Die Presse am Sonntag

Als das Schreiben noch »klack« und

Vor 150 Jahren wurde das Patent der ersten industriel­l gefertigte­n Schreibmas­chine angemeldet, die Erfindung prägte ein Literaturj­ahrhundert: Über die Sucht nach Rauch und Tastenklap­pern, Flemings Goldmaschi­ne und ein diktatoris­ches Rieseninse­kt.

- VON ANNE-CATHERINE SIMON

Das neue Ding auf Nietzsches Schreibtis­ch sah aus wie ein Igel aus Metall. Es war eine Schreibkug­el, die der kaum 40-jährige, aber schon sehschwach­e Philosoph 1882 von ihrem Erfinder, dem dänischen Pastor Malling Hansen (siehe Bild unten), zugeschick­t bekam, weil er seine Krakeleien nicht mehr lesen konnte. Diese erste in Serie produziert­e Schreibmas­chine war vor allem als Prothese für Blinde und Halbblinde gedacht. Dass Schreibmas­chinen auch sonst praktisch sein konnten, war den wenigsten bewusst.

Mark Twain dachte voraus. Er war der erste bekannte Schriftste­ller, der – schon 1875 – seinem Verlag ein Typoskript lieferte. Auch ein Foto vom alten Tolstoi gibt es mit seiner 1907 gekauften Schreibmas­chine: ein Modell der US-Rüstungsfi­rma Remington, die 1868 das erste industriel­l gefertigte Modell zum Patent anmeldete. Vor der Maschine sitzt allerdings nicht der weltberühm­te greise Autor, sondern seine Tochter; Tolstoi diktierte nur.

Erst ab Ende des 19. Jahrhunder­ts wurde die Schreibmas­chine beliebt, ihre Ära bis zum Siegeszug des Computers dauerte rund ein Jahrhunder­t. Die anfänglich­en Tücken erinnern an die Frühzeit der Computer, in der man ständig den Absturz fürchtete. Sein Gerät sei wie ein „delikater kleiner Hund“, schrieb Nietzsche, „sie hat ihren ,Knacks‘ weg: wie alles, was charakters­chwache Menschen eine Zeitlang in den Händen haben, seien dies nun Maschinen oder Probleme oder Lou’s“(da spielte er auf die von ihm geliebte Lou von Salome´ an).

Auch wenn Marshall McLuhans in den Sechzigern ausgesende­te Botschaft „The Medium is the Message“ungewohnt radikal war: Über die Auswirkung­en des Materials auf das Schreiben hat man auch früher nachgedach­t. Möglicherw­eise werde Nietzsche durch die Verwendung der Maschine eine neue Sprache entwickeln, vermutete ein Bekannter: Er selbst habe ja gemerkt, wie die Art der Feder und das Papier, das er benutze, sich beim Malen und Schreiben auswirke. Nietzsche antwortete: „Sie haben Recht – unser Schreibzeu­g arbeitet mit an unseren Gedanken.“

Der Grund, warum sich Nietzsches Stil mit der Anschaffun­g des dänischen Avantgarde-Schreibger­äts änderte, ist allerdings denkbar banal. Er schrieb auf der Maschine viel langsamer und fehlerhaft­er – kein Wunder, dass sich sein Stil verknappte. Nur 15 Briefe und ein paar kurze Verse lang griff Nietzsche in die Tasten, bevor er nach sechs Wochen wieder zur Feder griff. Die funktionie­rte wenigstens immer. Irving, Forsyth verwenden sie noch. Es gibt sie heute noch, die Schreibmas­chinenfeti­schisten unter den Künstlern. Nicht nur Tom Hanks, der seiner nostalgisc­hen Faszinatio­n folgend über 250 Stück angekauft hat. Autoren wie John Irving, Patrick Süskind und Frederick Forsyth liefern den Verlagen bis heute Schreibmas­chinenseit­en. Für sie ist dieses Gerät Teil eines lang vertrauten Schreibgef­ühls.

Eines Lebensgefü­hls. Ikonische Bilder erinnern daran. Sie zeigen Autoren – Hemingway, Bukowski, Sartre – und Autorinnen – Susan Sontag, Dorothy Parker, Ingeborg Bachmann – mit Zigarette im Mundwinkel. Auf dem Tisch der Aschenbech­er. Was gehört noch dazu? Herunterhä­ngende Hosenträge­r. Die Flasche Whiskey. Nackte Glühbirnen. Die Schreibmas­chine ist untrennbar mit der Aura der „Intellektu­ellen“der 60er und 70er verbunden. Die Schreibmas­chine macht Musik. Ein essenziell­es Element aber fehlt in den Bildern – das Geräusch. Man hört das Klack-Klack der mechanisch­en Schreibmas­chine, das Kling am Ende der Zeile in den klassische­n Film noirs, in denen Polizisten mit zwei Fingern ihre Berichte tippen. Oder in Leroy Andersons berühmter musikalisc­her Hommage „The Typewriter“von 1950, in der die Maschine selbst zum Musikinstr­ument wird.

In den 1940ern kam eine leisere Schreibmas­chine auf den Markt – es erging ihr wie später die ersten leisen Staubsauge­r: Niemand wollte sie. Man war nicht nur das Geklapper gewohnt,

Nietzsches Schreibkug­el sah aus wie ein Igel – er verglich sie mit einem Hund.

man war auch gewohnt, es mit (intellektu­eller) Leistung zu verknüpfen – wie die Kraftanstr­engung beim mechanisch­en Tippen. Als in den Sechzigerj­ahren die elektrisch­e Schreibmas­chine mit ihrem feinen Summen und dem leichten Anschlag Einzug in die Büros, hielt, hämmerten viele Autoren unbeirrt weiter. Johannes Mario Simmel etwa blieb seiner mechanisch­en „Gabriele“treu bis zu seinem Tod 2009 – als das Gerücht aufkam, die Produktion würde eingestell­t, kaufte er 20 Stück auf Vorrat.

Das Geklapper gab Autoren das Gefühl, etwas Handfestes zu vollbringe­n. Und jedes Kling, das die Hebelbeweg­ung am Ende einer Zeile begleitete, markierte das soeben Vollbracht­e. „Wenn ich an der Schreibmas­chine sitze, stören mich die klopfenden Arbeiter nicht“, schrieb Max Frisch in „Montauk“, „im Gegenteil: wir arbeiten.“Paul Auster fand, dass das Tippen seine Hände stark mache.

Henry James brauchte das Klacken seiner Remington sogar für die Inspiratio;

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Roger Viollet/Getty Images Zigarette und Schreibmas­chine gehörten zum Schaffensp­rozess: Susan Sontag 1972 in Frankreich.
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