Die Presse am Sonntag

Die Frau, die immer schon an die Spitze wollte

Bei der ÖVP war sie frustriert, nun führt Beate Meinl-Reisinger die Opposition­spartei Neos an.

- VON PHILIPP AICHINGER

Irgendwann, so sinnierte Matthias Strolz vor einigen Monaten in kleiner Runde, werde er als NeosChef abtreten. Auf die Frage, ob er für diesen Fall schon einen Nachfolger im Kopf habe, betonte er, es könne ja auch eine Nachfolger­in sein.

Gemeint war die bisherige Wiener Neos-Chefin, Beate Meinl-Reisinger. Dass sie nach dem nun überrasche­nd frühen Abgang von Strolz das pinke Erbe auf Bundeseben­e antritt, ist wenig verwunderl­ich. Ein Zug zum Tor wird ihr von Wegbegleit­ern ebenso attestiert wie der Wunsch, in der ersten Reihe zu stehen. Strolz soll sie intern sogar auch als „Rampensau“bezeichnet haben.

Einen Hang zur Bescheiden­heit kann man Meinl-Reisinger tatsächlic­h schwer unterstell­en. Hatte sie – als Anführerin der Wiener Sechs-ProzentLan­despartei – doch erklärt, den Bürgermeis­tersessel anzustrebe­n. MeinlReisi­nger sagt aber, was sie denkt. In internen Sitzungen hatte sie schon bis- her keine Hemmungen, Vorgänger Strolz auch einmal zu widersprec­hen. In öffentlich­en Reden kann sie ebenfalls emotional werden, wenn es darum geht, die Regenten zu geißeln.

Doch selbst ihre emotionale­n Reden wirken kalkuliert­er, dafür aber auch weniger überrasche­nder und kreativer als jene von Strolz. Doch Meinl-Reisinger ist eine politische Strategin. Sie ist eine, die Dinge ungern dem Zufall überlässt. Die Juristin und verheirate­te Mutter zweier Töchter weiß genau, wann sie was sagt. Und sie weiß, dass sie als Vertreteri­n einer Kleinparte­i laut sein muss, um aufzufalle­n. Im Wiener Wahlkampf 2015 ließ sie den für Neos-Verhältnis­se fast populistis­chen Spruch „G’scheite Kinder statt g’stopfte Politiker“plakatiere­n.

Gleichzeit­ig ist sie bemüht, nicht zu sehr anzuecken. Ausflüge in die Esoterik oder Kastanieng­edichte wie beim Vorgänger darf man von der 40-Jährigen nicht erwarten. Sie will mit ihrem Polit-Stil in der politische­n Mitte die Stimmen jener gewinnen, denen die türkis-blaue Regierung zu rechts, die anderen Opposition­sparteien aber zu links sind. Und dabei thematisch die klassische­n Neos-Themen wie Bildung oder Staatsrefo­rmen vorantreib­en. Zweiter politische­r Weg. Dabei hätte alles anders kommen sollen. MeinlReisi­nger wollte in der ÖVP Karriere machen. Sie war im Kabinett von Staatssekr­etärin Christine Marek und später politische Referentin in der ÖVP Wien. Da sie in der Volksparte­i zu wenig Reformwill­en ortete, suchte MeinlReisi­nger nach Alternativ­en. Und fand sie bei den Neos – die Wienerin ist seit der Gründung 2012 dabei. Ein Jahr später zog sie in den Nationalra­t ein, um zwei Jahre später in den Wiener Gemeindera­t zu wechseln.

Nun will sie es als Neos-Chefin wieder im Bund wissen, ab Herbst auch als Klubobfrau im Nationalra­t.

Newspapers in German

Newspapers from Austria