In der Tropenidylle des Hungers und des »ewigen Führers«
In Burundi, dem zweitärmsten Staat der Welt, haben 2,6 Millionen Menschen, ein Viertel der Bevölkerung, zu wenig zu essen. Die Caritas versucht zu helfen. Bericht aus einem geschundenen Land, das sich selbst lähmt und dessen Drama die Welt ignoriert. Weil
Anflug auf Burundi, drei Breitengrade nur vom Äquator entfernt. Üppiges Grün ringsum, Bananenbäume, Felder, Wälder, dazwischen rote eisenhaltige Erde. Die Metalldächer des einstöckigen Hauptstädtchens Bujumbura blitzen in der Sonne, der Tanganjika-See verliert sich majestätisch in dunstigen Weiten. Und das soll das zweitärmste Land der Welt sein? Das Land, dessen Einkommen pro Kopf nur noch vom Südsudan unterboten wird?
In der schütter besetzten EmbraerMaschine der Kenya Airways stochert eine bunte Reisegesellschaft in ihren silbernen Aluwarmhalteboxen mit Tortellini: Geschäftsleute, vereinzelte Exemplare der burundischen Jeunesse doree´ in T-Shirts und Jeans, eine davon in unfassbar hohen Stöckelschuhen, dazwischen Bürokraten, eine deutsche Weltbank-Mitarbeiterin, ein paar Individualtouristen und eine Delegation der Caritas, angeführt von Präsident Michael Landau. Er hat österreichische Journalisten im Schlepptau, denen er in sechs Tagen Projekte in Burundi und Ruanda zeigen will.
Wir fahren durch Bujumbura hinauf in die Berge aufs Hochplateau nach Gitega. Frauen balancieren auf ihren Köpfen Wasserkanister und Brennholz. Eukalyptus-Bäume säumen die gut asphaltierte Straße, auf der mehr Fußgänger und waghalsige Radfahrer unterwegs sind als Autos.
Die tropische Idylle täuscht. Wer das Elend in Burundi sehen will, muss in die Häuser gehen. Jeanette Hakazimana wohnt mit ihrem Mann, ihren vier Kindern und drei Pflegekindern auf geschätzten 20 Quadratmetern in zwei dunklen Räumen. Die Wände im Vorraum sind angerußt. Sie kocht auf einer offenen Feuerstelle im Haus: zwei Ziegeln, zwischen denen sie Holz anzündet. Der Boden ist aus Lehm. Die gesamte Familie muss sich zwei Betten teilen. Der Vater arbeitet als Nachtwächter, verdient pro Monat 15.000 burundische Francs, das entspricht sechs Euro. Die Miete kostet 10.000 Francs.
„Das Leben ist nicht leicht“, sagt Jeanette. Sie hatte einmal ein eigenes Haus. Das musste sie verkaufen, um ihre Kaiserschnittoperation zu bezahlen. Die 36-Jährige arbeitet als Tagelöhnerin auf dem Feld, bekommt dort meist zu essen. Für ein Frühstück reicht es nie. Sie versucht zumindest für den Abend Lebensmittel aufzutreiben. Maniok, Bohnen, irgendetwas. Warum sie da auch noch Pflegekinder aufgenommen hat? „Aus Nächstenliebe“, sagt sie. „Man muss teilen, was man hat.“
Einmal pro Woche pilgert Jeanette in eines der Ernährungszentren der Die Caritas sammelt Geld, um Kinder in 15 Ländern Afrikas und Asiens vor Hunger zu bewahren. So können Sie helfen: 7 Euro kostet eine Monatsration Essen für ein Kind. 25 Euro kostet Saatgut, 41 Euro eine Ziege, 70 Euro ein Halber Hektar Gemüsefeld. Zu finden auf https:// shop.caritas.at Caritas-Spendenkonto: BAWAG P.S.K.: IBAN AT92 6000 0000 0770 0004 BIC: BAWAATWW Kennwort: Hungerhilfe apostolischen Gemeinschaft „Neues Leben für die Versöhnung“. Die Caritas arbeitet in der Diözese Gitega mit dem Orden zusammen, den Erzbischof Simon gegründet hat. Zu versöhnen gibt es genug in dem geschundenen Land. Seit der Unabhängigkeit 1962 jagt eine Krise die nächste. Umstürze, Massaker, ein fast unablässiger Bürgerkrieg. Immer wieder schlachteten die Volksgruppen der Hutus (rund 85 Prozent) und Tutsis (zehn bis 14 Prozent) einander ab. 300.000 Tote zählen die Statistiker des Grauens bis 2005. Die Horrorzahlen blieben im Schatten des Nachbarlands Ruanda. Dort fielen 1994 in nur 100 Tagen rund eine Million Tutsis und moderate Hutus einem Genozid zum Opfer. Was in Burundi vor sich geht, hat nie sonderlich interessiert. Das Grauen. Über den Armstumpf von Ad`ele Honyorerabo ist ein blaues, weiß gepunktetes Kindersöckchen gestülpt. Ein Nachbar hat ihr die Hand abhackt. Sie wird die Nacht nie vergessen. Es war der 22. Oktober 1993. Am Tag zuvor hatten aufständische Tutsi-Offiziere den ersten demokratisch gewählten Präsidenten Burundis, Melchior Ndadaye, bei einem Putschversuch ermordet. Und jetzt kamen Hutus, um sich zu rächen. Ad`ele kannte die meisten wütenden Gesichter, in die sie starrte. Es waren auch Eltern der Kinder darunter, die sie unterrichtete. Die Meute trieb alle Tutsis aus der Gegend zusammen.
