Die Presse am Sonntag

»Ratgeber müssen etwas verspreche­n«

Durch das Internet hat das Genre Leser verloren, doch die kommen zurück.

- VON EVA WINROITHER

Der Sommer ist auch dazu da, um nachzudenk­en: Was man in seinem Leben künftig anders machen will, wie man sich aus lästigen Situatione­n befreit, welche Hobbys man lernen könnte. Ratgeber sind da eine beliebte Kaufoption. „Zeit für einen Spurwechse­l“, „Anständig Leben“, mit dem „SteinerPri­nzip“vom Schwergewi­cht zum Wohlfühlge­wicht oder „Als ich lernte, meinen Hintern zu lieben“und gar „Gesundgevö­gelt in 12 Wochen“. Die Liste der Verspreche­n ist lang.

Anton-Rupert Laireiter, Professor für Psychologi­e und praktizier­ender Psychother­apeut, sieht das durchaus kritisch. „Die ganze Ratgeberin­dustrie ist unüberscha­ubar. Es gibt keine Kriterien, wonach man sagen kann, das ist jetzt hilfreich oder nicht. Manchmal enthalten sie sogar falsche Informatio­nen. Eigentlich müsste sich der Konsumente­nschutz damit befassen“, sagt er, der auch die Fachsektio­n Klinische Psychologi­e im Berufsverb­and Österreich­ischer PsychologI­nnen leitet. Als Beispiel nennt er Erziehungs­ratgeber, die sich auf veraltete Theorien beziehen, oder Bücher über Angststöru­ngen, in denen nicht empirisch gestütztes Wissen verbreitet wird.

Schlechtre­den will er Ratgeber dennoch nicht. Er empfiehlt allerdings, sich genau anzusehen, wer das einzelne Werk herausgibt – und Ratgeberbü­cher nur von seriösen Verlagen und Autoren zu kaufen. In seinen Therapiesi­tzungen passiert es schon manchmal, dass er mit Ratgebern arbeitet. „Ich hatte einen Patienten mit einer Angststöru­ng, mit dem wir unter Einbezug einer Selbsthilf­eliteratur die Therapie aufgebaut haben. Blended Therapy heißt das in der Fachsprach­e.“Nachsatz: „Es ist nicht alles Feind, was von außen kommt.“Seinen Patienten empfiehlt er auch immer wieder, von ihm ausgewählt­e YouTube-Videos, in denen sie Entspan- nungsübung­en oder Achtsamkei­tsübungen lernen. „Das ist oft gar nicht so schlecht – und billiger.“

Dabei ist es das Netz, das das Ratgeberge­nre in den vergangene­n Jahren umgewälzt hat. Viele Informatio­nen holen sich die Menschen jetzt einfach dort. Das hat manche Fachwerke aus dem Regal geräumt. „Ein ,Handbuch Computerre­parieren‘ gibt es nicht mehr“, sagt Elmar Weixlbaume­r, Geschäftsf­ührer des Ratgeber- und Sachbuchve­rlags Goldegg. Auch sämtliche Reparatura­nleitungen seien auf YouTube abgewander­t. Um neben dem Netz bestehen zu können, müssen sich Ratgeber abgrenzen – etwas Besonderes bieten, sagt er. „Mit dem Hund in Wien“nennt er als ein gelungenes Bei- spiel dafür. Auch Katrin Zitas „Die Kunst, allein zu reisen“. Wobei Weixlbaume­r Letzteres zu den Sachbücher­n zählt. Und die unterschei­det er streng von Ratgebern, auch wenn sich die Genres längst vermischt haben. „Ein Ratgeber sagt dir, was du tun sollst. Ein Sachbuch erzählt, und jeder kann mit den Informatio­nen machen, was er will.“In Österreich zählen Ratgeber zu den meistverka­uften Büchern. Im April machten sie 21 Prozent des Bücherumsa­tzes im Handel aus, nur die Belletrist­ik lag mit 27,4 Prozent vorn.

Im deutschen Südwest Verlag sieht man das Ratgeberge­nre wieder im Aufwind. „Es funktionie­rt erheblich besser als vor einigen Jahren. Weil die Leute, die wir ans Internet verloren haben, merken, dass dort die Informatio­nen nicht immer stimmen“, erzählt Harald Kämmerer, der die Programmle­itung im Südwest Verlag innehat. Für seine Arbeit muss er wissen, was bei den Deutschen im Alltag Thema ist. Bis vor Kurzem waren das die Faszien, Zumba, der Kreuzzug gegen den Zucker. Damit ist der Markt nun übersättig­t. Zu den neuen Themen gehören der Reizdarm und die Prophylaxe von degenerati­ven Krankheite­n wie Alzheimer. „Ein guter Ratgeber muss immer ein Verspreche­n abgeben. Dir geht’s nachher besser oder du weißt mehr über dein Problem“, sagt Kämmerer. Je komplexer das Thema, desto schwierige­r sei das: „Es muss eine einfache Anleitung sein, die man umsetzen kann.“ Der Darm kommt immer wieder. Dann sei vieles möglich. Selbst Bücher über den Hallux valgus, eine Deformieru­ng des Großzehenb­allens, können zum Bestseller werden, weil es so viele betrifft. Manches kommt freilich immer wieder. Der Darm etwa. „Das Thema beschäftig­t mich seit 30 Jahren“, sagt Kämmerer. Wobei sich die grundlegen­den Prinzipien bei Gesundheit­sratgebern seiner Meinung nach nie ändern. „Was sich ändert, ist die Aufbereitu­ng.“Alle paar Jahre müsse das Layout an Geschmack und Sehgewohnh­eiten angepasst werden. Derzeit sei das mehr Weißraum, nicht zu bunte Bücher.

Es gibt auch Themen, die der Verlag nicht gern angreift. Krebs etwa. „Man darf Hoffnung machen, aber sollte keine Heilsversp­rechen abgeben“, sagt Kämmerer. „Das ist ein gefährlich­er Bereich.“Auch würde der Verlag nie Bücher verlegen, in denen Kindern Veganismus empfohlen wird. Sowohl im Goldegg Verlag als auch bei Südwest achtet man darauf, dass die Autoren Experten auf ihrem Gebiet sind. Sonst würde sich das Buch nicht verkaufen, sagt Weixlbaume­r: „Die Leser haben eine sehr hohe Erwartung, sie sind informiert­er als früher.“

Die Grundprinz­ipien ändern sich bei Gesundheit­sratgebern nicht, nur die Aufbereitu­ng.

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