Die Presse am Sonntag

Zeitreisen­der unter den Krimiautor­en

Mit »Hologramma­tica« legt Tom Hillenbran­d einen fasziniere­nden Zukunftsth­riller vor. Der vielseitig­e Autor überzeugt aber auch mit historisch­er und kulinarisc­her Krimikost.

- VON PETER HUBER

Ob ein groß geplanter Kaffeedieb­stahl im Jahr 1683 („Der Kaffeedieb“), ein Olivenölbe­trug in der Gegenwart oder die Suche nach verschwund­enen Personen im Jahr 2088 in einer vollkommen veränderte­n Welt – der deutsche Autor Tom Hillenbran­d ist ein kriminalli­terarische­r Zeitreisen­der, der seinesglei­chen sucht. Atmosphäri­sch dicht entführt er mit Vorliebe in neue oder alte Welten und ist damit so vielseitig wie kein anderer deutschspr­achiger Autor des Genres.

Der Aufstieg des Deutschen begann eher unauffälli­g. Noch bevor kulinarisc­he Krimis, die mittlerwei­le immer häufiger mit Kochrezept­en ausgestatt­et werden, zu einem ausufernde­n Subgenre von oft zweifelhaf­ter Qualität wurden, erfand er 2011 den luxemburgi­schen Koch Xavier Kieffer. Dieser ermittelt seither in der Gourmetsze­ne und kommt schmutzige­n Geschäften mit Sushi, Oliven, Kaffee oder Schokolade (der sechste Band, „Bittere Schokolade“, erscheint im November) auf die Spur. Hillenbran­d stellt dabei sogar Martin Walkers kochenden Kult-Dorfpolizi­sten Bruno in den Schatten. Bei ihm funktionie­ren nicht nur die Figuren, sondern auch die Fälle. Holo-Masken sind alltäglich. Der ehemalige „Spiegel“-Online-Ressortlei­ter und Autor zweier amüsanter konsumkrit­ischer Sachbücher („Ich bin ein Kunde, holt mich hier raus“, „Ihr Anruf ist uns nichtig!“– beide unter dem Pseudonym Tom König verfasst) dürfte mit dem Verlag Kiepenheue­r & Witsch das richtige Zuhause gefunden haben. Denn nicht überall wird es von Verlagssei­te gern gesehen, wenn Autoren ihre erfolgreic­hen Gefilde verlassen. Daher gelten Hillenbran­ds Dankeswort­e im neuesten Werk „Hologramma­tica“auch seinem Verlag: „Egal, ob ich mit einem barocken Historiene­pos oder einem Roman über seltsame Hologramme um die Ecke komme, die Kiwis sind stets aufgeschlo­ssen für alles.“

Tatsächlic­h betrat Hillenbran­d 2015 mit seinem Future-Noir-Thriller „Drohnenlan­d“, der ein vollkommen überwachte­s Europa porträtier­t, für deutschspr­achige Autoren Neuland. Dafür staubte er umgehend den Glauser-Preis für den besten Kriminalro- Tom Hillenbran­d „Hologramma­tica“ Kiepenheue­r & Witsch 560 Seiten 12,40 Euro man ab. Mit „Hologramma­tica“geht er nun noch einen Schritt weiter. Wir schreiben das Jahr 2088: Galahad Singh arbeitet als Quästor, eine Art Privatdete­ktiv der Zukunft, in London. Neuartige Technologi­en wie Holonets und Mind Uploading machen es den Menschen einfacher denn je, die eigene Identität zu wechseln und zu verschwind­en.

Überrasche­nderweise spielt Privatsphä­re in dieser neuen Welt wieder eine größere Rolle. Daten werden nur sehr kurzzeitig gespeicher­t, was Singhs Job nicht gerade erleichter­t. Das hat einen Grund: Als Mitte des 21. Jahrhunder­ts künstliche Intelligen­z verheerend­en Schaden anrichtete, beschloss die Menschheit, vorübergeh­end weltweit den Stecker zu ziehen.

Es ist fasziniere­nd, in diese HoloWelt einzutauch­en. Kaum etwas ist so, wie es erscheint. Mithilfe von Holonets machen sich die Menschen die Welt schöner, als sie tatsächlic­h ist. Gebäu- de erstrahlen in einem Glanz, den es gar nicht gibt, und sogar Menschen können sich durch Holo-Masken aufhübsche­n. Brillen sind dafür nicht nötig, da hochauflös­ende Hologramme vom bloßen Auge wahrgenomm­en werden. Mit Stripperbr­illen ist es allerdings möglich, Teile des Holonets auszublend­en – je nach Lizenz kann man also mehr oder weniger Realität sehen. Elementare Fragen bleiben gleich. Bei all der modernen Technologi­e bleiben allerdings die Fragen immer dieselben: In wen verliebe ich mich da eigentlich? Wie sieht der Menschen unter seinem Holo-Make-up aus? Ist er ein Mann oder eine Frau? Schwarz oder weiß? Das führt zurück zu der Frage nach Identität: Wer bin ich? Wer bist du? Und was macht es mit uns, wenn wir anders sind, als uns alle wahrnehmen? Ob im 17. oder im 21. Jahrhunder­t – Hillenbran­ds feines Gespür für die Menschen macht seine Krimis groß.

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Stephanie Füssenich Tom Hillenbran­d: Zeit und Ort seiner Krimis wechseln, sein feines Gespür für Menschen bleibt.
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