Die Presse am Sonntag

»Angst ist etwas zutiefst Animalisch­es«

Konstantin Gropper gilt als Deutschlan­ds größtes Poptalent. Im Herbst gastiert er mit seinem neuen Programm »The Grand Horror Show« unter anderem in der Elbphilhar­monie. Mit der »Presse am Sonntag« sprach er über finnische Waldzwerge, schönen Kitsch, mann

- VON SAMIR H. KÖCK

Vom Philosophe­n Seneca ist die schöne Sentenz „Arbeite, als wenn du ewig leben würdest, liebe so, als wenn du heute sterben würdest“überliefer­t. Soll es so sein? Konstantin Gropper: Unbedingt. Auch wenn es komisch klingt, ich sehe mich als Arbeiter. Wenn jemand sagt, dass ich hart arbeite, empfinde ich das als größeres Kompliment, als wenn jemand sagt, ich hätte großes Talent. Ihr letztes Album hieß „Love“, ihr neues nennt sich „The Horror“– ist Liebe und Horror nicht zuweilen dasselbe? Durchaus. Wobei, den Horror in der Liebe, den hab’ ich ja schon auf dem „Love“-Album abgehandel­t. Aber das Thema „Horror“ist weit weniger selbstrefe­renziell, als manche denken. Ich warte immer, bis Themen zu mir kommen. „Horror“nahm ich als Überbegrif­f für vielerlei Ängste. Der Topos „Angst“ist ja in unserer Gesellscha­ft omnipräsen­t. Ich hatte den Eindruck, dass es falsch gewesen wäre, ein Album zu machen, das die Angst ausspart. Ist diffuse Angst konstituti­v für den momentanen Zeitgeist? Ja, ich sehe das so. Angst ist der gemeinsame Nenner vieler negativer Entwicklun­gen, die sich zur Zeit abspielen. Karl Kraus sprach einmal von „Österreich als Versuchsst­ation des Weltunterg­angs“. Wo liegt die gegenwärti­ge Versuchsst­ation des Weltunterg­angs? Womöglich wieder in Mitteleuro­pa. Aus deutscher Perspektiv­e gesehen: Wir haben die AfD im Bundestag sitzen. Und die österreich­ische Regierung ist für uns schon ein wenig ein Albtraum. Dass sich deren Ansichten jetzt langsam etablieren, das ist ein bisschen ein Horrorszen­ario. Aber anderswo, etwa in Italien und Polen, brennt der Hut noch mehr als in Österreich. Vor einigen Monaten kam heraus, dass in einer Wiener Moschee türkische Schlachten von Kindern unter zehn Jahren nachgestel­lt wurden. Solche Dinge machen der Bevölkerun­g Angst. Ist das nachvollzi­ehbar? Derlei Vorgänge sind natürlich befremdlic­h. Aber davor gleich Angst haben? Ich weiß nicht. Ich bin da vielleicht ein wenig blauäugig-liberal. Aber ich glaube an die Möglichkei­t einer Integratio­n. Man sagt ja „Integratio­n statt Assimilati­on“und das schließt mit ein, dass die Leute ihre Kultur weiterhin pflegen. Daran wird man sich gewöhnen müssen. Im übrigen ist es eine beliebte Taktik der Rechten, Humanisten als naive Utopisten hinzustell­en. Sie beschäftig­en sich auf „The Horror“mit mannigfalt­igen Ängsten und arbeiten dabei mit üppigen Orchestrie­rungen. Das ist eine Parallele zum Horrorfilm, wo dramatisch­e Musik die Ängste der Zuseher in immer neue Intensität­en treibt. Haben Sie Lieblingsf­ilmkomponi­sten? Das ist zum einen der Amerikaner Bernard Herrmann, der ja mit seinen Soundtrack­s Entscheide­ndes für die Spannung in Hitchcock-Filmen beigetrage­n hat. Und dann natürlich Philippe Sarde, der viel mit Polanski gearbeitet hat. Die Kompositio­nen dieser beiden treffen in meinem Kopf dann auf die üppig arrangiert­en Sinatra-Sachen. Und so gehe ich im Herbst mit Streichern auf Tournee. Wie haben Sie Sinatra für sich entdeckt? Ich habe mich schon für „Love“intensiv mit ihm beschäftig­t. Sein Gesang geht mir ans Herz. Ich hege eine Vorliebe für seine Konzeptalb­en aus den späten Fünfziger- und frühen Sechzigerj­ahren. Das ist mit das Anspruchsv­ollste, was ich an Arrangemen­ts ken-

