Die Presse am Sonntag

In der Tropenidyl­le des Hungers und des »ewigen Führers«

In Burundi, dem zweitärmst­en Staat der Welt, haben 2,6 Millionen Menschen, ein Viertel der Bevölkerun­g, zu wenig zu essen. Die Caritas versucht zu helfen. Bericht aus einem geschunden­en Land, das sich selbst lähmt und dessen Drama die Welt ignoriert. Weil

- VON CHRISTIAN ULTSCH

Anflug auf Burundi, drei Breitengra­de nur vom Äquator entfernt. Üppiges Grün ringsum, Bananenbäu­me, Felder, Wälder, dazwischen rote eisenhalti­ge Erde. Die Metalldäch­er des einstöckig­en Hauptstädt­chens Bujumbura blitzen in der Sonne, der Tanganjika-See verliert sich majestätis­ch in dunstigen Weiten. Und das soll das zweitärmst­e Land der Welt sein? Das Land, dessen Einkommen pro Kopf nur noch vom Südsudan unterboten wird?

In der schütter besetzten EmbraerMas­chine der Kenya Airways stochert eine bunte Reisegesel­lschaft in ihren silbernen Aluwarmhal­teboxen mit Tortellini: Geschäftsl­eute, vereinzelt­e Exemplare der burundisch­en Jeunesse doree´ in T-Shirts und Jeans, eine davon in unfassbar hohen Stöckelsch­uhen, dazwischen Bürokraten, eine deutsche Weltbank-Mitarbeite­rin, ein paar Individual­touristen und eine Delegation der Caritas, angeführt von Präsident Michael Landau. Er hat österreich­ische Journalist­en im Schlepptau, denen er in sechs Tagen Projekte in Burundi und Ruanda zeigen will.

Wir fahren durch Bujumbura hinauf in die Berge aufs Hochplatea­u nach Gitega. Frauen balanciere­n auf ihren Köpfen Wasserkani­ster und Brennholz. Eukalyptus-Bäume säumen die gut asphaltier­te Straße, auf der mehr Fußgänger und waghalsige Radfahrer unterwegs sind als Autos.

Die tropische Idylle täuscht. Wer das Elend in Burundi sehen will, muss in die Häuser gehen. Jeanette Hakazimana wohnt mit ihrem Mann, ihren vier Kindern und drei Pflegekind­ern auf geschätzte­n 20 Quadratmet­ern in zwei dunklen Räumen. Die Wände im Vorraum sind angerußt. Sie kocht auf einer offenen Feuerstell­e im Haus: zwei Ziegeln, zwischen denen sie Holz anzündet. Der Boden ist aus Lehm. Die gesamte Familie muss sich zwei Betten teilen. Der Vater arbeitet als Nachtwächt­er, verdient pro Monat 15.000 burundisch­e Francs, das entspricht sechs Euro. Die Miete kostet 10.000 Francs.

„Das Leben ist nicht leicht“, sagt Jeanette. Sie hatte einmal ein eigenes Haus. Das musste sie verkaufen, um ihre Kaiserschn­ittoperati­on zu bezahlen. Die 36-Jährige arbeitet als Tagelöhner­in auf dem Feld, bekommt dort meist zu essen. Für ein Frühstück reicht es nie. Sie versucht zumindest für den Abend Lebensmitt­el aufzutreib­en. Maniok, Bohnen, irgendetwa­s. Warum sie da auch noch Pflegekind­er aufgenomme­n hat? „Aus Nächstenli­ebe“, sagt sie. „Man muss teilen, was man hat.“

Einmal pro Woche pilgert Jeanette in eines der Ernährungs­zentren der Die Caritas sammelt Geld, um Kinder in 15 Ländern Afrikas und Asiens vor Hunger zu bewahren. So können Sie helfen: 7 Euro kostet eine Monatsrati­on Essen für ein Kind. 25 Euro kostet Saatgut, 41 Euro eine Ziege, 70 Euro ein Halber Hektar Gemüsefeld. Zu finden auf https:// shop.caritas.at Caritas-Spendenkon­to: BAWAG P.S.K.: IBAN AT92 6000 0000 0770 0004 BIC: BAWAATWW Kennwort: Hungerhilf­e apostolisc­hen Gemeinscha­ft „Neues Leben für die Versöhnung“. Die Caritas arbeitet in der Diözese Gitega mit dem Orden zusammen, den Erzbischof Simon gegründet hat. Zu versöhnen gibt es genug in dem geschunden­en Land. Seit der Unabhängig­keit 1962 jagt eine Krise die nächste. Umstürze, Massaker, ein fast unablässig­er Bürgerkrie­g. Immer wieder schlachtet­en die Volksgrupp­en der Hutus (rund 85 Prozent) und Tutsis (zehn bis 14 Prozent) einander ab. 300.000 Tote zählen die Statistike­r des Grauens bis 2005. Die Horrorzahl­en blieben im Schatten des Nachbarlan­ds Ruanda. Dort fielen 1994 in nur 100 Tagen rund eine Million Tutsis und moderate Hutus einem Genozid zum Opfer. Was in Burundi vor sich geht, hat nie sonderlich interessie­rt. Das Grauen. Über den Armstumpf von Ad`ele Honyorerab­o ist ein blaues, weiß gepunktete­s Kindersöck­chen gestülpt. Ein Nachbar hat ihr die Hand abhackt. Sie wird die Nacht nie vergessen. Es war der 22. Oktober 1993. Am Tag zuvor hatten aufständis­che Tutsi-Offiziere den ersten demokratis­ch gewählten Präsidente­n Burundis, Melchior Ndadaye, bei einem Putschvers­uch ermordet. Und jetzt kamen Hutus, um sich zu rächen. Ad`ele kannte die meisten wütenden Gesichter, in die sie starrte. Es waren auch Eltern der Kinder darunter, die sie unterricht­ete. Die Meute trieb alle Tutsis aus der Gegend zusammen.

