Die Presse am Sonntag

Das Jahr der »goldenen Muse«

Die Tate Modern London widmet sich in ihrer ersten Einzelauss­tellung Picassos einem einzigen Jahr, 1932, seinem »Jahr der Wunder«. Jedenfalls war es privat wie künstleris­ch zerrissen.

- VON ALMUTH SPIEGLER

Warum nicht gerade heuer 1918, warum nicht 100 Jahre nach seinem Tod das letzte Jahr Gustav Klimts verfolgen? Zum Beispiel. Etwas derartiges hätte auch die Tate Modern interessie­rt, antwortet Chefkurato­r Achim Borchardt-Hume. Aber den Wienern wesentlich­e Leihgaben herauszure­ißen, scheint um einiges heikler zu sein, als mit Picasso-Erben und Sammlern zu arbeiten. Also widmete man diesen Sommer im führenden europäisch­en Ausstellun­gshaus für Moderne und zeitgenöss­ische Kunst „Picasso 1932“. Führend nicht nur inhaltlich übrigens, auch imagemäßig. Es gibt keinen offeneren, keinen einladende­ren, keinen attraktive­ren Ort, um neuere Kunst vermittelt zu bekommen – „free and open to all“steht groß auf dem ehemaligen Kraftwerk an der Themse. Das ist Kulturpoli­tik.

Die Sonderauss­tellungen wie eben die über Picasso, übrigens, kaum zu glauben, die erste Picasso-Einzelauss­tellung der Tate-Modern-Geschichte – sind in dem „free“zwar nicht inkludiert, nur die große Dauerausst­ellung, aber immerhin. Die paar Pfund Eintritt zahlen sich jedenfalls aus, es ist eine bezwingend­e Idee, bei derart omnipräsen­ten Künstlern in die Tiefe zu gehen, sich die Produktion nur eines Jahres genau anzuschaue­n.

Es ist nicht irgendein Jahr, sondern das „Jahr der Wunder“, wie es in der Vermarktun­g von Picassos OEuvre gern genannt wird. Werke aus diesem Jahr sind zumindest rekordverd­ächtig, ihre vergleichs­weise sanfte, sehr erotische Sprache scheint den Markt anzuturnen. Ob Zufall oder nicht, heuer sind schon drei Picasso-Gemälde aus jenem Jahr auktionier­t worden, alle zwischen 30 und 70 Mio. Euro, alle zeigten sie Picassos damalige Geliebte, Marie-The-´ rese` Walter, nicht umsonst seine „goldene Muse“genannt.

Auch auf einem ebenfalls in der Ausstellun­g zu findenden Bild, das in Österreich durch seinen ehemaligen Besitzer, den in die Bawag-Affäre verstrickt­en Investment­banker Wolfgang Flöttl, eine gewisse Berühmthei­t genießt, ist das blonde Mädchen zu sehen. Das Bild hat eine recht wüste Geschichte als Kunstmarkt-Trophäe hinter sich. Flöttl verkaufte es 2001 um kolportier­te 60 Mio. Dollar an CasinoMagn­at Steve Wynn.

Die sanfte, sehr erotische Sprache dieses Jahres scheint den Markt anzuturnen.

Ellbogen in Leinwand gerammt. Während eines Termins 2006, als Wynn Freunden lauthals erzählte, er habe das Bild gerade um 139 Mio. weiterverk­auft – was damals die teuerste bekannte Verkaufssu­mme für ein Kunstwerk gewesen wäre – rammte er MarieTher´ese` seinen Ellbogen in den Unterarm, was zu einem Riss in der Leinwand führte (ähnliches passierte ihm übrigens unlängst bei einem anderen seiner Picasso-Bilder noch einmal). 2013 konnte Wynn das restaurier­te Werk dann aber doch noch, um 155 Mio. Dollar, an Steven A. Cohen verkaufen, der jetzt wohl auch Leihgeber für die Tate-Ausstellun­g ist.

So viel zu den Spektakeln und Marktspiel­ereien rund um derartig prominente Ausstellun­gen. Abgesehen von diesen Anekdoten ist es eine unendlich ruhige, konzentrie­rte, kunsthisto­rische Ausstellun­g. Man sieht Picasso am Höhepunkt seines Ruhms, in Konkurrenz zu Matisse, im Kampf um künstleris­che Erneuerung, sowie verloren in scheinbar endlosen Variatione­n von Tagträumen über seine bislang unentdeckt­e Muse, sie knapp 20 (sie war 15, als er sie kennenlern­te), er gerade 50 geworden und noch mit Olga verheirate­t.

Doch in diesem Jahr 1932 kam alles – auch Picassos privates Dilemma – heraus. Ein Jahr nach der großen Retrospekt­ive seines künstleris­chen Widersache­rs Matisse – eine Ehre, die damals eher für tote Künstler reserviert war – hatte auch er seinen großen Auftritt am selben Ort, in der Pariser Galerie Georges Petit. In der Tate konnte man die zentrale Wand dieser Ausstellun­g fast vollständi­g nachstelle­n, eine Art Familienau­fstellung mit Porträts von Olga, dem Sohn und einem auffällig aus diesem Gefüge herausfall­enden Selbstport­rät aus der blauen Periode, also aus jüngeren Jahren. Aber sonst dominierte ein der Allgemeinh­eit unbekannte­s Modell, Marie-Ther´ese` Walter. Wie es Olga dabei gegangen ist, kann man vermuten.

Am Abend der großen Eröffnung jedenfalls ging Picasso nicht hin. Sondern ins Kino, erzählt Kurator Borchardt-Hume. Dann fuhr er auf seinen neuen Landsitz, nach Boisgeloup, wo in diesem Sommer die wundervoll­en Fotos Brassa¨ıs aus Picassos Skulpturen-„Stall“entstanden. Die Ausstellun­g geht strikt chronologi­sch vor, man sieht seine Arbeitswei­se sehr gut – den Wechsel zwischen Malerei und Skulptur zum Beispiel, die Arbeit in Schüben, die Variatione­n eines Themas, meist eben Marie-Ther´ese` Walter. Die

 ?? Succession Picasso, DACS London ?? Picassos „Traum“(1932) gehörte dem Banker Wolfgang Flöttl. Jetzt gehört es Steven Cohen.
Succession Picasso, DACS London Picassos „Traum“(1932) gehörte dem Banker Wolfgang Flöttl. Jetzt gehört es Steven Cohen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria