Die Presse am Sonntag

Dein Urlaub ist auch meiner: Reisen (fast) gratis

Noch nie war es so einfach, so billig zu verreisen. Wir tauschen Häuser und wohnen statt in Wien zwei Wochen in Spanien, wir bieten unsere Couchen gratis Fremden an und sammeln Meilen, um kostenlose Flüge zu ergattern. Doch wer gratis reist – muss auch in

- VON EVA WINROITHER

Im Jänner beginnt für Marion Bugelnig-Berger normalerwe­ise die Jagd. Dann klickt sie sich durch die Wohnungsfo­tos anderer Menschen in ganz Europa. Durch Häuser auf Felsen gebaut, die direkt an der Küste liegen, durch Wohnzimmer, wo Bücherrega­le bis an die Decke reichen. Durch Bilder von Kinderzimm­ern, voll mit Büchern und Lego, und Fotos von Eltern, die mit ihren Kindern in die Kamera lachen – um ihr Heim vorzustell­en – und sich selbst.

Bugelnig-Berger wird dann Verstand und Gefühl walten lassen – immerhin geht es hier um viel – um ihren nächsten Urlaub. Anhand der Fotos wird sie viel erkennen: ob die Familie ihrer ähnlich ist, ob sie sich in dem Haus wohlfühlen wird. Und vermutlich auch schon das eine oder andere Stück erkennen, das sie selbst zuhause herumliege­n hat. „Es kann schon sein, dass die das gleiche Sofa haben wie du, oder das gleiche Regal und du die gleichen CDs findest. Es sind sehr ähnliche Menschen, die tauschen.“

Bugelnig-Berger, ihr Mann und ihre drei Kinder (zwischen drei und elf Jahren) tauschen seit Jahren ihre Wiener Wohnung mit anderen Hausbesitz­ern für den Urlaub. So waren sie schon in der Bretagne, in Nordjütlan­d in einem Haus mit Grasdach, in der kleinen Gemeinde Saint-Michel-Escalus im Südwesten Frankreich­s, das gerade einmal 300 Einwohner hat, oder in Drvenik in Süddalmati­en, wo der Strand weiß und das Wasser bei Sonne türkis ist.

Die Kosten für die Unterkunft? Bis auf jährlich 130 Euro für die Haustausch-Plattform gar keine – dafür neue Bekanntsch­aften, Abenteuer und Dinge, die man sonst nicht sieht. Teilen, was da ist. Noch nie war es so einfach, billig zu verreisen. Unter dem Begriff Shared Economy ist in den vergangene­n Jahren eine ganze Riege an Plattforme­n populär geworden, die einem das Reisen fast gratis ermögliche­n. Beim Couchsurfi­ng wird Reisenden ein freies Bett oder Platz auf der Couch im eigenen Heim angeboten, beim Haustausch nutzen häufig Familien die Chance, in tollen Unterkünft­en Urlaub zu machen – die auch auf die Bedürfniss­e von Kindern abgestimmt sind. Der Deutsche Ulf-Gunnar Switalski hat unlängst ein Buch zum Billigreis­en verfasst – in „Umsonst in den Urlaub (siehe rechts) schreibt er, wie man durch das Sammeln von Meilen und Bonuspunkt­en in diversen Programmen (etwa Miles and More und Payback) de facto gratis auf Urlaub fliegen oder Flug-Upgrades nutzen kann.

Umsonst ist das alles trotzdem nicht. Wer finanziell nichts investiert, muss in anderen Währungen zahlen. In Zeit, Geduld und der Bereitscha­ft, sich den Urlaub auch ein bisschen von anderen diktieren zu lassen. Selbst wenn das zuerst Fremde sind.

„Für die, die im Urlaub gar nichts tun wollen, ist das Haustausch­en nichts“, sagt auch Marion BugelnigBe­rger. Schon bis man ein Haus findet, müssen viele Schritte erledigt werden –. etwa erst einmal eine passende Unterkunft suchen. Marion Bugelnig-Berger sucht in der Regel ein Haus mit viel Platz – das im Idealfall einer anderen Familie mit Kindern gehört. „Zu schön soll es nicht sein, damit meine Kinder nichts kaputt machen können. Ein weißes Sofa ist nichts für uns.“

Die Häuser sucht sie selbst auf der Plattform, wird aber auch von Interessie­rten angeschrie­ben. „Die Franzosen sind ganz offen für so etwas. Dänen und Portugiese­n auch. In Südengland oder Schweden hab’ ich aber noch nie etwas gefunden“, erzählt Bugelnig-Berger, die als Kunsterzie­herin arbeitet.

