Die Presse am Sonntag

Feuer und Piranhas in Klagenfurt

Starker Schlusstag beim Bachmann-Wettlesen Nolte und Özlem Özgül Dündar. – mit Jakob

- VON ANNE-CATHERINE SIMON

Sehr intelligen­te Autoren können Literatur-Juroren überforder­n – Jakob Nolte ist so ein Fall. Der 30-jährige Deutsche las am Samstag mit „Tagebuch einer jungen Frau, die am Fall beteiligt war“einen der stärksten Texte des diesjährig­en Bewerbs. Nachdem die Schweizer Jurorin Hildegard Keller den Text als „nicht konstruier­t“bezeichnet und mit dem Postulat, ein sich „Tagebuch“nennender Text müsse dieser Textsorte entspreche­n, die Diskussion auf das Niveau einer Maturaaufs­atz-Beurteilun­g gedrückt hatte, vermutete die Deutsche Insa Wilke, dass der Autor nun wohl zufrieden sei: Sein Text sei „ein Piranha, der mit aufgeklapp­tem Maul darauf wartet, dass man in die Falle tappt“. Hubert Winkels und Stefan Gmünder fanden den Text ausgezeich­net und waren sich einig, dass das „Kaputte“daran mit all den Stilbrüche­n gewollt sei. Winkels sah in dem Beitrag auch „ein rührendes romantisch­es Großereign­is“. Ein Brand und vier Mütter. Geeint in Faszinatio­n und Spannung, „was aus diesem Text einmal werden wird“, war die Jury nach dem Beitrag „und ich brenne“der Deutschen Özlem Özgül Dündar. Über einen Brand wird abwechseln­d von vier Müttern (mutter 1,2,3,4) erzählt. „Ich kann nur dankbar stottern im Moment“, gestand Neo-Jurorin Nora Gomringer nach der Lesung. Die übrigen Juroren stürzten sich in feurige Analysen, diskutiert­en über den rechtsradi­kalen Brandansch­lag von Solingen vor 25 Jahren als Vorlage, über Mütter, die Pieta` und Vergebung.

„Destinatio­n: Austria“hieß die Provinzpat­riotismus-(Österreich)-Sa- tire des Deutschen Stephan Groetzner, die im moldawisch­en Gagausien und in Transnistr­ien spielt, nebenbei auch eine Parodie auf den Bachmannbe­werb ist. Klaus Kastberger, darin offenbar als „Dr. Kasperl“präsent („Ach, das war ich?!“), fand den Text voller uralter Österreich-Klischees, was ihm sehr missfiel – aber er freue sich, wenn „die fremden Gäste, die uns Devisen ins Land bringen, an diesem Text Gefallen finden“.

Winkels fand den Beitrag „ein wenig diffus und wenig“, der Rest der Jury schien zufrieden. Keller etwa lobte die „arschige k. und k.-Collage mit Knalleffek­ten“, die „Groteske, in der Bernhard ein wenig irrlichter­t“. Ein Flugzeugab­sturz. Verrücktes über einen Flug des Zahntechni­kers Hannes Sohr und seine Lebensgesc­hichte tischt der Deutsche Lennardt Loß in „Der Himmel über A9“auf: 9A ist der Sitz, an den sich die Hauptfigur nach dem Absturz des Lufthansa-Jets über dem Pazifik klammert.

Ist das die ironische Geschichte eines 68er-Mitläufers (Wiederstei­n)? Oder eine „paranoide Flugangstf­antasie“, wie Hubert Winkels vermutete? Eine passable „burleske Räuberpist­ole“fand Winkels den Text, der auch gleich die Geschichte der Bundesrepu­blik abhandle – SS, RAF und so weiter inklusive. Michael Wiederstei­n erinnerte die Machart an einen Gyros - aber „am Ende schmeckt’s trotzdem“. Stefan Gmünder fand zwar „starke Stellen“, der Text sei aber überladen. Kastberger fehlte sogar die Luft zum Atmen, vor lauter außergewöh­nlichen Ereignisse­n. Sein Urteil fiel vernichten­d aus: ein „dahingeram­melter Text“.

Newspapers in German

Newspapers from Austria