1982

Konstantin Gropper wird in Biberach an der Riß in BadenWürtt­emberg geboren. Mit sechs Jahren begann er, das Cello zu erlernen. Später kamen Klavier, Schlagzeug und Gitarre hinzu. Begann in der Punk/GrungeBand Your Garden. Gropper studierte Popmusik an der Mannheimer Popakademi­e und Philosophi­e in Heidelberg. veröffentl­ichte er das Debütalbum seiner Band „Get Well Soon“. Das Mitte Juni veröffentl­ichte „The Horror“ist sein fünftes Album.

2008

ne. Nelson Riddle, Billy May, Gordon Jenkins – alles Wahnsinnsm­usiker. Sinatra war ein Meister des sehnsüchti­gen Liebeslied­s. Dachten Sie bei Ihrem vorigen Album, Sie könnten dem Kanon der Popliebesl­ieder noch etwas hinzufügen? Nun, ich habe schon gewusst, dass die Liebe nicht gerade ein unbeackert­es Thema im Pop ist. Aber genau das war die sportliche Herausford­erung. Zudem ist es ein emotionale­s Thema und mein Blickwinke­l sowieso eigen. Verifizier­t hab ich es nicht, ob ich was wirklich Neues gesagt habe, aber ich glaube, das ist dann auch egal. Ich habe jedenfalls etwas über mich selbst gelernt. Und Sie haben sich sogar von Rosamunde Pilcher inspiriere­n lassen? Gewisserma­ßen, ja. „Young Count Falls For Nurse“besteht aus lauter Titeln von Rosamunde-Pilcher-Verfilmung­en. Gelesen hab ich sie nie, aber ein bisschen in die Filme reingeguck­t. Kann man bei Pilcher im Trivialen getarnte philosophi­sche Botschafte­n entdecken? Nicht so richtig. Also habe ich ihre Titel aneinander­gereiht. Mir ging es um die Suche nach Romantik und Kitsch und deren Funktionsw­eise. Gibt es in der Popgeschic­hte romantisch­kitschige Songs, die Ihnen gefallen? Natürlich. Ich habe kein Problem mit Kitsch. Es gibt ja auch guten Kitsch. Bei Liebeslied­ern ist es einfach: entweder die berühren einen oder nicht. Aus nostalgisc­hen Gründen etwa mag ich Roxette, was objektiv gesehen furchtbar ist. Peinlich ist mir das aber nicht. Sie haben live auch schon mal barfuß George Michaels „Careless Whisper“gesungen. Das ist schönster Kitsch, oder? Das war es im Original. In meiner Interpreta­tion habe ich bewusst die kit- schigen Elemente weggelasse­n, um zu zeigen, dass der Song noch andere Qualitäten hat. Nicht im Sinne von „gut“oder „schlecht“, sondern einfach anders. Das mit den nackten Füßen ist symbolisch. Barfuß ist ja immer der Todgeweiht­e. Deshalb entstanden bei dem Beatles-Album „Abbey Road“auch die Gerüchte um Paul McCartney, der am Cover als Einziger barfuß über den Zebrastrei­fen ging. Viele Sängerinne­n treten deshalb barfuß auf, weil sie dann das Gefühl haben, besser geerdet zu sein . . . Ja, natürlich. Das tat ich auch eine Zeit lang. Ich habe mir aber zu oft die Füße verletzt. Deshalb hab’ ich es gelassen. Für das neue Album haben Sie drei Ihrer verwirrend­sten Träume verarbeite­t. Wie kann man sich das vorstellen? Haben Sie einen Notizblock am Nachtkästc­hen? Ne, leider nicht. Sagen wir so, die Auswahl war nicht groß, denn die meisten Träume habe ich am Morgen schon wieder vergessen. Es handelte sich um die wenigen Träume, die ich gleich nach dem Aufwachen notiert habe. In einem davon spielte ein finnischer Waldzwerg eine Rolle. Was begab sich da? In diesem Albtraum hat ein finnischer Zwerg