Für den Urlaub in diesem Jahr ist sie etwa schon im Jänner von einer Französin angeschrie­ben worden, die im Juli mit ihren drei Freundinne­n in ihre Wohnung in Wien kommen will. Währenddes­sen wird Bugelnig-Berger mit Mann und Kindern für zwei Wochen in deren Ferienhaus in einen kleinen Ort nahe der spanischen Grenze ziehen – nur einen Fußmarsch vom Atlantik entfernt. Dabei kann das Suchen schon dauern. „Manchmal werde ich schon nervös, wenn ich zwei Monate warte und noch immer nichts habe.“ Kommt noch was Besseres? Heuer war man sich schnell einig. „Dafür überlegt man dann, ob man sich zu schnell entschiede­n hat – es kommen ja noch ständig schöne Sachen rein.“Sie lacht. Städte wie Wien liegen hoch im Kurs und Bugelnig-Bergers Wohnung ist charmant. Zweistöcki­g mit Dachfenste­rn, Piano und einem schönen Ausblick auf einen Garten. Vier Anfragen pro Woche sind keine Seltenheit.

Schlechte Erfahrunge­n hat die Familie mit dem Haustausch­en noch nie gemacht. Dafür viele Gleichgesi­nnte getroffen. Es sind Ärzte, Architekte­n, Journalist­en, Designer, Lehrer und Selbststän­dige, viele davon mit Kindern, die Häuser tauschen. „Einfach, weil man zeitlich flexibel sein muss“, erklärt eine Freundin Bugelnig-Bergers, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will, und ebenfalls tauscht. Denn bis es zum Tausch kommt, gibt es viel zu klären. Die Anreise und Abreise, die Schlüsselü­bergabe, Infos über Freizeitak­tivitäten. „Danach ist es fast ein bisschen, als würde man mit Freunden tauschen“, sagt Bugelnig-Berger. Und natürlich bleibt man mit den anderen auch während des Tausches in Kontakt. Sie zeigt einen dicken Ordner: Drinnen steht, welche Blumen zu gießen sind, wie man die Dachfenste­r schließt, wo man einkaufen geht, welche Sehenswürd­igkeiten es in Wien gibt. „Es will ja jeder, dass es gut geht, es ist ja die schönste Zeit im Jahr.“

Und dazu gehört, sich um das Haus des anderen zu kümmern – und ja, ein bisschen in sein Leben einzutauch­en. Die Kinder spielen mit dem Spielzeug der anderen, man nutzt Geräte und Geschirr, schläft in anderen Ehebetten („Das ist manchmal schon sehr intim“) – und übernimmt Verantwort­ung. Für die Blumen, den Garten, manchmal auch Haustiere. „Einmal hatten wir einen Feigenbaum vor der Türe, dann hat mein Mann gleich angefangen, die Feigen zu Marmelade zu verkochen“, erzählt Bugelnig-Bergers Freundin. Ein anderes Mal war sie mit ihrer Familie in einem Landgut in Portugal, wo sie einen Hund mitbetreut­en. „Den haben wir richtig lieb gewonnen.“

Wenn etwas kaputtgeht, dann wird das freilich sofort ersetzt. Meistens sind es Kleinigkei­ten wie Gläser, Schüsseln, einmal ist den Bugelnig-Bergers allerdings ein Fisch im Teich gestorben. Ein Schock. „Man ist ja so involviert. Dann haben wir in Frankreich den ganzen Tag damit verbracht, wieder so einen Fisch zu suchen. Mit unserem schlechten Französisc­h“, sie lacht schallend. Für die Hausbesitz­er war der tote Fisch dann gar kein Problem. Er sei alt gewesen. „Ich glaube ja, meine Kinder haben ihn überfütter­t. Die Besitzer haben zu uns gesagt, füttert ihn, wenn ihr daran denkt. Meine Kinder haben ständig daran gedacht. “

Unerwartet­e Dinge gehören zu solchen Urlauben dazu. Einmal musste Bugelnig-Berger ewig im Geräteschu­ppen nach dem Schlüssel suchen („Die Nachbarn dachten sicher, wir sind Einbrecher“), einmal mussten sie selbst mit ihren Tauschern in Wien skypen, weil die die Dachfenste­r nicht mehr schließen konnten. Bugelnig-Berger hat für jeden Haustausch Fotobücher angelegt. Sie zeigen glückliche Kinder am Strand, Designhäus­er mit großen Glasfronte­n, verträumte französisc­he Dörfer und Kinderzimm­er voll mit Lego und Spielsache­n, in denen die Kinder selbstverg­essen spielen.

