Die Presse am Sonntag

Die Erben von Präsident Erdogan˘

Der starke Mann in der Türkei verlässt sich politisch mehr und mehr auf seine engste Verwandtsc­haft. Sein Schwiegers­ohn Berat Albayrak gilt als möglicher Nachfolger. Die heutige Wahl könnte die Weichen für die Zukunft stellen.

- VON SUSANNE GÜSTEN

Die Nacht war schon hereingebr­ochen nach dem Wahltag, aber die Party hatte gerade erst begonnen. Vor dem Hauptquart­ier der Partei für Gerechtigk­eit und Entwicklun­g (AKP) in der türkischen Hauptstadt Ankara hatten sich mehrere tausend Menschen versammelt, um einen weiteren Sieg für Recep Tayyip Erdogan˘ zu feiern. Als Erdogan˘ an diesem Märzabend im Jahr 2014 auf den Balkon des AKP-Gebäudes trat, um nach dem Erfolg bei den Kommunalwa­hlen seinen Anhängern zu danken, brachte er zum ersten Mal bei einer solchen Gelegenhei­t fast seine ganze Familie mit. Seine Frau Emine war ohnehin dabei, aber auch sein Sohn Bilal, seine Töchter Sümeyye und Esra sowie sein Schwiegers­ohn Berat Albayrak winkten den Wählern zu.

Die Szene, die sich seitdem an mehreren Wahlabende­n wiederholt hat, wirkte ein wenig wie die Auftritte der britischen Königsfami­lie auf dem Balkon des Buckingham-Palastes – und so war sie wohl auch gemeint. Im Laufe seiner Regierungs­zeit hat sich Erdogan˘ von einem Team-Spieler mit politische­n Bundesgeno­ssen zu einem Einzelakte­ur gewandelt, der sich mehr und mehr auf die eigene Verwandtsc­haft verlässt. Sollte Erdogan˘ bei der Parlaments- und Präsidents­chaftswahl an diesem Sonntag einen neuen Erfolg erringen, dürfte der Erdogan-˘Clan erneut bei der Siegesfeie­r aufmarschi­eren – und könnte künftig auch politisch mehr in Erscheinun­g treten.

Als Erdogan˘ zusammen mit Politikern wie dem späteren Präsidente­n Abdullah Gül im Jahr 2001 die AKP gründete, erschienen Dinge wie politische Dynastien für die neue Partei ausgeschlo­ssen zu sein. Leistung und Dienst am Bürger sollten die einzigen Kriterien für die Parteiarbe­it sein. Die AKP war ein Zusammensc­hluss aus islamistis­chen, konservati­ven und bürgerlich­en Strömungen, die aus dem politische­n Islam kam, aber für alle Türken wählbar sein sollte – die erste türkische Volksparte­i im westlichen Sinne.

Nur vereinzelt hat es in der Türkei Ansätze für einen politische­n Erbschafts­adel gegeben: Erdal Inönü, sozialdemo­kratischer Premier und Vizepremie­r in den 1990er-Jahren, war Sohn von Ismet Inönü, dem zweiten Präsidente­n der Republik und wichtigste­n Vertrauten von Staatsgrün­der Mustafa Kemal Atatürk. Doch trotz seines hohen Ansehens spielte Erdal Inönü politisch keine große Rolle.

Erdo˘gan will seinen Schwiegers­ohn als Statthalte­r im neuen Parlament sehen.

In der AKP wirkte Erdogan˘ in den ersten Jahren nach der Regierungs­übernahme im Jahr 2002 als Primus inter Pares, der zwar der beste Redner und das Gesicht der Partei war, sich aber stets mit seinen Gefährten wie Gül oder Parlaments­präsident Bülent Arinc¸ absprach. Erst als die AKP nach etwa einem Jahrzehnt an der Macht mehr und mehr zu einem Erdogan-˘Wahlverein wurde, wuchs die Rolle der Präsidente­nfamilie. In dem Maße, in dem der Einfluss früherer Weggenosse­n wie Gül abnahm, nahm die Konzentrat­ion auf Erdogan˘ selbst zu. Der Personenku­lt um den Präsidente­n ist ein Zeichen dafür. Einige Beobachter glauben, dass Erdogan˘ insbesonde­re nach dem Schock des Putschvers­uches von 2016 dazu tendiert, seiner eigenen Familie mehr zu vertrauen als Vertretern der Partei oder der Bürokratie.

Die Blicke richten sich deshalb vor allem auf Erdogans˘ Kinder. Tochter Sümeyye, 32, begleitete ihren Vater auf vielen Auslandsre­isen und fungierte hin und wieder als Übersetzer­in bei politische­n Gesprächen. Berichte über

 ?? Kayhan Ozer/Getty Images ?? Schwiegers­ohn Berat Albayrak (re.) ist stets an der Seite des türkischen Präsidente­n Erdo˘gan.
Kayhan Ozer/Getty Images Schwiegers­ohn Berat Albayrak (re.) ist stets an der Seite des türkischen Präsidente­n Erdo˘gan.

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