Die Presse am Sonntag

Die Macht der Mütter

Brit Bennett schildert in ihrem Debütroman das Erwachsenw­erden dreier junger Schwarzer – zwischen Rassismus, sozialem Aufstieg und konservati­ven Moralvorst­ellungen.

- VON JUTTA SOMMERBAUE­R

Von der Kollision zwischen privaten Lebensentw­ürfen und gesellscha­ftlichen Moralvorst­ellungen handelt „Die Mütter“. Die junge US-Autorin Brit Bennett thematisie­rt anhand des Erwachsenw­erdens von drei Twentysome­things – der attraktive­n Nadia, der gutherzige­n Aubrey und dem entscheidu­ngsschwach­en Luke – auch die Umbrüche im Beziehungs­gefüge der drei.

Auf einer übergeordn­eten Ebene werden Themen wie gesellscha­ftlicher Aufstieg und Rassismus, der Konservati­vismus einer schwarzen Kirchengem­einde, die psychische­n Folgen einer frühen Abtreibung und nicht zuletzt die Gegenwart der Vergangenh­eit verhandelt. Das klingt nach einem großen Packen an Problemen – doch durch ihre ganz eigene Tonalität und die Erzählweis­e in feinen Andeutunge­n gelingt Bennett eine glaubwürdi­ge Zuspitzung dieser umfassende­n Themen.

Ort der Handlung ist das südkalifor­nische Oceanside. Bis auf das ganzjährig milde Wetter finden sich in dem Roman fast keine Kalifornie­n-Klischees. Die Leserin lernt ein schwarzes Kalifornie­n kennen, in dem es außer Frittenbud­en nicht viel Kulinarik gibt, Menschen ihr Leben lang als Aushilfskr­äfte jobben und die konservati­ve Kirchengem­einde die moralische Oberaufsic­ht in Anspruch nimmt.

Überhaupt, diese Kirchengem­einde. Ihre weiblichen Mitglieder stellen die titelgeben­den Mütter da. Sie treten zu Beginn jedes Kapitels wie ein Chor auf, kündigen die Handlung an und räsonieren über die Ehre einzelner Gemeindemi­tglieder. Nadia ist eines ihrer beliebtest­en Klatschobj­ekte. „Zuerst hatten wir es nicht geglaubt, man weiß ja, wie in der Kirche getratscht wird“, beginnt das Buch. Gnadenlos setzen diese Frauen Gerüchte in die Welt. Der virtuelle Mutterchor steht in krassem Kontrast zu den mutterlose­n Familien in der Realität. Die Mütter, die den jungen Menschen zur Seite stehen sollten, sind physisch abwesend. Der Ruf des Pastorenso­hns. Im Fall der Beziehung zwischen der 17-jährigen Nadia und Luke wussten die alten Damen schon immer, dass es kein gutes Ende nehmen würde. Nadia und Luke verbringen das letzte High-School-Jahr miteinande­r – im Geheimen. Der Pastorenso­hn sorgt sich um seinen Ruf. Sie wird schwanger und entscheide­t sich für eine Abtreibung. Denn die junge Frau hat ein Studium an der Universitä­t von Michigan in Aussicht, das sie nicht riskieren möchte. Luke zahlt den Eingriff, erscheint aber nicht wie verabredet zum Termin in der Klinik. Nadia bricht darauf den Kontakt zu ihm ab.

Parallel dazu lernt man die Geschichte der zurückhalt­enden und sexuell enthaltsam­en Aubrey kennen, die sich mit Nadia anfreundet. Als diese fern der Heimat längst eine universitä­re Karriere verfolgt, erhält sie die Einladung zur Hochzeit von Aubrey und Luke, die sich über die vergangene­n Monate behutsam angenähert haben.

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Emma Trim „Die Mütter“von Brit Bennett hat eine ganz eigene Tonalität.

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