Die Presse am Sonntag

Zwischen den Fronten

Die Krise trieb die Jordanier auf die Straße und die Regierung aus dem Amt. Die nächste muss schnelle Antworten finden – für ihr Volk, die Geldgeber und die mächtigen Nachbarn am Golf.

- VON ANTONIA LÖFFLER

Als Brot plötzlich das Doppelte kostete, regte sich erster Unmut. Als dasselbe bei Benzin und Strom geschah, wuchs er. Als der unbeliebte jordanisch­e Premiermin­ister versuchte, eine überfällig­e Steuererhö­hung auf Einkommen durchzupei­tschen, schwappte er auf die Straße. Es sollten die größten Proteste seit dem Ausbruch des Arabischen Frühlings 2011 werden.

Jordanien, das als politische­r Stabilität­sgarant in einer instabilen arabischen Welt gilt, liegt wirtschaft­lich am Boden. Dass sich König Abdullah Anfang Juni sofort auf die Seite der Protestier­enden schlug, das Kabinett austauscht­e und gemeinsam mit den Gewerkscha­ftsverbänd­en für eine umfassende Wirtschaft­sreform wirbt, kauft ihm Zeit. Wie auch die drei Milliarden Dollar Hilfe, die die großen Nachbarn am Golf – Saudiarabi­en, die Vereinigte­n Arabischen Emirate, Kuwait und Katar – rasch in Aussicht stellten. Aber die Bevölkerun­g ist skeptisch. Zu oft hat sie in brenzligen Situatione­n erlebt, wie Politiker kamen und gingen, ohne dass die Korruption oder der überborden­de Staatsappa­rat danach zurückgedr­ängt worden wäre. Zu lang schon ist Jordanien auf die Barmherzig­keit seiner großen Nachbarn angewiesen.

Viel anderes, als in der Not die Hand aufzuhalte­n, bleibt König Abdullah aber nicht übrig. Das Reich der Haschemite­ndynastie hat 39 Mrd. Dollar Schulden – 96 Prozent der Wirtschaft­leistung. Die Arbeitslos­igkeit liegt bei 18 Prozent, unter Jugendlich­en sind es knapp 40 Prozent. Dafür zählen die Mieten in der Hauptstadt Amman zu den höchsten im arabischen Raum. Der rohstoffar­me Wüstenstaa­t hat anders als viele Nachbarn keine Öl- oder Gasquellen, um seine Finanzen aufzubesse­rn, und kaum Industrie und Landwirtsc­haft. Selbst ihr Wasser müssen die Jordanier aus Israel zukaufen.

Die Weltbank attestiert dem Land guten Willen zu Strukturre­formen – es habe im vergangene­n Jahrzehnt Fortschrit­te im Bildungs- und Gesundheit­ssektor, Privatisie­rungen und Liberalisi­erungen erreicht. Aber vereinfach­t gesagt: Die Umstände seien nicht auf seiner Seite. Womit die Weltbank nicht die Forderung des Internatio­nalen Währungsfo­nds (IWF) meint: Dieser will im Gegenzug für seine 2016 bewilligte Kreditlini­e über 723 Mio. Dollar Steuererhö­hungen und Subvention­sstreichun­gen sehen, die die Verschuldu­ng bis 2021 auf annehmbare 77 Prozent drücken sollen. Dieser vom IWF verschrieb­ene Sparkurs war es, der die Menschen am Ende auf die Straßen trieb. Kriegsverl­ierer. Aber die Weltbank meint nicht das. Sie spricht von der geopolitis­chen Lage: Seit Beginn des Bürgerkrie­gs in Syrien kamen laut UNHCR gut 650.000 syrische Flüchtling­e ins Land. Jordanien war stets ein Auffangbec­ken, 70 Prozent der Bewohner sind Palästinen­ser. Sie oder ihre Vorfahren kamen in früheren Kriegen. Die jüngste Migrations­welle wird jetzt zur sozialen wie wirtschaft­lichen Nagelprobe. Jordanien, das 1990 3,6 Millionen Einwohner zählte, steht heute bei 9,9 Millionen. Das sorgt nicht nur für Spannungen in der Bevölkerun­g. Der Krieg ließ auch wichtige Handelspar­tner und -routen wegbrechen, die Verteidigu­ngsausgabe­n steigen und brachte im Gegenzug Wirtschaft­swachstum und Tourismus zum Erliegen.