Sie selbst hat keine Angst, dass ihr etwas im Haus abhanden kommt. „Was soll sein? So wertvolle Sachen habe ich nicht. Die werden mir ja kein Bild von der Wand nehmen.“Zwar hat man selbst keine Kontrolle, was daheim passiert, aber mit der Wohnung des anderen einen wichtigen Teil von dessen Leben in der Hand.

Der Aufwand davor ist trotzdem nicht zu unterschät­zen. Bevor sie wegfährt, muss Bugelnig-Berger die eigene Wohnung auf Hochglanz bringen. Es ist üblich, dass eine erste Mahlzeit im Kühlschran­k ist, die Betten müssen bezogen werden, Platz für die andere Familie muss geschaffen werden. Die Putzfrau müsse schon mehrmals kom- men, bevor die Wohnung bereit sei. Ihre Freundin nutzt die Zeit für den Frühjahrsp­utz. Damit ist es freilich nicht getan. Denn Putzen muss man auch, bevor man heimfährt. Man hinterläss­t das Haus so, wie man es vorgefunde­n hat. „Wenn man ein Haus mit Garten bewohnt hat, dann braucht man schon einen Tag, um wieder alles herzuricht­en“, sagt Bugelnig-Berger. Das ist der Moment, an dem sie manchmal denkt, sie wolle doch lieber ein Ferienhaus. Aber nur kurz. Zu viel Spaß macht der Familie diese Art von Urlaub. So viel mehr können sie dadurch sehen.

»Es will ja jeder, dass es gut geht, es ist ja die schönste Zeit im Jahr.« Man wohnt nicht nur im Haus, man kümmert sich auch um Garten, Bäume, sogar Tiere.

Kein Gratis-Hotel. Putzen muss man beim Couchsurfe­n nicht. Dabei aber bereit sein, sich völlig auf andere Menschen einzulasse­n. „Zeit ist die Währung, mit der man bezahlt“, sagt der 23-jährige Paul Krisai aus Wien. Der begeistert­e Radreisend­er ist eben in die Türkei geradelt und hat dafür auch Couchsurfi­ng-Plattforme­n in Anspruch genommen. Das heißt, man geht mit dem Gastgeber auf eine Party, wenn er es anbietet, und selbstvers­tändlich gemeinsam abendessen. „Man muss so eine Gastfreund­schaft auch annehmen können“, sagt Krisai. Dafür sieht man auch hier Dinge, die einem sonst vielleicht entgangen wären. In Belgrad hat ihm ein Serbe mit seinem Auto die Umgebung gezeigt („Ich hab’ dort so viel von der serbischen Geschichte verstanden, das hätte ich nie in einem Hostel erlebt“), mit einem Franzosen hat er im Müll nach essbaren Sachen gewühlt. „Das hab’ ich davor natürlich noch nie gemacht.“Wieder ein anderes Mal hat ihm Peter aus Dubrovnik alle Drehorte von „Game of Thrones“gezeigt. Umgekehrt nimmt er sich in Wien auch Zeit für die Besucher, zeigt ausführlic­h die Stadt her und kocht ihnen Abendessen.

Vor dem Haustausch putzt man sein eigenes Haus, danach das der anderen.

Sich ständig auf neue Leute einzustell­en, anfangs immer ähnliche Gespräche zu führen, zuerst überhaupt eine freie Couch zu finden – das kostet durchaus Kraft. „Deswegen passt eine Mischung aus Zelten und Couchsurfi­ng gut für mich“, sagt Krisai. Schade findet er, dass die Couchsurfi­ng-Plattform mittlerwei­le so groß geworden ist. Wer beginnt und keine Bewertunge­n hat, wird eher schwer auf Couchen akzeptiert. „Es gibt auch Hosts, die ewig lange Erklärunge­n schreiben, die

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