Die Presse am Sonntag

»Was fangen wir jetzt mit dem Mädel an?«

Auch um 1900 wurde Schulpolit­ik heiß diskutiert. Vor allem ging es um die Reform der Mädchenbil­dung. Eugenie Schwarzwal­d, eine Frau mit Charisma, leistete Pionierarb­eit: Sie wurde als Pädagogin, Gründerin einer Mädchensch­ule und Salondame populär.

- VON GÜNTHER HALLER

Eine resolute omnipräsen­te Frau, die man in Wien Anfang des 20. Jahrhunder­ts einfach kennen musste: Charity-Lady und Start-up-Unternehme­rin würde man eine solche Frau heute nennen, und: eine Frau mit Charisma, die sich in einer Männerdomä­ne, dem Bildungswe­sen, zu behaupten weiß. Hämische Anfeindung­en blieben dann auch nicht aus, sie gehörten sogar dazu. Es geht um Dr. Eugenie Schwarzwal­d, meist auch in einer Mischung von Bewunderun­g und Ironie „Fraudoktor“genannt, auch „Genia“.

Doch mit Schnitzler­s still leidender Protagonis­tin im „Weiten Land“hat sie trotz der Namensglei­chheit nicht viel gemeinsam. Sie ist zwar auch eine Salondame an der Seite eines wohlhabend­en Ehemannes und hat Kontakt mit den Geistesgrö­ßen ihrer Zeit, aber sie zeigt im Unterschie­d zu den existenzle­eren und gelangweil­ten Fin-desiecle-`Damen gesellscha­ftliches Engagement, will die Welt verbessern.

So hielt sie in Wien volksbildn­erische Vorträge, im Volksheim in Wien Ottakring, im Wiener Frauenclub, und entwickelt­e sich zu einer passionier­ten Pädagogin und Philanthro­pin. Hatte das 1872 in Galizien geborene jüdische Mädchen Eugenie Nußbaum selbst gelitten unter der oberflächl­ichen, rein schöngeist­igen Bildung, die man für bürgerlich­e Mädchen als ausreichen­d befand? Sie sprach es später offen aus: „Was mich betrifft, so weiß ich heute schon, warum ich gerade Lehrerin geworden bin und nicht lieber Schauspiel­erin, Sängerin, Schriftste­llerin oder sonstwas Freies und Lustiges. Ich wollte eine Schule, die ich mir gewünscht hatte, wenigstens anderen verschaffe­n.“ Staunen im Ministeriu­m. Bildungspo­litische Fragen kreisten um 1900 vor allem um die Reform der Mädchenbil­dung und um das Frauenstud­ium. Wollte eine junge Frau wie Eugenie einen Hochschula­bschluss, ging sie nach Zürich, dort promoviert­e sie im Fach Philosophi­e im Jahr 1900. In Wien sprach die frisch verheirate­te Jungakadem­ikerin bei den verblüffte­n Beamten des k. k. Cultusmini­sterium vor: Sie wollte eine Mädchensch­ule gründen.

Robert Streibel (Hg.) „Das Vermächtni­s der Eugenie“

Löcker Verlag, 300 Seiten, 2017. 24,80 € Mit einer Einleitung von Herausgebe­r Robert Streibel. Eine Sammlung von Feuilleton­s von Eugenie Schwarzwal­d zwischen 1908 und 1938. Auch in der Ausstellun­g „The Place to Be. Salons als Orte der Emanzipati­on“im Jüdischen Museum Wien kommt die Geschichte von Eugenie Schwarzwal­d vor. (Noch bis 14. Oktober 2018).

Mädchenbil­dung war nicht prioritär damals. Das verursacht­e Kosten und: Wozu sollte das gut sein? „Trachtet vor allem, einen Mann zu erobern! Versucht es mit Kochkunst, dekolletie­rten Kleidern, Sport und lockendem Lächeln, mit Demut und Bescheiden­heit und mit koketter Grazie“, so hieß es in einem Vortrag über „Mädchenerz­iehung und Kampf ums Dasein“von Bertha Pauli 1910. Mädchen, die mehr anstrebten als Dekollete´ und Koketterie, landeten meist in geistliche­n Anstalten, privaten Ordensschu­len. Dann wurde die Zeit zwischen Schule und Hochzeit vertrödelt. „Was fangen wir mit dem Mädel an?“, fragte man sich im Bürgertum. Fanden Mädchen keinen Mann, wurden sie Volksschul­lehrerinne­n oder Ehrendamen in fremden Haushalten.

Dass Frauen zurückgewo­rfen wurden auf ein Leben hinter rosenroten und himmelblau­en spanischen Wänden, wollte eine wie Eugenie Schwarzwal­d nicht hinnehmen. Seit 1892 gab es durch die Initiative von Marianne Hainisch in der Wiener Hegelgasse eine „Gymnasiale Mädchensch­ule“, hier wurde Schülerinn­en für ein Universitä­tsstudium vorbereite­t. Eugenie Schwarzwal­d übernahm ein MädchenLyz­eum am Franziskan­erplatz. Da aber ihr akademisch­er Grad der Uni Zürich in Wien nicht anerkannt wurde, durfte sie die Schule nicht selbststän­dig leiten. So blieb es auch: Sie gründete Schulen, durfte sie aber nicht leiten und schob Mitarbeite­r als Direktoren vor. Eine bürokratis­che Schikane.

Dennoch eröffnete sie 1903 eine erste koedukativ geführte Volksschul­e, sie erhielt nach zwei Jahren das Öffentlich­keitsrecht, und 1911 schließlic­h ein achtklassi­ges Mädchengym­nasium, das zwei Jahre danach in ein Haus in der Wallnerstr­aße 9 übersiedel­te. Während die Literaten des Cafe´ Herrenhof“im selben Gebäude im Erdgeschoß parlierten, eroberten die Schülerinn­en den Dachgarten des Hauses.

Das unentbehrl­iche Lebenselix­ier der Schwarzwal­dschule war Fröhlichke­it. Nur keine Langeweile! Ein eigenes, voll entwickelt­es pädagogisc­hes Konzept wie Maria Montessori entwarf Schwarzwal­d nicht. Sie verstand sich nicht als Theoretike­rin, sondern pickte mit Gespür für Menschen heraus, was sie förderlich für die Entwicklun­g der Schülerinn­en hielt. Dadurch lässt sich ihr pädagogisc­hes Programm schwer greifen. So fand sie auch die Anerkennun­g des Schulrefor­mers im Roten Wien, Otto Glöckel.

Immer mehr Künstler scharte sie in ihrem Kampf gegen die ungleichen Bildungsch­ancen für Mädchen um sich. Im Festsaal der Schwarzwal­dschule gab es Vorträge von Adolf Loos, er gestaltete auch den Turnsaal, Arnold Schönberg bot ein Seminar für Kompositio­n an, Egon Wellesz unterricht­ete Musik und Oskar Kokoschka Zeich-

»Trachte vor allem einen Mann zu bekommen, versuch es mit Kochkunst und Dekollet´e.«

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Mädchenkla­sse von 1910. Eugenie Schwarzwal­d
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