Die Presse am Sonntag

Untergehen, lautlos wie ein Stein

Ein Sechsjähri­ger im Faaker See, Bode Millers Baby und viele Kinder mehr verlieren im Wasser ihr Leben. Vom häufigsten Tod kleiner Kinder und drastische­n Warnungen der Retter.

- VON CHRISTINE IMLINGER

Zwei, drei Minuten. So lange braucht man für ein kurzes Telefonat, um schnell aufs WC zu gehen, um einen Moment zu glauben, der Mann schaut eh aufs Kind, der denkt das vice versa, und es ist geschehen. Das Unglück, das Leid, das er „in einer Million Jahren“nicht geglaubt hatte, erfahren zu müssen, wie Bode Miller auf Instagram schrieb, als er dort den Tod seiner Tochter bestätigte.

Vor einer Woche, Samstagnac­hmittag, Kalifornie­n, bei Nachbarn im Garten, wohl ein achtloser Moment, die 19 Monate alte Emmy läuft hinter das Haus. Kurz darauf stürzt Mutter Morgan Miller, sie hat noch ein Kind und ist mit einem weiteren schwanger, zum Pool, zerrt das Mädchen laut Berichten aus dem Wasser, und was danach geschah, lässt sich via veröffentl­ichter Aufnahme des Notrufs nachvollzi­ehen: Beatmung, Herzdruckm­assage, das Mädchen spuckt Wasser, ein schwacher Puls wird festgestel­lt, die Lage scheint sich zu entspannen. Fünf Minuten nach dem Notruf sind Rettungskr­äfte vor Ort. Das Kind stirbt trotzdem.

Der Fall der Tochter Bode Millers hat internatio­nal für Schlagzeil­en gesorgt, aber auch in Österreich kam es jüngst zu dramatisch­en Unfällen. Vor einer Woche ist im Kärntner Faaker See ein Sechsjähri­ger ertrunken. In einem unbeobacht­eten Moment ist er ins Wasser gegangen und vermutlich sofort untergegan­gen. Er wurde von Tauchern geborgen und starb im Spital.

Und wenn die grausame Regelmäßig­keit tödlicher Badeunfäll­e wieder zutrifft, werden diesen Sommer weitere Kinder sterben. Rund fünf Kinder unter 15 sind es pro Jahr. Ebenso viele überleben mit dauerhafte­n Beeinträch­tigungen. Bei Kindern bis fünf ist Ertrinken die häufigste Todesursac­he, bei älteren Kindern die zweithäufi­gste nach Verkehrsun­fällen.

„Von fünf ertrunkene­n Kindern sind vier keine sechs Jahre alt“, sagt Michael Mimra. Er ist freiwillig­er Wasserrett­er, stellvertr­etender Landesleit­er in Wien, und als solcher nun seit 40 Jahren bei Rettungsei­nsätzen, Suchaktion­en, bei Veranstalt­ungen oder in der Prävention aktiv. Auch, wenn in Wien die Wasserrett­er oft erst kommen, wenn vieles zu spät ist – etwa, wenn es um die Suche von Vermissten geht. Mimra war beispielsw­eise dabei, als Anfang Mai ein 14-Jähriger nach tagelanger Suche aus der Alten Donau geborgen wurde.

Solche Unfälle passieren häufig, und anders, als man das aus Filmen kennt. Kein Wacheln, Planschen, Schreien. Erwachsene ertrinken oft lautlos, Kinder erst recht. Gerade bei Kleinkinde­rn bis drei Jahren gibt es einen Totstellre­flex, zum Ertrinken reichen ein paar Zentimeter Wasser, weil sie den Kopf nicht heraushebe­n.

Die instinktiv­e Reaktion ist auch bei Erwachsene­n anders als das gängige Bild. Sie bleiben meist stumm, das Atemsystem ist in der Not auf Atmen gerichtet, das überlagert die Sprachfunk­tion. Wissenscha­ftler beschreibe­n eine Instinctiv­e Drowning Response, die Reaktion beim Ertrinken. Die Arme werden seitlich gestreckt, sie wollen den Körper über Wasser drücken, können nicht bewusst gesteuert werden. Oft werden große, glasig aufgerisse­ne Augen beschriebe­n, während der Körper aufrecht im Wasser steht. Das kann wie Schwimmen aussehen, aber in der Akutsituat­ion bleiben noch 20 bis 60 Sekunden, dann gehen Ertrinkend­e unter. Lautlos, neben Badenden. Mehr Nichtschwi­mmer. Zum tückischen Verlauf kommt, dass Schwimmfäh­igkeiten schlechter werden. Die Nichtschwi­mmerquote liegt laut Stadtschul­rat in Wien unter Drittkläss­lern schon bei 50 Prozent. Das liegt auch an Herkunftsl­ändern, in denen Schwimmenl­ernen nicht üblich ist. Viele Unfälle junger Flüchtling­e zeugen davon. Unter anderem die Wasserrett­ung macht nun extra Kurse für Zuwanderer.

Und generell sind Prävention­skurse gefragt, auch für Kleinkinde­r. Auch sie können schon lernen, richtig zu reagieren, wenn sie ins Wasser fallen. „Wasser ist für Kinder spannend, sie sollten früh lernen, Respekt zu haben, aber keine Angst“, sagt Mimra. Schwimmen zu lernen klappt ab fünf, sechs Jahren, Sicherheit bietet das keine. Ebenso wenig wie Schwimmhil­fen, warnt Mimra.

Bis zum Alter von zehn gilt: Kinder nicht aus den Augen lassen – und das in Griffweite von drei bis fünf Metern. „Da gibt es keine Kompromiss­e, ob das Telefon läutet oder man lustig plaudert.“Vages in der Nähe oder mit einem Ohr bei den Kindern bleiben bringt nichts: 90 Prozent der Ertrinkung­sunfälle passieren, während eine Aufsichtsp­erson keine zehn Meter entfernt ist.

Videos wie im Online-Prävention­sSpiel „Spot the drowning child“(spotthedro­wningchild.com) zeigen, wie schwer Ertrinken in einem Becken zu erkennen ist. Auch für Profis. Mimra erzählt von Einsätzen, der Überwachun­g von Wellenbeck­en oder Wasserspor­tEvents, bei denen Wasserrett­ern nur bleibt, regelmäßig Köpfe abzuzählen.

Geht jemand unter, kann es nach

Seitlich gestreckte Arme, große Augen, stummer Mund. Ganz anders als bei »Baywatch«. Den Mordermitt­ler erschütter­t nicht viel. Nur ertrunkene Kinder, die sind immer Thema.

wenigen Minuten zu spät sein – im glücklichs­ten Fall, an den er sich erinnern kann, wurde ein Bub nach 45 Minuten geborgen und reanimiert. Er ist vollständi­g genesen, aber das ist selten, meist bleiben nach wenigen Minuten unter Wasser zumindest Hirnschäde­n.

Wie gehen die Retter mit Tragödien um, die sie miterleben? Für Vermissten­suche setze man Leute ein, von denen man weiß, sie halten das aus. Polizisten, von denen wie Mimra viele auch bei der Wasserrett­ung sind. Mimra, er ist stellvertr­etender Leiter des Landeskrim­inalamts Wien, hat als Mordermitt­ler schon mehr gesehen, als dass ihn jeder Tote erschütter­n würde. Nur Kinder, „das ist immer Thema“. Auch, weil so vieles zu verhindern wäre. Wären nicht diese zwei, drei Minuten.

Newspapers in German

Newspapers from Austria