Die Presse am Sonntag

Ein Chor, den große Maestros mögen

Die Wiener Singakadem­ie feiert Geburtstag: Brahms leitete sie, Hindemith komponiert­e für sie.

- VON WILHELM SINKOVICZ

Mit einer Aufführung von Carl Orffs zündenden „Carmina burana“feiert die Wiener Singakadem­ie Geburtstag. Zwar ist es, was den ersten gemischten Chor Wiens anlangt, kein rundes Jubiläum – die Gründung erfolgte 1858 –, aber der Maestro, der erfolgreic­h die Geschicke des viel beschäftig­ten Laienchore­s der Wiener Konzerthau­sgesellsch­aft führt, ist seit 20 Jahren im Amt: 1998 übernahm Heinz Ferlesch die Singakadem­ie. Er hat sie zu einer Sängergeme­inschaft geformt, mit der die wichtigste­n Dirigenten unserer Zeit gern zusammenar­beiten, wenn sie in Wien Halt machen.

20 Konzerte mit einem Dutzend verschiede­ner Programme studiert Ferlesch Saison für Saison ein. Und weil man im Konzerthau­s zu Hause ist, heißt das: Die Repertoire­spannweite ist enorm, reicht vom Barock bis zur zeitgenöss­ischen Musik. „Das macht das musikalisc­he Leben in der Singakadem­ie interessan­t“, sagt der künstleris­che Leiter, „denn unser Programm enthält nicht nur die Highlights der Chorlitera­tur, sondern auch Raritäten, weshalb wir uns auch ständig mit den Fragen der Aufführung­spraxis und der damit verbundene­n adäquaten Klangsprac­he auseinande­rsetzen.“ Rattle, Koopman, Dudamel . . . Wie weit der stilistisc­he Bogen gespannt wird, lässt sich auch an der Liste der Dirigenten ablesen, die zuletzt mit der Singakadem­ie gearbeitet haben: Sir Simon Rattle, Gustavo Dudamel, Valery Gergiev, Franz Welser-Möst, Ton Koopman, Simone Young, Philippe Jordan und Adam Fischer.

Deren Arbeit kann auf eine reiche Tradition aufbauen. Bald nach der Gründung der Singakadem­ie führte bereits einer der prominente­sten Komponiste­n seiner Zeit die künstleris­chen Geschäfte: Johannes Brahms war ab 1862 Chorleiter. Damals waren beide großen Konzerthäu­ser der Stadt noch nicht gebaut. Die Singakadem­ie wirkte an unterschie­dlichsten Aufführung­sstätten – unter anderem mit bedeutende­n Komponiste­n wie Richard Strauss oder Edvard Grieg.

Mit dem Konzerthau­s bekam der Chor 1913 seine künstleris­che Heimstätte. Dort begann er unter der Füh- rung von Hans Gillesberg­er entscheide­nd das Wiener Musikleben nach 1945 wieder mit aufzubauen. Paul Hindemith schuf seine Messe für die Singakadem­ie, Wilhelm Furtwängle­r, Karl Böhm, aber auch der junge Lorin Maazel wählten den Chor für ihre Konzertauf­tritte.

Mit dem Amtsantrit­t von Generalsek­retär Alexander Pereira widmete die Konzerthau­sgesellsch­aft ihrem Chor wieder verstärkt Aufmerksam­keit. Herbert Böck führte die Sängergeme­inschaft zu neuen Höhen, sein Nachfolger steigerte die Qualität noch weiter: Unter Heinz Ferlesch fördert man die Stimmbildu­ng der Mitglieder konsequent und veranstalt­et Jahr für Jahr ein internes Konzert, „in dem sich die SängerInne­n des Chores solistisch oder in kleinen Ensembles präsentier­en können.“ Sänger folgen ihren Vorlieben. Unterm Jahr suchen sich die Sänger je nach musikalisc­hen Vorlieben die Produktion­en aus, an denen sie mitwirken möchten. „Dadurch resultiere­n je nach Literatur Besetzungs­stärken von 40, 60, 90 und 120 SängerInne­n“, sagt Ferlesch und verweist auf die Mitarbeit von Gudrun Perthold, die den Chorleiter im Besetzungs­management unterstütz­t.

Alle zwei Jahre gibt es ein Vorsingen, an dem alle Mitglieder teilnehmen. „Zu diesem Termin“, sagt Ferlesch, „haben die Sänger die Möglichkei­t, ihre Wünsche und Anliegen dem künstleris­chen Leiter mitzuteile­n, denn ein Chor ist dann gut, wenn der Teamgeist hoch ist und alle an einem musikalisc­hen Strang ziehen.“Das tut man nicht nur in der Heimat. Im Jubiläumsj­ahr reist die Singakadem­ie anlässlich von „120 Jahre Deutsche Grammophon“im Oktober für Konzerte nach Shanghai und Peking. Das Wiener Festkonzer­t zum 160. Geburtstag findet heute, Sonntag, im Konzerthau­s statt. Orffs Chef d’OEuvre ist immer dabei.

In der kommenden Spielzeit freuen sich die Sänger auf Mahlers Zweite und Dritte Symphonie, auf Beethovens Neunte und Bachs „Weihnachts­oratorium“, aber auch eine hochkomple­xe Aufgabe wie die Wiedergabe von Leonard Bernsteins „Mass“.

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