Wenn Hippies und ihre Autos alt werden
Die Freiheit ist in die Jahre gekommen: Vor 30 Jahren wurde der VW California vorgestellt – ein kleines, wendiges Wohnmobil, das seine Wurzeln in der Hippie-Bewegung hat. Als aktueller T6 ist der California das Traumauto aller 68er-Spätlesen, vieler Famil
Es ist so eine Sache mit der Revolution. P. zum Beispiel: Als er jung und wild war und Haare hatte, wollte er die Welt aus den Angeln heben und weit nach links schieben. Mit einem alten VW-Bus fuhr er durch Europa, vornehmlich in die Niederlande und anschließend ins warme Italien, nebelte sich und die Welt mit dem in den Niederlande gekauften Tabakzusatz ein und bezeichnete jemanden schon als Spießer, wenn der einmal im Jahr zum Friseur ging.
Irgendwann musste P. doch auch studieren, es folgten ein Job in der Computerbranche, eine Frau, zwei Kinder, der BMW als Dienstauto und eine Glatze. Neulich aber ist in P. wieder der Hippie erwacht: Künftig werde er, wie einst, in einem Camper nach Italien fahren, mit Frau und Kindern, am Strand übernachten (das Rauchen hat er aus gesundheitlichen Gründen aufgegeben) und das Leben ungezwungen genießen. Dafür hat er sich einen VW California Ocean mit Automatik, Allradantrieb und allen möglichen Sonderausstattungen um – man halte sich fest – knapp 90.000 Euro gekauft. So sieht es aus, wenn eine 68erSpätlese ihre Hippie-Ader wiederentdeckt. Das Auto der Hippies. Es gibt in der Geschichte Autos, die symbolhaft für eine ganze Generation stehen. Der VW-Käfer beispielsweise bewegte die Menschen nach dem Zweiten Weltkrieg, in den 1970er-Jahren war es der Renault R4 für junge Familien und Studenten, der Golf dominierte die 1980er-Jahre, nur die heutige Generation Y fährt mit den Öffis.
Kaum ein Auto aber verkörpert eine Bewegung und einen Lebensstil so, wie der VW-Kleinbus der 1950erund 1960er-Jahre. Die Hippies nahmen alte T1 und T2, bemalten sie bunt, legten Matratzen hinein und machten sie zu ihrer Wohnung. Der Bulli (in den USA nannte man die ersten Versionen wegen der geteilten Frontscheibe „Splitty“) mit seinen 25 und 30 PS wurde zum Symbol eines Lebens, das von Zwängen und bürgerlichen Tabus befreit ist. Es war mehr oder weniger der fahrbare Mittelfinger, den man der Mittelschicht mit ihren sinnentleerten Wohlstandsidealen entgegenstreckte.
Pete Townshend schrieb 1971 sogar ein Lied auf den VW-Bus. In „Going Mobile“singen The Who: „Out in the woods or in the city, it’s all the same to me. When I’m driving free, the world’s my home.“
Die Welt hat sich verändert – und mit ihr die Autos. Wer heute einen VW T1 oder T2 kaufen will – und mit ihm vielleicht ein wenig das Lebensgefühl von 1968 –, braucht viel Geld. Hunderttausend Euro für einen gut erhaltenen Bulli der ersten Generation sind keine Seltenheit. Und für diese Summe bekommt man schon einen sehr gut ausgestatteten VW California aus dem Jahr 2018. Platz für vier. Damit sind wir wieder bei P. und seinem nagelneuen VW. Sein T6 in der Ocean-Ausstattung ist weit weg von seinem alten T2 mit einer Matratze und Verstecken für die Mitbringsel aus Amsterdam. Vier Personen können im aktuellen California – etwas beengt – schlafen. Zwei oben im Aufstelldach, zwei unten im schnell gebauten Bett über den Rücksitzen.
Es gibt eine kleine Kochgelegenheit mit zwei Gasbrennern, eine Nirosta- Spüle, einen Kühlschrank, einen Wasseranschluss, eine Gastankanlage, eine Standheizung, eine Dusche am Heck, einen 230-Volt-Anschluss, USB-Anschlüsse für Smartphones sowie Fahrerund Beifahrersitze, die man nach hinten in den vier Quadratmeter großen „Wohnraum“drehen kann. Dazu kommen Rollos an allen Fenstern, mit denen man den Innenraum vollständig verdunkeln kann, eine massive Soundanlage mit elf Lautsprechern, aus denen sich die Insassen mit bis zu 600 Leistung Watt mit The Who oder Grateful Dead beschallen lassen können, und solch nette Spielereien, wie eine kleine Magnettaschenlampe versteckt im Sockel des Beifahrersitzes, die dort während der Fahrt geladen wird und in der Nacht als dezentes Dauerlicht dient.
Es ist bemerkenswert, wie raffiniert Volkswagen den fünf Meter langen Bus mittlerweile ausstattet. Beispielsweise mit zwei Campingsesseln, die in der Heckklappe verstaut sind, und einem dazupassenden Tisch, den man unauffällig in der Schiebetür montiert hat. Hat man sie draußen vor dem Auto aufgestellt, zieht man noch schnell die seitlich angebrachte Markise aus dem Dach des Busses mit den zwei integrierten Stützbeinen und sitzt schon gemütlich im Schatten oder ist vor Regen geschützt. Dass weder Sessel noch Tisch selbst bei der Fahrt auf holprigen Straßen in der Verankerung klappern und damit die Passagiere nerven, ist eine der Leistungen, auf die die deutschen Ingenieure besonders stolz sind.
VW befürchtete einen Imageverlust durch die Hippies.
Angst vor Imageverlust. Interessant, was man sich angetan hat, wenn man bedenkt, wie das biedere Unternehmen zu Beginn auf die Hippie-Busse reagiert hat. Alles andere als erfreut nämlich. Das Management befürchtete einen Imageverlust und negativen Einfluss auf die Verkaufszahlen des Bulli, wenn diese arbeitsscheuen Gammler und Langhaarigen mit dem Kleinbus durch die Gegend fahren.