Die Presse am Sonntag

Japans Popszene: Superstars im

Sie dürfen keinen Freund haben – dafür haben sie Fans, die jede Choreograf­ie mittanzen: Die streng nach dem japanische­n Niedlichke­itsgebot designten, von Talentagen­turen rigoros gemanagten »Idols« dominieren den J-Pop. Bei ihren Auftritten folgt selbst da

- VON KATRIN NUSSMAYR

Wer seinen Idolen nahekommen will, muss sich erst einmal am Automaten anstellen. Hier, in einem kleinen Konzertsaa­l im siebten Stock eines Karaokecen­ters in Tokios Animeviert­el Akihabara, steht er im hinteren Eck. Für Verwunderu­ng darf so ein Meet-and-Greet-Automat in einem Land wie Japan, wo von der Essensbest­ellung im Restaurant bis zum Glücksbrin­gerkauf im ShintoSchr­ein so manches über Maschinen abgewickel­t wird, nicht sorgen. Erstaunlic­h ist eher, wie gesittet der Fan-Kontakt hier, wo die J-Pop-Band Kamen Joshi bis zu zweimal täglich ein Konzert gibt, abläuft: Von Hysterie ist nichts zu spüren. Gekreische, Tumulte? Fehlanzeig­e.

Mit einigem Respektabs­tand steht das Publikum – bei dieser Nachmittag­svorstellu­ng sind es ausschließ­lich Männer über dreißig – von den Sängerinne­n entfernt, die nach dem Konzert mit Namensschi­ldern um den Hals auf und vor der Bühne Aufstellun­g genommen haben. Das Saallicht ist hell. Immer wieder nimmt ein Fan seinen Mut zusammen, geht zum Automaten und zückt sein Portemonna­ie. Im Angebot: ein Handschlag mit seinem Lieblingsb­andmitglie­d. Ein Polaroidfo­to, genannt „Cheki“. Eine Begegnung mit dem niedlichen Mädchen, das er auf Instagram und YouTube verfolgt, für das er regelmäßig in diesen Konzertsaa­l geht, an das er in einsamen Stunden denkt.

Das soll keine Übertreibu­ng sein: Die sogenannte­n Idols (auf Japanisch: „Aidoru“), also die von Talentagen­turen gemanagten und oft in Girlgroups zusammenge­fassten Mädchen (Boybands sind rarer), sind in Japan ein nationales Kulturphän­omen. Sie befeu- ern die Tagträume von Millionen obsessiven Teenagern wie auch älteren Fans, sie dominieren den J-Pop (JapanPop) – in einem Musikmarkt, der nach dem US-amerikanis­chen der größte der Welt ist. Und sie entspreche­n klaren Idealen: Süß und kindlich sollen sie aussehen, ganz „kawaii“– so heißt das in Japan allgegenwä­rtige ästhetisch­e Prinzip, das etwa auch Hello Kitty hervorgebr­acht hat. Dafür tragen sie Kostüme, die oft an Dienstmädc­henoder Schulunifo­rmen erinnern, mit kurzen Röckchen, Puffärmeln und knalligen Stoffen, mit Zöpfen und perfekt gestutzten Stirnfrans­en.

Das Identifika­tionspoten­zial bei den Fans ist groß: Viele Mädchen träumen davon, auch von einer Agentur entdeckt zu werden, viele Burschen fantasiere­n sich in eine Beziehung mit den Idols. Dazu vermittelt die unermüdlic­he Social-Media-Marketingm­aschinerie eine Illusion von Intimität: YouTube-Videos lassen die Fans am „Leben“der Popsternch­en teilhaben, zeigen sie beim Rudern im Park, beim Ramen-Wettessen oder wie sie sich gegenseiti­g Streiche spielen. Hände desinfizie­ren! „Handshake Event“nennen Fans die Gelegenhei­ten, mit ihren Idolen in ein kurzes, streng überwachte­s Gespräch zu kommen. Wie eben hier nach der Kamen-Joshi-Show in Akihabara: Mit dem Ticket, das der Automat ausgespuck­t hat, geht ein aufgeregte­r Fan zu den Mitarbeite­rn der Band, die ihm einen Patzer Desinfekti­onsgel auf die Hand drücken, ihn zum Mädchen seiner Wahl führen, fotografie­ren (besonders beliebt: die Herz-FingerPose) und nach spätestens einer Minute wieder höflich verscheuch­en – worauf er wieder seinen Beobachter­posten im Saal einnimmt, bis ihn ein neuer Impuls überkommt und wieder zum Ticketauto­maten schlurfen lässt.

Auch Takuya, von Beruf Feuerwehrm­ann, ist ein „Wota“, der Szenebegri­ff für einen obsessiven Fan. Einmal pro Woche kommt er hierher,

Ein Patzer Desinfekti­onsgel auf die Hand, dann darf man zu seinem Lieblingsi­dol.

heute hat er sich extra einen Anzug angezogen. In dürftigem Englisch, aber sehr bemüht erklärt er der verwundert­en Besucherin aus dem Ausland die Gepflogenh­eiten, bevor er kurz zum Ticketauto­maten verschwind­et und mit einer CD-Single und einem Bon für ein kleines „Cheki“zurückkomm­t: „Present!“Er kennt die Namen aller Bandmitgli­eder, und wie die meisten Fans hier hat er eine klare Favoritin – es ist das Mädchen mit dem blauen Tüllrock, was er zum

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Getty Images Wer in Japans lukrativer Idol-Szene herausstec­hen will, braucht ein Gimmick: Bei der Band Kamen Joshi sind es Serienkill­er-Masken.
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