„Ad`ele, Ad`ele“, rief der Mob, „komm heraus“. Ihr dreijähriger Sohn war zum Glück gerade nicht an ihrer Seite. Doch sie trug ihr Baby am Rücken, eingewickelt in ein farbenfrohes Tuch nach afrikanischer Art. Ein Beamter von nebenan hieb mit einer Machete auf sie ein, tötete ihr Neugeborenes und spaltete ihr beinahe den Schädel. Ad`ele zeigt die Narbe auf ihrem Hinterkopf. Die 55-Jährige erzählt ruhig, doch sie lässt unerwähnt, was sie der deutschen Autorin Angela Krumpen für das Buch „Nur Versöhnung kann uns retten“anvertraut hat: Sie musste mitansehen, wie die Mörder das Baby Schweinen zum Fraß vorwarfen.
Ad`ele landete mit 20 anderen Tutsis in einem Massengrab, sie buddelte sich mit der ihr verbliebenen Hand heraus. Wie ist es möglich, ein solches Grauen zu ertragen? Ihren Beruf als Lehrerin konnte sie danach nicht mehr ausüben. Wegen der abgehackten rechten Hand. Sie wurde Bibliothekarin und half als Freiwillige beim Versöhnungsorden. Zehn Jahre nach der Ermordung ihres Babys besuchte sie ihren Peiniger und früheren Nachbarn im Gefängnis. „Du kannst mir mein Kind und meine Hand nicht zurückgeben“, sagte sie zu ihm. Ad`ele schloss ab, blickte nach vorne.
Schwester Godelive Miburo, die resolute Leiterin des Versöhnungsordens, besteht auf einen Höflichkeitsbesuch der Gruppe aus Österreich beim Gouverneur von Gitega. Die Herrschaft muss gnädig gestimmt werden. Burundi driftet gerade in eine Diktatur ab.
Staatspräsident Pierre Nkurunziza, der sich am Stadtrand von Bujumbara von chinesischen Baumeistern einen Palast mit goldener Kuppel errichten lässt, fühlt sich von Gott auserwählt, Burundi bis ans Ende seiner Tage zu regieren. Unlängst erst ließ der ehemalige Rebellenführer die Verfassung ändern und ernannte sich zum „ewigen Führer“. Eigentlich hätte 2015 nach zwei Amtsperioden Schluss sein sollen.
Dem einstigen Hoffnungsträger, der seine Regierungskarriere als Minister für „Gutes Regieren“begonnen hatte, ist die Macht zu Kopf gestiegen. Ein Putschversuch scheiterte 2015. Das steigerte seine Paranoia nur noch. Massenproteste gegen seine verfassungswidrige Spielzeitverlängerung ließ der evangelikale Hutu 2015 blutig niederknüppeln. Gedungene Schläger und Mörder seiner Jugendmiliz Imbonerakure schufen ein Klima der Angst. Oppositionelle verschwanden spurlos, wanderten in Gefängnisse oder tauchten als Leichen auf. Der Internationale Strafgerichtshof ermittelt gegen das Regime. 430.000 Menschen flüchteten in Nachbarländer, nach Ruanda, Tansania, Uganda und in den Kongo. Die alten Geister werden wach. Im Widerstand gegen Nkurunziza waren Hutus und Tutsis vereint. Doch die ethnischen Konflikte könnten schnell aufbrechen.
Der Gouverneur von Gitega, Manirambona Venant,´ lässt auf sich warten. Eine kleine Machtdemonstration. Die einstige Königstadt Gitega diente von 1890 bis 1916 auch den deutschen Kolonialherren als Stützpunkt. Es ist kühl hier auf dem Hochplateau.
Dann erscheint der sportliche Lokalkaiser in einem bunten Hemd mit Silberknöpfen und bittet locker schlendernd in sein Büro. Auf einem kleinen Tischchen ragt ein riesiger Fußballpokal empor. Der Sport ist wichtig im UGANDA