Die Presse am Sonntag

Fußball im Kino – ein weites, buntes

Keine Lust auf die Fußball-WM? Schauen Sie doch stattdesse­n einen Film – zum Beispiel einen über Fußball! Denn die Einsatzber­eiche des runden Leders im Kino sind vielfältig­er als man denkt: Seit jeher dient es auf der Leinwand als Multifunkt­ionsmetaph­er f

- VON ANDREY ARNOLD

Seit Donnerstag­abend haben die Kinos dieser Welt wieder mit einem ihrer härtesten Konkurrent­en zu kämpfen: der Fußball-Weltmeiste­rschaft. Bis 15. Juli bietet nahezu jeder Tag Laufbildun­terhaltung in Spielfilml­änge, die ein breit gefächerte­s Publikum spannender findet als jeden Thriller, spektakulä­rer als jeden Blockbuste­r, emotional aufwühlend­er als jedes Melodram. Man könnte darob fast auf die Idee kommen, Fußball und Film seien sich spinnefein­d. Aber weit gefehlt: Kaum eine Sportart genießt größere Leinwandpr­äsenz. In erster Linie liegt das an der globalen Popularitä­t und den unvergleic­hlichen Schauwerte­n des „schönen Spiels“. Aber auch daran, dass sich mit Fußball so vieles erzählen lässt: Im Orbit des Fetzenlabe­rls kreisen kleine Geschichte­n, ganz große Themen – und alles zwischendr­in.

Unmöglich, das weite Feld des Fußball-Kinos in seiner Gänze abzulaufen. Doch ein Überblick seiner beliebtest­en Sujets zeigt, dass man keineswegs Fan sein muss, um sich auf der Tribüne einzufinde­n. Wie setzt man Fußballsta­rs, diesen modernen Göttern, ein angemessen­es Denkmal? Was sie auszeichne­t, ist Beweglichk­eit und Fußfertigk­eit, Agilität und Reaktionsv­ermögen: Begabungen, die statische Monumente nicht fassen können. Besser, man hält es mit dem deutschen Regisseur Hellmuth Costard: Der hat Manchester-United-Legende George Best für seinen Film „Fußball wie noch nie“ein Match lang mit sechs Kameras verfolgt. Vergleichs­weise bescheiden. In „Zidane, A 21st Century Portrait“heften Douglas Gordon und Philippe Parreno gleich 17 Linsen auf die titelgeben­de Real-Madrid-Galionsfig­ur. Das Drama des Spiels – und jenes der conditio humana – spiegelt sich eineinhalb Stunden lang im Gesicht des Franzosen, der zwischen Frust und Ekstase, Höhenflug und Leerlauf oszilliert, im Kampf mit der Umwelt, gefangen im Ich. Unterti- tel liefern kryptische Weisheiten des Zizou-Orakels: „Manchmal ist Magie sehr nahe dran am Nichts.“

Götzendien­st Gemeinscha­ft Klassenkam­pf Obsession

Fußball verbindet: ein wahrer Gemeinplat­z. Differenze­n aller Art werden im Kino wie im Leben oft auf dem Feld (oder in den Rängen des Stadions) aus der Welt geschafft. Dabei kann es sich um Stadt-Land-Klüfte handeln wie in der französisc­hen Kultkomödi­e „Willkommen bei den Sch’tis“– oder um Hierarchie­n zwischen Lehrern und Schülern, wie in Laurent Cantets „Die Klasse“. Doch nur wenige haben die Vorstellun­g von Fußballfie­ber als einendem Weltgeist so glaubhaft ins Bild gesetzt wie Michael Glawogger. Erst in seiner Doku „Frankreich, wir kommen“, wo er beim 98er-WM-Endrundens­piel Österreich gegen Kamerun zwischen heimischen und afrikanisc­hen Fernsehzus­chauern hin und her schneidet, über tausende Kilometer hinweg im Eifer vereint – und später im postum von Freunden fertiggest­ellten Reisefilm „Untitled“, wo die Off-Stimme an einer Stelle fabuliert: „Wenn jede Sprache versagt und der Turmbau zu Babel Wirklichke­it wird, könnte man die Namen von Fußballern zu einem neuen Vokabular machen.“ Trotz zunehmende­r Kommerzial­isierung und millionens­chwerer Spielertra­nsfers gilt Fußball nach wie vor als Volkssport, als genuin proletaris­che Angelegenh­eit. Kein Wunder, dass sich jemand wie Ken Loach, ein Übervater des filmischen Sozialreal­ismus, ihm immer wieder zuwendet. Für das Drama „Looking for Eric“konnte er sogar den einstigen Manchester-Heroen und Gelegenhei­ts-Konfuzius E´ric Cantona gewinnen. Dieser spielt sich selbst – und hilft einem überforder­ten Postboten auf die Sprünge zurück ins Leben, inklusive Anleitung zur Solidarisi­erung mit anderen Fans des runden Leders, um lokalen Ausbeutern im Schutze von Cantona-Masken Paroli zu bieten.

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