»Wir erwarten immer zu viel«
»Die Farbe des Horizonts« zeigt Shailene Woodley in einem aufreibenden Segler-Drama nach wahren Begebnissen. Ein Gespräch über das Abenteuer des Drehs, ihr Verständnis von Beziehungen, ihren rebellischen Geist und den Versuch, die eigenen Ansprüche locker
Der Dreh für „Die Farbe des Horizonts“scheint ja ein Alptraum gewesen zu sein. Sie durften nur 350 Kalorien pro Tag zu sich nehmen, filmten auf offenem Meer. Shailene Woodley: Im Gegenteil, es war ein Traum. Nicht das Abnehmen. Aber wann hast du schon die Gelegenheit, drei Monate in Gemeinschaft mit der Natur zu verbringen? Zum Glück waren auch der Regisseur und das Studio dazu bereit. Denn die Aufnahmen auf dem Meer von Fiji waren schon riskant, weil du keine Kontrolle hast. Da kannst nicht nur eine Kamera, sondern gleich einen ganzen Kameramann verlieren. Es gibt Haie, gefährliche Strömungen, das Wetter ändert sich. Aber für mich war es so etwas wie ein Abenteuer. Die ganze Zeit dachte ich mir: Ich kann nicht glauben, dass man mich dafür bezahlt, damit ich die Sonne mitten auf dem Meer auf- und untergehen sehe. Im Film geht es ja nicht nur ums blanke Überleben, im Zentrum steht wieder einmal die große Liebe. Haben Sie dank dieser Rolle neue Erkenntnisse gewonnen? Erst einmal, wie wichtig Beziehungen überhaupt sind. Wenn du eine Figur spielst, die 41 Tage allein auf See ist, weißt du menschliche Interaktionen erst so richtig zu schätzen. Und in einer Beziehung geht es nicht darum, dass dein Partner allem zustimmt, was du von dir gibst. Er stellt dein Verständnis von der Welt auf den Prüfstand – aber alles mit Respekt, voller Liebe und auch mit Sinn für Humor. Das ist etwas, was ich auch in meinen eigenen Beziehungen realisieren möchte. In Sachen Männer-Frauen-Beziehungen hat sich ja einiges in Hollywood geändert. Wie nehmen Sie das wahr? Ich finde diese Bewegungen wunderbar und bin den Frauen, die hierfür ihre Zeit und Energie einsetzen, sehr dankbar. Das gilt auch für andere Bewegungen wie „Black Lives Matter“oder LGBT. Die Lehre daraus ist: Wenn jemand, dem Unrecht angetan wird, es schafft, die Unterstützung einer ganzen Gemeinschaft zu bekommen, dann können wir bedeutsame gesellschaftliche Entwicklungen anstoßen. Wir müssen dabei nur verantwortungsvoll und voller Mitgefühl vorgehen, dann werden wir für die Zukunft der Menschheit etwas Wunderbares erreichen. Sie sind auf der ganzen Welt unterwegs – „Die Farbe des Horizonts“entstand in Fidschi, vor ein paar Jahren drehten Sie „Snowden“in Europa. Haben Sie da nie das
1991
wurde Shailene Woodley in San Bernardino, Kalifornien, geboren.
2011
wurde sie als „Tochter“von George Clooney in „The Descendants“für einen Golden Globe nominiert.
2016
wurde sie bei einer friedlichen Demo gegen eine Pipeline festgenommen. Sie ist Umweltaktivistin und engagiert sich dafür, Menschen zu politischer Teilhabe zu motivieren. „Die Farbe des Horizonts“läuft ab 13. Juli. Bedürfnis, den von Trump regierten USA den Rücken zu kehren? Nein, denn ich muss weiterkämpfen, um das Leben aller Bürger unseres Landes zu schützen. Und so viel der Präsident ausrichten kann, auch der US-Kongress hat viel Macht. Also versuche ich auf die Volksvertreter einzuwirken. Immer wieder haben Sie rebellische junge Frauen gespielt – auch die Figur in „Die Farbe des Horizonts“begehrt gegen die Normen auf. Wie rebellisch waren Sie selbst? Mit Regeln konnte ich nichts anfangen. Ich konnte nicht verstehen, warum ich vor meinem 16. Geburtstag nicht Auto fahren oder vor meinem 21. keinen Alkohol trinken durfte. Ich fand, dass das jeder für sich selbst entscheiden sollte. Sie haben über die Stränge geschlagen? Nicht zwangsläufig. Ich war eine klassische Einser-Schülerin. Nach dem Unterricht bin ich brav nach Hause gegangen und habe gelernt – nicht, weil meine Eltern das wollten, das war mein eigener Wunsch. Ich dachte mir, wenn ich schon in die Highschool gehen muss, will ich das mit Stil tun. Ich erinnere mich, wie mir mein Vater sagte: „Warum lernst du jetzt? Geh nach draußen, mach Party. Die Rechenformel, über die du dir den Kopf zerbrichst, wirst du später nie wieder brauchen.“Ich selbst war da viel ernsthafter als meine Eltern. Gilt das jetzt immer noch? Grundsätzlich schon. Da draußen gibt es so viele spannende Dinge, die ich noch lernen möchte. Diese Chancen darf ich nicht verpassen. Andererseits weiß ich jetzt auch, dass du mal alle Fünfe grade sein lassen musst. Vor allem in der Showbranche. Da darfst du nicht alles ernst nehmen, sondern musst deinen Spaß haben. Trotzdem habe ich immer wieder das Problem, dass ich zu hohe Erwartungen an mich stelle. Meine Mutter sagte mir einmal: „In der Gesellschaft legen wir eine so hohe Messlatte an, dass wir unseren eigenen Erwartungen nicht gerecht werden und auch mit anderen Menschen nicht zufrieden sind. Wir müssen lernen, unsere Erwartungen zu senken.“Das versuche ich zu beherzigen.