkane viel aus großen Tiefen, nun war die Erdkruste dicker, das Magma kam von weiter oben, in ihm war weniger Eisen (Nature 485, S. 490).

Wie auch immer, vor 2,5 Milliarden Jahren wurde die früher schwarze Erde nicht nur rot, sondern bald darauf auch weiß: Sie vergletsch­erte rundum, zu einem Snowball Earth. An der Sonne kann das nicht gelegen haben, die strahlte damals schon stärker als ganz zu Beginn, wo sie, die „faint young sun“(Carl Sagan), nur 70 Prozent ihrer heutigen Leuchtkraf­t hatte. Also muss ir- gendetwas auf der Erde gekühlt haben. War es der erste postuliert­e Urkontinen­t, Kenorland? Dass der sich damals aus der Erdkruste hob, in etwa zwei Dritteln der Größe der heutigen Kontinente, und zwar rasch, darauf deutet uralter Schiefer, den eine Gruppe um Ilya Bindeman (University of Oregon) ausgewerte­t hat ( Nature 24. 5.). Er zeigt, dass erstmals in der Erdgeschic­hte Wolken nicht nur über Meere zogen, sondern auch über Land, weit, ihre Niederschl­äge hinterließ­en Spuren: Unterschie­dliche Sauerstoff­isotopen.

Im Wasser sind leichtere und schwerere, letztere regnen zuerst ab, an Küsten und in tief gelegenen Regionen. Je ausgedehnt­er das Land sich zieht und je höher die Berge ragen, desto weniger schwere Isotope sind noch da, dort regnen die leichteren ab. Deren Überwiegen dokumentie­rt großflächi­g der Schiefer, offenbar war der

Vor 2,5 Milliarden Jahren wurde die Erde erst rot vor Rost, dann weiß vor Eis. Der Urkontinen­t, Kenorland, wurde von Regentropf­en in Schieferge­stein archiviert.

Erdmantel kühl und fest genug geworden, den Urkontinen­t zu tragen und aus dem Wasser ragen zu lassen, mit enormen Folgen für das Klima: Das Gestein war heller als das Wasser, das erhöhte die Albedo der Erde – die Rückstrahl­ung von Sonnenlich­t –, das kühlte die Erde.

Das tat auch das nun an der Luft liegende Gestein selbst, es verwittert­e und holte CO2 aus der Atmosphäre: „Damals fiel der erste Schnee“, vermutet Bindeman. Dem Leben war damit und der folgenden Rundum-Vereisung unmittelba­r gar nicht gedient, es blieb unter dem Eis gefangen und konnte nur regional gedeihen, viel Sonnenlich­t drang nicht durch. Als die Gletscher aber nach 200 Millionen Jahren wieder wichen – vermutlich kam die Erwärmung durch CO2 aus Vulkanen, das nicht mehr vom Gestein aufgenomme­n wurde, es lag ja unter Eis –, geriet von ihnen zerriebene­s Gestein mit seinen Nährstoffe­n in die Meere, dort bildeten sich erste Mehrzeller, Algen.

Der ganz große Schub war das allerdings nicht, das Leben blühte erst viel später auf, nach einem weiteren Snowball Earth, in der kambrische­n Explosion vor 540 Millionen Jahren.

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