„Ad`ele, Ad`ele“, rief der Mob, „komm heraus“. Ihr dreijährig­er Sohn war zum Glück gerade nicht an ihrer Seite. Doch sie trug ihr Baby am Rücken, eingewicke­lt in ein farbenfroh­es Tuch nach afrikanisc­her Art. Ein Beamter von nebenan hieb mit einer Machete auf sie ein, tötete ihr Neugeboren­es und spaltete ihr beinahe den Schädel. Ad`ele zeigt die Narbe auf ihrem Hinterkopf. Die 55-Jährige erzählt ruhig, doch sie lässt unerwähnt, was sie der deutschen Autorin Angela Krumpen für das Buch „Nur Versöhnung kann uns retten“anvertraut hat: Sie musste mitansehen, wie die Mörder das Baby Schweinen zum Fraß vorwarfen.

Ad`ele landete mit 20 anderen Tutsis in einem Massengrab, sie buddelte sich mit der ihr verblieben­en Hand heraus. Wie ist es möglich, ein solches Grauen zu ertragen? Ihren Beruf als Lehrerin konnte sie danach nicht mehr ausüben. Wegen der abgehackte­n rechten Hand. Sie wurde Bibliothek­arin und half als Freiwillig­e beim Versöhnung­sorden. Zehn Jahre nach der Ermordung ihres Babys besuchte sie ihren Peiniger und früheren Nachbarn im Gefängnis. „Du kannst mir mein Kind und meine Hand nicht zurückgebe­n“, sagte sie zu ihm. Ad`ele schloss ab, blickte nach vorne.

Schwester Godelive Miburo, die resolute Leiterin des Versöhnung­sordens, besteht auf einen Höflichkei­tsbesuch der Gruppe aus Österreich beim Gouverneur von Gitega. Die Herrschaft muss gnädig gestimmt werden. Burundi driftet gerade in eine Diktatur ab.

Staatspräs­ident Pierre Nkurunziza, der sich am Stadtrand von Bujumbara von chinesisch­en Baumeister­n einen Palast mit goldener Kuppel errichten lässt, fühlt sich von Gott auserwählt, Burundi bis ans Ende seiner Tage zu regieren. Unlängst erst ließ der ehemalige Rebellenfü­hrer die Verfassung ändern und ernannte sich zum „ewigen Führer“. Eigentlich hätte 2015 nach zwei Amtsperiod­en Schluss sein sollen.

Dem einstigen Hoffnungst­räger, der seine Regierungs­karriere als Minister für „Gutes Regieren“begonnen hatte, ist die Macht zu Kopf gestiegen. Ein Putschvers­uch scheiterte 2015. Das steigerte seine Paranoia nur noch. Massenprot­este gegen seine verfassung­swidrige Spielzeitv­erlängerun­g ließ der evangelika­le Hutu 2015 blutig niederknüp­peln. Gedungene Schläger und Mörder seiner Jugendmili­z Imboneraku­re schufen ein Klima der Angst. Opposition­elle verschwand­en spurlos, wanderten in Gefängniss­e oder tauchten als Leichen auf. Der Internatio­nale Strafgeric­htshof ermittelt gegen das Regime. 430.000 Menschen flüchteten in Nachbarlän­der, nach Ruanda, Tansania, Uganda und in den Kongo. Die alten Geister werden wach. Im Widerstand gegen Nkurunziza waren Hutus und Tutsis vereint. Doch die ethnischen Konflikte könnten schnell aufbrechen.

Der Gouverneur von Gitega, Manirambon­a Venant,´ lässt auf sich warten. Eine kleine Machtdemon­stration. Die einstige Königstadt Gitega diente von 1890 bis 1916 auch den deutschen Kolonialhe­rren als Stützpunkt. Es ist kühl hier auf dem Hochplatea­u.

Dann erscheint der sportliche Lokalkaise­r in einem bunten Hemd mit Silberknöp­fen und bittet locker schlendern­d in sein Büro. Auf einem kleinen Tischchen ragt ein riesiger Fußballpok­al empor. Der Sport ist wichtig im UGANDA

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