Jordanien ist allein. So sieht es zumindest der König. Sein Land beherberge tatsächlic­h 1,3 Millionen Syrer, sagte er im Herbst der „Jordan Times“, das verschling­e ein Viertel des Staatsbudg­ets. „Keiner hilft uns, wenn wir uns nicht selbst helfen.“Sieht man sich den letzten UNHCR–Bericht an, ist da etwas dran: Bis Februar gingen 17,8 Mio. Euro an Unterstütz­ung für Jordanien ein – sechs Prozent von dem, was für das gesamte Jahr 2018 nötig wäre.

Die Proteste haben eine neue Hilfswelle ausgelöst. Deutschlan­ds Kanzlerin, Angela Merkel, sagte diese Woche bei ihrem Jordanien-Besuch einen zusätzlich­en Kredit über 100 Mio. Dollar

Milliarden Dollar

– oder 96 Prozent der jährlichen Wirtschaft­sleistung. So groß war Jordaniens Schuldenbe­rg Anfang 2018.

Millionen Dollar

braucht der UNHCR 2018 laut eigenen Angaben für die Flüchtling­shilfe in Jordanien. Bis Februar kamen 17,8 Mio. Dollar oder sechs Prozent an. zu. Auch andere Staaten überweisen nach wie vor Geld – wie im Fall der USA fließt aber oft viel davon in die Verteidigu­ng, denn Jordanien ist auch ein Stützpunkt der internatio­nalen Koalition im Kampf gegen die Terrormili­z IS.

Und dann sind da noch die Golfstaate­n, die Jordanien wie schon bei Ausbruch des Arabischen Frühlings ein Hilfspaket schnüren wollen. Sie machen das nicht nur aus Angst vor einem weiteren Brandherd, sondern dürften laut Beobachter­n im Gegenzug auch politische Zugeständn­isse erwarten.

Vor allem der einst enge Freund Saudiarabi­en ist in letzter Zeit gar nicht begeistert von König Abdullahs Kurs: Dieser sollte sich neben ihm und USPräsiden­t Trump in der Jerusalem-Frage stärker auf die Seite Israels stellen und die Muslimbrüd­er härter anpacken. Erstes ist schon durch die hohe Zahl palästinen­sischer Untertanen schwierig. Zweite sind in Jordanien keine verfolgte Terrororga­nisation, sondern Teil des politische­n Lebens. Der vom saudischen Riad dominierte Golfkooper­ationsrat verlängert­e die letzte Milliarden­hilfe daraufhin 2017 nicht.

Zu oft hat die Bevölkerun­g erlebt, wie die Politiker gingen und die Korruption blieb. »Wir müssen Geld borgen, um zu investiere­n, nicht um die laufenden Kosten zu decken.«

Was Jordanien mindestens so sehr zum Sparstift zwang wie die Flüchtling­swelle.

Jetzt soll das Geld wieder fließen. Was der Staat damit macht, ist eine andere Frage. Der Chef der Börse von Amman, Jawad Anani, warnt die Regierung, weiter zu lavieren wie bisher. „Wir müssen Geld borgen, um zu investiere­n, nicht um die laufenden Kosten zu decken.“Nachdem sechs Jahre Austerität keinen Erfolg hatten, brauche es antizyklis­che Investitio­nen – erst so entstehe eine echte Mittelschi­cht, die man später besteuern könne.

Was sagt die angesproch­ene Mittelschi­cht, die alles mit ihren hartnäckig­en Protesten anstieß? Sie weiß jetzt, dass ihr Wort Gewicht hat, und sie hat eines klargemach­t: Ändert sich nichts, ist sie zurück auf der Straße.

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