Die gefiederten Genies der Musik
Viele Komponisten liebten den Vogelgesang und behandelten ihn wie Musik: Vom Krähenwürger als Jazzmusiker, Nachtigallen in BBC-Konzerten und Sibelius’ Lebensvogel.
Trr-lit, triip, trieh, singt die Feldlerche, lange hält sie im Fliegen ihren Gesang aus, voller Triller, Stakkato, Glissandi . . . Wir beschreiben den Gesang der Vögel gern mit Begriffen aus den Sphären menschlicher Musik. Ist er selbst Musik? Der Ornithologe und Komponist David Hindley findet den Gesang der Lerche, dem schon sein Landsmann Ralph Vaughan Williams ein musikalisches Denkmal gesetzt hatte, nicht nur ebenbürtig mit Werken großer Komponisten, sondern auch ein bisschen verwandt: Er entdeckte in ihren Tonfolgen Entsprechungen zu BeethovenStücken. Der römische Dichter und Philosoph Lukrez vermutete sogar, dass Menschen zu singen begannen, indem sie Vögel nachahmten.
Im Mai und Juni, wenn das Frühlingskonzert der Vögel an Intensität nachlässt, kann man einzelne Gesänge oft besonders klar hören. Im Buch „Ornis. Das Leben der Vögel“des Ornithologen Josef H. Reichholt liest man, dass das Feldlerchenmännchen mit seinem ausdauernden, oft in erstaunliche Höhenmeter führenden Singflug dem Weibchen seine Fitness und Bereitschaft, in Nachwuchs zu investieren, beweise. Dass Amselmännchen durch besonders vielfältige Motive die Weibchen zu gewinnen versuchen. Und dass Arten mit starkem Territorialverhalten besonders kunstfertig sängen. Der Zwang im Schönen. „Schrecklich schön“fand Theodor W. Adorno den Vogelgesang, „weil er kein Gesang ist, sondern dem Bann gehorcht, der ihn befällt“– dem Zwang der Naturgesetze. Doch mit Revier und Brautwerbung ist längst nicht alles erklärt. Männchen singen auch weiter, wenn diese Dinge „erledigt“sind, bei vielen Arten singt auch das Weibchen. Und keiner noch hat bewiesen, dass Vögel nicht auch aus Lust am Singen singen, wie wir.
Tatsächlich gibt es Ähnlichkeiten zur menschlichen Musik. Forscher vermuteten, dass motorische Bedingungen bei Menschen und Vögeln ähnliche musikalische Abläufe hervorbringen – wie bogenförmige Melodien, lange Noten am Ende oder kleine Intervalle bei angrenzenden Noten. An menschliche Musik erinnert auch die Art, wie Vögel musikalische Abläufe variieren, offenbar um Monotonie zu vermeiden. Besonders raffinierte Sänger unter ihnen suchen die Balance zwischen Kompliziertem und Regelmäßigem, vermutet die Zoomusikologin Hollis Taylor. Die australischen Schwarzkehl-Krähenwürger erinnerten an „Jazz-Musiker, die im Spannungsfeld zwischen Wiederholung und Variationen improvisieren“. Messiaen kannte 700 Stimmen. Diese Art begeisterte auch den Vogel-Komponisten par excellence, Olivier Messiaen. Sein intensiver, religiöser Zugang zu Vogelklängen hatte nichts mehr gemein mit den Lautmalereien in mittelalterlichen Liedern, barocken Vogelminiaturen für Cembalo oder den Frühlingsstimmungen in Werken großer Symphoniker, von Beethovens „Pastorale“bis Brittens „Spring Symphony“. 700 Vogelstimmen, heißt es, konnte Messiaen unterscheiden. Von ihnen inspiriert, entwickelte er eine eigene Musiksprache. Zu Beginn seines „Quatuors pour la Fin du Temps“etwa improvisieren, so Messiaen, „eine Amsel und eine einzelne Nachtigall hoch oben in den Bäumen, umgeben von klingendem Blütenstaub und von einem Lichthof aus verlorenen Trillern“.
Natürlich darf die Nachtigall nicht fehlen. Deren Name wurde als Ehrentitel für Sängerinnen verwendet. „Verdammt, das Weib hat ein Nest Nachtigallen im Bauch!“, rief im 18. Jahrhundert ein Bewunderer bei einer HändelAufführung mit Francesca Cuzzoni. Nachtigallarien spicken die Musikgeschichte, der legendäre Kastrat Farinelli etwa bekam die „Liebesarie einer Nachtigall“auf den Leib geschrieben.
Zur Zeit Immanuel Kants gab es Wirte, die Burschen den Schlag der Nachtigall imitieren ließen, um Gäste anzulocken. „Sobald man inne wird, dass es Betrug sei, so wird es niemand lang aushalten“, philosophierte Kant in seiner „Kritik der Urteilskraft“darüber. „Es muss Natur sein“. So denkt auch der König in Igor Strawinskis Oper „Le Rossignol“(„Die Nachtigall“) bzw. dem ihr zugrunde liegenden Andersen-Märchen; er vergeht vor Sehnsucht nach dem echten Gesang einer Nachtigall, die er gehört hat. Die Hofdamen versuchen jämmerlich, die Klänge nachzugurgeln, auch keine mechanische Nachtigall kann den König trösten.
Arten mit ausgeprägtem Territorialverhalten sind auch besonders begabte Sänger. Ottorino Respighi fügte 1924 die Aufnahme eines Vogelrufs in seine Musik ein.
Der Italiener Ottorino Respighi verzichtete gleich aufs Imitieren – er war 1924 mit seinen „Pinien von Rom“der erste, der die Aufnahme eines Vogellauts in ein Musikwerk integrierte. Im gleichen Jahr übertrug die BBC zum ersten Mal (und dann 18 Jahre lang) im Mai ein Konzert der Cellistin Beatrice Harrison – mit Nachtigallen. Ein im Garten in ihr Spiel einstimmender Vogel hatte sie darauf gebracht. Tod nach dem Kranichflug. Heute musiziert etwa der US-amerikanische Philosoph, Komponist und Jazz-Klarinettist David Rothenberg mit Vögeln. Welche Vögel Musiker in ihre Musiker einbeziehen, hängt stark von ihrem Lebensort ab. Der Finne Einojuhani Rautavaara etwa fügte in seinen „Cantus Arcticus“(1972) Tonbandaufnahmen vom nördlichen Polarkreis ein. Sein Landsmann Jean Sibelius schrieb ein Stück mit Kranich. An einem Septembertag 1957 sah er einen tief über sein Haus fliegenden Kranich. Er war sicher, dass sich mit ihm, dessen Ruf er das „Leitmotiv seines Lebens“genannt hatte, die Natur von ihm verabschiedete. Zwei Tage später starb er.