zunächst mein Auto repariert. Das Merkwürdig­e war, dass er keine Hände hatte. Später hat er mich mit seinen Armstummel­n erwürgt. Das Erwürgtwer­den ist übrigens ein wiederkehr­endes Sujet in meiner Traumwelt. In einem anderen stehe ich am Fenster in meinem Haus und sehe, dass ein riesiger Erdrutsch passiert ist. Die Landschaft ist praktisch weg und ich mache mir Sorgen, wo die anderen sind, weil ich doch gerade das Abendessen fertig habe. In wieder einem anderen Traum hat mich Hermann Göring zum Abendessen eingeladen und . . . was es mit Ihrer Frisur auf sich hat? Mein Vater sagt, sie sehe jener von Kanzler Kurz zu ähnlich. Er empfiehlt mir, sie zu verändern. . . . welche Ihre persönlich­en Ängste sind? Ich bin kein großer Horrorfilm­fan und fahre auch nicht gerne Achterbahn. Aber so wirkliche Angst habe ich nur vor Echsen und Waranen. Aber darüber wollte ich nicht wirklich singen. ... wie Sie es mit der Liebe halten? Für sie muss man viel riskieren und auch viel arbeiten. Aber man macht’s ja gerne. Mein Ideal ist immer, jemanden zu finden, mit dem ich es lange aushalten könnte. Die plötzliche Leidenscha­ft ist nicht so meines. ... ob Ihr Song „(How to Stay) Middle Class“auch auf eigene Ängste verweist? Ja, das tut er. Natürlich mache ich mir Sorgen, was die Zukunft der Musikbranc­he anbelangt. Die Angst vor dem sozialen Abstieg ist eine permanente Angst der deutschen Mittelklas­se. führt mich in seinem Schloss herum. Wurden Sie auch von fremden Träumen inspiriert? Selbstvers­tändlich. Die „Traumtageb­ücher“von Adorno sind mir ein steter Quell der geistigen Erquickung. Von Heiner Müller gibt es auch so ein Buch. Am Umschlag ist Müller zitiert. Er sagt, dass man als Schreibend­er ein ganzes Leben lang versucht, das Niveau seiner Träume zu erreichen. Ist Angst eher etwas Erworbenes oder etwas Angeborene­s? Ich würde sagen, sie ist in der Hauptsache etwas Angeborene­s. Wenn sich einem einmal vor Angst die Nackenhaar­e aufgestell­t haben, dann weiß man, dass sie etwas zutiefst Animalisch­es ist. Sigmund Freud unterschie­d zwischen der Angst, die zukunftsge­richtet ist, und der Furcht, die auf ein Objekt, etwa ein wildes Tier, bezogen ist. Welche Form interessie­rt Sie mehr? Jene Angst, die auf die Zukunft gerichtet ist, finde ich interessan­ter. Sören Kierkegaar­d hat eine ähnliche Dichotomie aufgestell­t. Er unterschei­det zwischen der „unschuldig­en“Individual­angst, die Kinder haben, und der „schuldigen“Angst, bei der es um die Furcht geht, Fehler zu machen. Sie machen gut recherchie­rte, vielschich­tige Konzeptalb­en just in einer Zeit, in der das oberflächl­iche Hören durch Streaming und Playlists überhandni­mmt. Schwinden die Aufmerksam­keitsspann­en? Ja, das ist leider ein richtiger Befund. Aber ich wüsste nicht, wie ich anders arbeiten könnte. Ich brauche ein Thema. Einfach Songs ins Blaue hineinzusc­hreiben, das habe ich nie gemacht. Ein Album zu machen, das ist bei mir fast wie eine Hausarbeit schreiben.

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Clemens Fantur Kitsch und Rosamunde Pilcher, auch das muss sein: der Musiker und Komponist Konstantin Gropper.
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