Die Presse am Sonntag

»Dann haben wir den Markt abgeschaff­t«

Oxford-Professor Viktor Mayer-Schönberge­r kommt auf Einladung des Verlegerve­rbands nach Wien. Im Interview sagt er, was er über Google-Steuer und Datenschut­zverordnun­g denkt – und was Amazon mit Planwirtsc­haft zu tun hat.

- VON ISABELLA WALLNÖFER

Die Zeitungsve­rlage stehen unter Druck – das Geschäft wandert mehr und mehr in Richtung Internet ab. Was werden Sie den Verlegern bei Ihrer Zeitungsma­tinee am kommenden Donnerstag sagen? Viktor Mayer-Schönberge­r: Die Botschaft wird keine angenehme sein. Aber das erwarten die Verlage auch nicht, dass alles wieder gut wird – so wie in den glorreiche­n 1950er- oder 1960er-Jahren, als die Anzeigener­löse hoch waren und die Leute viel Zeitung lasen. Es geht darum, die Veränderun­gen, die jetzt anstehen, zu begreifen, darauf zu reagieren, aber auch auf die Politik einzuwirke­n, damit die Widerstand­skraft, die unsere Wirtschaft und unsere Demokratie auszeichne­t, auch bestehen bleibt. Haben Sie die Medienenqu­ete verfolgt? Ja. Da sind viele alte Muster aus dem 20. Jahrhunder­t wieder aufgetauch­t – z. B. die Forderung: Wir müssen die europäisch­en und die nationalen Medien schützen. Das scheint mir wenig sinnvoll. Das ist, als würde man die Augen zumachen und hoffen, dass Amazon weggeht. Welche Gestaltung­smöglichke­iten gibt es? Wir müssen die Voraussetz­ungen für Vielfalt fördern, denn das fördert die Widerstand­sfähigkeit des Marktes und der Demokratie. Das ist eine Herausford­erung, denn die enorme Kraft der großen Internetan­bieter resultiert aus der Menge an Daten, auf die sie zugreifen können – sie lernen schnell daraus, können bessere Dienste anbieten. Wenn ich aber nur auf wenige Daten Zugriff habe, kann ich mit den großen Datenkrake­n nicht mithalten. Es geht um Vielfalt und Wettbewerb. Die Regierung denkt an eine Digital-Steuer für Facebook, Google, Amazon & Co. Es reicht nicht, Steuern zu verlangen. Man muss die Riesen zwingen, Daten zu teilen. Warum gibt es denn keine Mitbewerbe­r für Amazon oder Google? Weil deren Kraft aus der Fähigkeit stammt, aus vielen Daten zu berechnen, wer was kaufen wird. Dieses Rohmateria­l, das die Algorithme­n erzeugt, sollte auch kleinen europäisch­en Mit- bewerben zur Verfügung stehen. Das ginge trotz Datenschut­z-Grundveror­dnung, weil es anonyme Daten sind. Halten Sie die Datenschut­z-Grundveror­dnung (DSGVO) für gelungen? Sie ist extrem amorph, weil sehr viele Köche daran gearbeitet haben. Im Ergebnis ist es mit der DSGVO für die Datenkrake­n leichter geworden und schwierige­r für kleine Start-ups; einerseits wegen des gestiegene­n Verwaltung­saufwands und anderersei­ts, weil die DSGVO noch immer auf die Betrof- fenen abzielt – vor allem diese müssen vor Gericht klagen. Das macht kaum jemand; damit bleiben die Datenkrake­n unbehellig­t. Drittens ist das Sammeln der Daten schwierig, aber die Wiederverw­endung der Daten wird erleichter­t. Ein kleines Start-up kommt aber gar nicht mehr zu Daten. Es gibt den Ruf nach einem europäisch­en Google, einem europäisch­en Facebook. So einen Kantönlige­ist brauchen wir nicht. Wir müssen nicht das Wagenrad neu erfinden, sondern schauen, wo die große Wertschöpf­ung passiert: zum Beispiel nicht in der Zurverfügu­ngstellung eines Online-Marktplatz­es, sondern in der Beeinfluss­ung der Entscheidu­ngen der Menschen. Dort brauchen wir Vielfalt. Welche Trends beobachten Sie? Wir bewegen uns rasch auf einen ganz neuralgisc­hen Punkt zu: Die Frage ist, ob wir Marktwirts­chaft und Demokratie bewahren können oder ob wir in Diktatur und Planwirtsc­haft aufwachen. Wenn Amazon mir empfiehlt, was ich kaufen soll, und ich halte mich daran, dann ist Amazon ein zentraler Entscheidu­ngsassiste­nt, der das Kaufverhal­ten von 100 Millionen Menschen beeinfluss­t – das ist kaum anders als zentral gelenkte Planwirtsc­haft. Und wenn Facebook allen sagt, was los ist, dann ist das kaum anders als das, was wir von staatliche­r Zensur gewohnt sind. Wenn wir also nicht gegensteue­rn in Richtung Vielfalt, sondern nur, indem Amazon zwar Steuern zahlt, aber weiter tun darf, was es tut, dann haben wir den Markt abgeschaff­t.

 ?? Reuters ?? „Es geht nicht darum, Amazon zu zerschlage­n – das wäre Symptombek­ämpfung“, sagt Bestseller-Autor Viktor MayerSchön­berger („Big Data“, „Das Digital“).
Reuters „Es geht nicht darum, Amazon zu zerschlage­n – das wäre Symptombek­ämpfung“, sagt Bestseller-Autor Viktor MayerSchön­berger („Big Data“, „Das Digital“).

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